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Zeitgeschichte | 2002: Klischee der Krieger


Link [2022-01-29 11:36:25]



US-Präsident George W. Bush hält vor dem Kongress seine „Achse des Bösen“-Rede. Sie gehört zum Vorspiel des Angriffs auf den Irak ein Jahr später

Kriegsbereitschaft war angesagt am 29. Januar 2002 im Kapitol in Washington. Die daraus resultierende militärische Konfrontation sollte Hunderttausende von Menschenleben kosten. Präsident George W. Bushs live übertragene Rede zur Lage der Nation ist heute als „Achse des Bösen“-Ansprache überliefert. Der republikanische Politiker war gerade ein Jahr im Weißen Haus, nach einer umstrittenen Stimmenauszählung gegen den demokratischen Bewerber Al Gore bei der Wahl am 7. November 2000. Der Demokrat Joe Biden spielte eine bedeutende Nebenrolle bei der versuchten Machtdemonstration.

Die Anschläge vom 11. September 2001 lagen mehrere Monate zurück. Schock und Trauer über den Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon waren verdrängt von Selbstgerechtigkeit. „Terroristen, die einst Afghanistan besetzt haben, sitzen nun in Zellen in Guantánamo Bay“, verkündete Bush zu überparteilichem Beifall von Abgeordneten und Senatoren. Man glaubte sich auf dem besten Weg, es den mutmaßlichen Tätern und ihren Komplizen in Afghanistan heimzuzahlen. Am 7. Oktober 2001 hatten die USA und Verbündete Afghanistan angegriffen. Die Regierung der Taliban brach Anfang Dezember zusammen.

Präsident Bush setzte im Kapitol auf das Image von Unbezwingbarkeit, die USA stünden im Krieg, wirtschaftlich sei es schwierig, „der zivilisierten Welt drohen Gefahren, wie es sie noch nie gegeben hat“. Doch Amerika sei nie stärker gewesen. Das kam an, das war Balsam für viele Menschen in den USA. Er werde präventiv zuschlagen. „Ich werde nicht auf Ereignisse warten, während sich Gefahren zusammenziehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden es nicht zulassen, dass die gefährlichsten Regierungen der Welt uns mit den gefährlichsten Waffen bedrohen“, so Bush. „Unser Krieg gegen Terror ... steht nur am Beginn. Diese Kampagne wird möglicherweise nicht in unserer Amtszeit zu Ende kommen, doch wir müssen und werden sie in unserer Amtszeit vorantreiben.“ Die gemeinsame Gefahr sei auch eine Chance. „Amerika arbeitet mit Russland, China und Indien, wie wir das nie zuvor getan haben, um Frieden und Wohlstand zu schaffen.“

Nordkorea, Iran, Irak: Die „Achse des Bösen“

Ronald Reagan (im Amt 1981 – 1989) hatte die Sowjetunion als das „Reich des Bösen“ bezeichnet. Bushs Kampfansage galt nun einer „Achse des Bösen“ und Kollaborateuren. Der Präsident meinte Nordkorea, Iran und Irak, die nach Massenvernichtungswaffen strebten. „Staaten wie diese und ihre terroristischen Alliierten“ würden aufrüsten, um den Weltfrieden zu bedrohen. Vierzehn Monate später griffen die USA und Verbündete den Irak an. Erst zwanzig Jahre später sollte Joe Biden den Krieg in Afghanistan beenden. Die Sanktionen gegen Iran und Nordkorea haben bis heute Bestand.

Als Wortschöpfer der „Achse des Bösen“ gilt Redenschreiber David Frum, der sich mittlerweile im Magazin The Atlantic sorgt, dass Deutschland Atomkraftwerke stilllegt und sich bei der Energieversorgung von Russland abhängig macht. Frum schrieb in seinen Erinnerungen The Right Man, sein Chef im Weißen Haus, Michael Gerson, derzeit Kolumnist bei der Washington Post, habe ihn angewiesen, für die „State of The Union“-Ansprache „einen Satz oder zwei“ zu schreiben, um einen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen („our best case for going after Iraq“). Anfangs habe er von einer „Achse des Hasses“ geschrieben, letztlich habe man sich für „Achse des Bösen“ entschieden.

Der damalige Außenminister Colin Powell beschwichtigte Anfang Februar 2002 im außenpolitischen Ausschuss des Senats, Bush werde nicht umgehend zu Taten schreiten, die Ansprache „bedeutet nicht, dass wir bereit sind, irgendjemanden anzugreifen“. Die Menschen der genannten Nationen seien nicht böse, ihre Regierungen seien böse. Je mehr man das klarmache, desto eher könnten die USA eine internationale Koalition anführen. Im UN-Sicherheitsrat hat Powell am 5. Februar 2003 „Kenntnisse über Massenvernichtungswaffen“ im Irak als kriegsrechtfertigenden Fakt präsentiert, die bekanntermaßen beim Einmarsch nie gefunden wurden. Nach Powells Tod 2021 würdigte Biden den Ex-Außenminister als „großen Amerikaner“ und guten Freund.

