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Zeitgeschichte | 1942: Der große Krach in Hollywood


Link [2022-05-27 11:31:49]



Zwei Genies, die sich nicht ausstehen konnten: Beim Spielfilm „Auch Henker sterben“ über das Attentat auf den SS-Schergen Reinhard Heydrich verzweifelt Autor Bertolt Brecht an Regisseur Fritz Lang

Am Strand von Santa Monica sind sie sich sehr einig. Der Dichter Bertolt Brecht und der Regisseur Fritz Lang, zwei deutsche Emigranten in Amerika, wollen es miteinander versuchen und einen antifaschistischen Film drehen. „Anlässlich Heydrichs Exekution in Prag“, vermerkt Brecht Ende Mai 1942 in seinem Arbeitsjournal und lässt den Eintrag mit der Beobachtung ausklingen, „ungeheure Benzintanks rollen leise surrend die asphaltierte Beachstraße hinab, man hört Kanonenschüsse hinter der Bucht“. Als würde ihn das entschieden mehr angehen als die Aussicht auf einen solchen Film.

Am 27. Mai 1942 hat es in Prag ein Attentat auf Reinhard Heydrich gegeben, den stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, der bis dahin ein drakonisches Regime führt und durch Massenhinrichtungen tschechische Arbeiter in den Rüstungsbetrieben zum Gehorsam zwingen will. Die Wehrmacht ist auf Nachschub aus den Skoda-Werken angewiesen, in denen die Produktion teilweise sabotiert wird. Der britische Geheimdienst wie die tschechische Exilregierung in London wollen ein Zeichen setzen und den „Henker von Prag“ gerichtet sehen. Für die „Operation Anthropoid“ ausgewählt sind die Exiltschechen Jozef Gabčík und Jan Kubiš, die im Dezember 1941 mit dem Fallschirm abspringen, aber nicht wie vorgesehen bei Prag landen, sondern nahe Pilsen.

Es dauert, bis sie Kontakt zum Widerstand finden, der einem Anschlag auf Heydrich mit Skepsis begegnet. Man rechnet mit exemplarischen Racheakten. Unbeteiligte, Unschuldige müssten büßen, das tschechische Volk werde in Haftung genommen (wie das bald darauf verübte Massaker im Ort Lidice bestätigt). Gabčík und Kubiš beharren auf ihrer Mission. Sie stellen Heydrich, der stets ohne Eskorte und im offenen Wagen fährt, um unverwundbar zu erscheinen, in der Prager Vorstadt und werfen eine Handgranate. Der Schwerverletzte stirbt am 4. Juni 1942.

Das reale Geschehen wollen Brecht und Lang nicht nachspielen. Ihr Plot entscheidet sich mit der Figur des Arztes Frantisek Svoboda für den Einzeltäter, der zum Widerstand gehört, dort aber weniger konkrete Hilfe als eine sittliche Instanz findet, um Skrupel und Zweifel nach der Tat zu beichten. Die Last des Gewissens nach dem Tyrannenmord, in Erwartung der Revanche eines tyrannischen Regimes. Die lässt nicht auf sich warten. 400 teils prominente Bürger Prags werden als Geiseln genommen und in ein Barackenlager deportiert. Jeden Tag muss jeder Zehnte sterben – bis der Name des Attentäters preisgegeben ist, verkündet die Gestapo. Brecht will von einer Kraftprobe erzählen zwischen dem Vergeltungsdrang der Besatzer und der Widerstandskraft der Besetzten. Ein ungleicher Kampf, der für Letztere höchstens moralisch zu gewinnen ist. Als Prager Bürger durch vorgetäuschte Beweise dafür sorgen, dass ein Kollaborateur unter Tatverdacht gerät, entsteht der Eindruck, es könnte so sein. Aber dann treffen die Salven der SS auch die letzten Geiseln. Ursprünglich soll der Film „No Surrender“ (Keine Kapitulation) heißen, aber weil schon ein Buch über das Attentat diesen Titel trägt, sind Alternativen gefragt. Eine Sekretärin des Produzenten Arnold Pressburger wirft „Hangmen Also Die“ (Auch Henker sterben) in die Runde. Sie hat es getroffen.

Fritz Lang steht bedingungslos zum antinazistischen Narrativ Brechts, will aber einen amerikanischen Film abliefern, bei dem keine allzu didaktische Fabel das Publikum verschreckt. Sein ambitionierter Szenarist kann das vorübergehend, aber nicht auf Dauer schlucken. Der prompt gärende Konflikt hat viel mit der künstlerischen Vita Brechts zu tun, den der Film stets angezogen, wenn nicht fasziniert hat. Immerhin hinterließ er mehr Ideenskizzen und Drehbücher als Bühnenstücke, allein 30 „Texte für Filme“, denen es verwehrt blieb, je einen Produzenten zu finden. Als nach dem phänomenalen Durchbruch der Dreigroschenoper 1930 eine Kinoadaption ansteht, schreibt Brecht ein Filmskript, das Die Beule heißt. Er will eine gesellschaftskritischere Version seiner Anti-Oper auf der Leinwand sehen, die Nero Tonfilm GmbH hingegen das Original, die gefeierte Bühnenfassung, nichts sonst. Was Brecht derart erzürnt, dass er die Produktionsfirma verklagt – und scheitert. Am 19. Februar 1931 wird der Film Die Dreigroschenoper (Regie: Georg Wilhelm Pabst) in Berlin uraufgeführt. So bleibt für die Weimarer Zeit allein der im proletarischen Milieu angesiedelte Streifen Kuhle Wampe (Regie: Slatan Dudow) für den filmsüchtigen Brecht ein gelungener Versuch.

Als es ihn 1941 nach seiner Flucht aus Europa ins kalifornische Santa Monica verschlägt, landet er buchstäblich vor den Toren Hollywoods. Von dieser Filmfabrik würden kleine Hitzewellen ausgehen, die jeden erfassen, der dort Geld verdienen wolle, notiert Brecht. Um zu überleben, müsse auch er sein Filmglück zwingen. „Jeden Morgen mein Brot zu verdienen, gehe ich auf den Markt, wo Lügen verkauft werden. Hoffnungsvoll reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer“, heißt es im Gedicht Hollywood. Zunächst geht es beim Anstehen kaum voran. Brechts Bühnenstücke sind als Filmprojekte nicht gefragt, allein die Szenenfolge Furcht und Elend des Dritten Reiches kommt in Betracht, für die sich der Drehbuchautor Clifford Odets ebenso einsetzt wie der gleichfalls in die USA emigrierte Regisseur Fritz Kortner, nur finden sie nirgends Gehör. Eine Aufführung des Galileo Galilei mit Charles Laughton bleibt weitgehend erfolglos und lässt auf keine Verfilmung hoffen. Nun aber und nun endlich die „Geiselstory in Prag“ (Brecht). Beim Verfassen des Drehbuchs sekundiert – Brechts limitierte Englischkenntnisse erzwingen das – der Dramatiker John Wexley, der es mit einem Stück wie The Last Mile bereits an den Broadway geschafft hat. Anfangs wird harmonisch gearbeitet, dann dämmert der Eklat herauf. Brecht bemerkt, dass Wexley nicht nur besser honoriert wird, sondern Fritz Lang hinter seinem Rücken Absprachen trifft, das Drehbuch umschreibt, die Handlung strafft. Es soll kein Kriminalfilm werden, aber das Werk soll im Kino so wirken. Womit ein Genre bedient wäre, das Lang vorzüglich beherrscht, wie sein 1931 in Berlin gedrehter Streifen M – Eine Stadt sucht einen Mörder eindrucksvoll gezeigt hat. Brecht moniert: Zu viel „Hollywood-Picture“ entschärfe die antinazistische Botschaft, nur auf Spannung setzende Effekte kosteten Glaubwürdigkeit, wenn etwa der Führer des Prager Untergrunds – hinter einer Gardine versteckt – unentdeckt bleibt, während ein Gestapo-Tross Haussuchung hält. Und was sage es über das konspirative Talent des Widerstandes, wenn sich dessen Protagonisten ohne Tarnung im Hinterzimmer eines Lokals treffen, als drohe keinerlei Gefahr? Zudem stört ihn das „Overacting“ der amerikanischen Schauspieler, wie er die Besetzung ohnehin für keinen großen Wurf hält. Sie sei dem Ulmer Stadttheater angemessener als diesem Film. „Immer wieder staune ich über die Primitivität des Filmbaus“, schreibt der zunehmend Entnervte im Arbeitsjournal. Die Komposition komme „mit einem erstaunlichen Minimum an Erfindung, Intelligenz, Humor und Interessen“ aus.

Als Anfang November 1942 erste Szenen abgedreht werden, hält Brecht kein finales Manuskript in der Hand. Lang nimmt sich Zeit und gibt seinem Autor das Gefühl, Demütigung gehöre dazu. „Er sitzt, mit den Allüren eines Diktators und alten Filmhasen, hinter seinem Boss-Schreibtisch“, stöhnt Brecht. Die Animositäten haben das Zeug zum Streit, zum Schwelbrand, zum großen Krach, als Wexley im Filmvorspann als alleiniger Drehbuchautor erscheinen soll, Brecht lediglich als Ideengeber. Es wird das Schiedsgericht der Hollywood Screen Writers Guild angerufen. Dessen Spruch lautet: So soll es sein!

Brecht und Lang wechseln danach kein Wort mehr. Aber wer weiß das schon? Nach der Premiere von Hangmen Also Die im März 1943 sind die Reaktionen völlig bis verhalten euphorisch. „Lang und Brecht, die diese Geschichte erfunden haben, schonen uns zu Recht nicht“, lobt die Los Angeles Times.

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