Nicht nur Bushs Krieg

Manche demokratischen Politiker damals, verheddert im vermeintlich patriotischen Zusammenhalten nach 9/11, haben die Tragweite der Idee Bushs vom Präventivkrieg anscheinend nicht zu Ende denken wollen oder gar begrüßt. Senator Joe Biden war Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Senat. Ein BBC-Reporter fragte ihn, was er über die Rede denke. „Sie hat mich verwirrt“, so Biden. „Ich bin mir nicht ganz sicher, was er meint.“ Die erwähnten Nationen seien „offensichtlich böse Akteure“, doch wenn wir „die Lage im Iran, Irak oder in Nordkorea ändern könnten ... denke ich, würde Europa das genauso tun wie die Vereinigten Staaten“.

Verwirrt oder nicht: Der Krieg gegen den Irak war nicht nur Bushs Krieg. Senator Biden wurde zu einem Wegbereiter bei den Demokraten. Ein Foto vom 16. Oktober 2002, zehn Monate nach der „Achse des Bösen“-Ansprache, zeigt Biden in einer Gruppe von Senatoren, die Bush umringen, als der die Kriegsautorisierung gegen den Irak unterzeichnet. Die New York Times zitierte Biden: „An jedem entscheidenden Punkt“ habe sich Bush „für den Weg der Mäßigung und Besinnung entschieden, und ich glaube, dass er das weiterhin tun wird“. So war Biden einer von 29 demokratischen Senatoren, die für die Kriegsresolution stimmten. Dies taten ebenso Hillary Clinton und Charles Schumer, heute Mehrheitsführer der Demokraten im Senat.

740 Milliarden für das Verteidigungsministerium

Die Kriege in Afghanistan und gegen den Irak, die Feldzüge gegen den Terrorismus, wie sie genannt wurden, waren überparteiliche Projekte. Bis heute hat der Glaube an die Macht und die Bedeutung des Militärs Bestand. Ende Dezember 2021 unterzeichnete Präsident Biden das 740 Milliarden Dollar schwere Haushaltsgesetz für das Verteidigungsministerium im Jahr 2022 und setzte so Donald Trumps Rüstungseskalation fort.

Von George W. Bush sind keine nachträglichen Zweifel an seiner „Achse des Bösen“-Selbstgewissheit bekannt. Im Mai 2003 hielt er auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln seine „Mission erfüllt“-Rede, als hätten die USA gegen den Irak schon gewonnen: „Die Schlacht um den Irak ist ein Sieg im Krieg gegen Terror, der am 11. September 2001 begonnen hat und weiterhin andauert.“ Nach der Niederlage in Afghanistan im August 2021 bedauerte Bush die „tragischen Ereignisse“ dort. Sein 2018 verstorbener Vater George H. W. Bush hatte Zweifel am „Achse des Bösen“-Klischee und ließ das 2015 seinen Biografen Jon Meacham wissen. „Scharfe Rhetorik“, soll er geäußert haben, schaffe Schlagzeilen, „löst aber nicht zwangsläufig diplomatische Probleme.“ Die Geschichte werde möglicherweise zeigen, dass die „Axis of Evil“-Rede nicht wirklich etwas gebracht habe.

Bei der „State of the Union“-Ansprache sitzen hinter dem Präsidenten der Vizepräsident und der Sprecher des Repräsentantenhauses. Beim bewussten Bush-Auftritt waren das Dick Cheney und der republikanische Abgeordnete Dennis Hastert, im Amt 1999 bis 2007. Hastert wurde 2016 wegen Bankbetrugs in Verbindung mit Zahlungen von Schweigegeld zu 15 Monaten Haft verurteilt. Er habe als Sportlehrer vor seiner Kongresskarriere Schüler sexuell missbraucht, so der Vorwurf. Nichts schockiere mehr als die Worte „Serienkinderschänder und Sprecher des Repräsentantenhauses in einem Satz“, erklärte der Richter laut der Agentur AP.

Cheney erhielt 2012 ein neues Herz. Von seinem enthusiastischen Ja zum Krieg gegen den Irak, den Lügen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen und den Folterungen angeblicher Terroristen ist er nie abgewichen – von der Republikanischen Partei unter Donald Trump freilich schon und das als einer der ganz wenigen. Jüngst zum ersten Jahrestag des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 kam Cheney zu einer Schweigeminute ins Repräsentantenhaus, als kaum andere Republikaner auftauchten. Demokraten spendeten Beifall.

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