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Wikileaks | Hoffnungsstreif am Horizont


Link [2022-01-27 20:37:23]



Julian Assange hat im Kampf gegen seine Auslieferung an die USA einen kleinen Sieg errungen – nimmt davon irgendwer Notiz?

Es sind bald drei Jahre. Seit April 2019 sitzt Julian Assange im „britischen Guatanamo“ Belmarsh in London de facto in Isolationshaft. Wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen wurde der Wikileaks-Gründer eingesperrt. Normalerweise muss dafür keiner ins Gefängnis. Er wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt. Als die um waren, behielt man ihn einfach drin. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Vor einem Jahr hatte ein Bezirksgericht in erster Instanz die Auslieferung Assanges an die USA untersagt, wegen Suizidgefahr. Ende 2021 war dies am High Court wieder gekippt worden, woraufhin seine Anwälte in Berufung gegangen sind, genauer: Sie mussten um eine Erlaubnis ersuchen, beim Supreme Court überhaupt Berufung beantragen zu dürfen, und das bei denselben Richtern, die das Verbot der Auslieferung aufgehoben hatten.

Diesen Montag gaben die Richter grünes Licht dafür. Assanges Anwälte haben 14 Tage Zeit, um den Berufungsantrag am Supreme Court zu stellen. Anderenfalls wäre der US-Auslieferungsantrag direkt an die britische Außenministerin Priti Patel gegangen. Also ist das Schlimmste einstweilen abgewendet. Stella Moris, Assanges Verlobte, bezeichnete die Entscheidung als „Sieg“.

Man muss sich vor Augen halten: Assange, den der US-Ankläger als „Simulanten“ bezeichnet hat, erlitt während der letzten Anhörung vor dem High Court einen Schlaganfall. Dem Mann, den er als psychisch und physisch topfit für eine Auslieferung einschätzte, sei in den USA ein „fairer“ Prozess sicher. Assange würde in US-Haft gut behandelt werden, dafür bot der Ankläger „diplomatische Zusicherungen“ an. Womit er erfolgreich war: Die Richter kippten die Entscheidung des Bezirksgerichts gegen eine Auslieferung an die USA. In den USA, das haben mehr als 30 Ex-Mitarbeiter von US-Geheimdiensten enthüllt, waren Pläne zur Ermordung Assanges ausgeheckt worden, vom damaligen CIA-Chef und späteren Außenminister Mike Pompeo. Verhandelt wird also darüber, ob Assange in ein Land ausgeliefert wird, das seine Ermordung plante.

Beobachter haben die Verhandlungen in London oft einen kafkaesken Schauprozess genannt. Man tut den Briten damit unrecht. Im Gegensatz zu Kafkas absurder Brutalität ist ihr Vorgehen von diskreter Raffinesse: Sie haben es geschafft, die USA nicht vor den Kopf zu stoßen, dabei ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit zu simulieren und zugleich fundamentale Menschenrechte auszuhebeln, ohne dass dies öffentlich eine große Rolle spielen würde.

Schon die erstinstanzliche Entscheidung war eine Niederlage für die Pressefreiheit: Richterin Vanessa Baraitser hatte den USA in allen Punkten recht gegeben, sie ließ sogar den Vorwurf der Spionage wegen Journalismus gelten. Nur wegen der Suizidgefahr dürfe Assange nicht ausgeliefert werden. Elegant hat Baraitser damit verhindert, dass in der zweiten Instanz noch über die Anklage und die politischen Inhalte geredet wurde. Es ging nur noch um Assanges gesundheitliche Verfassung. Die Pressefreiheit hing plötzlich von seiner Suizidalität ab. Die Entscheidung war ein toxisches Geschenk. Den US-Anklägern fiel es nicht schwer, „diplomatische Zusicherungen“, Assange vor dem Suizid zu bewahren, zu machen. Ähnlich zweischneidig stellt sich der „Sieg“ dieser Woche dar, wie ein Blick auf dessen Details zeigt.

Was Christian Lindner nicht sagt

Die Richter erkannten an, dass es berechtigt ist, den Zeitpunkt der Abgabe „diplomatischer Zusicherungen“ überprüfen zu lassen. Dürfen sie in der Berufungsphase vorgelegt werden, wenn sie in der Hauptverhandlung nicht vorgelegt wurden? Das zu prüfen sei von „allgemeinem öffentlichen Interesse“. Die anderen von der Assange-Verteidigung eingereichten Beschwerdepunkte lehnten die Richter ab.

Vor allem einer dieser abgelehnten Punkte lässt aufhorchen: Die „Zusicherungen“ der USA, Assange von gewissen „illegalen Praktiken“ in sogenannten US-Supermax-Gefängnissen zu verschonen, machen sie von dessen künftigem Verhalten abhängig. Wird also in Großbritannien gesetzlich Verbotenes wie Folter dadurch rechtmäßig, dass ein Gefangener einen Fehler begeht? Es ist verblüffend, dass solch eine Frage nicht von allgemeinem öffentlichen Interesse sein soll. Das Muster scheint dasselbe zu sein: Relevante Fragen werden gar nicht erst verhandelt, das Spiel wird auf Nebenschauplätze wie die technische Frage nach dem Zeitpunkt der diplomatischen Zusicherungen verlagert. Interessant in diesem Zusammenhang: In dem die Auslieferung erlaubenden Urteil war der diese untersagenden Richterin Baraitser vorgeworfen worden, die USA nicht schon früher um diplomatische Zusicherungen gebeten zu haben. Sie hätte den US-Anklägern doch einen Tipp geben können!

Baraitser hier Schuld zuzuschieben, ist ein schlauer Schachzug: Am Supreme Court wird nicht über entscheidende Fragen wie die verhandelt werden, ob die Zusicherungen bindend sind oder wie oft die USA gegenüber anderen Ländern ebensolche Zusicherungen nicht eingehalten haben. Man wäre dann ja auch schnell bei diplomatisch heiklen Themen wie der US-Vorliebe für „Erweiterte Verhörmethoden“ und willkürliche Haftbedingungen in US-Gefängnissen.

Genau diese Quadratur des Kreises also soll wohl helfen, die USA nicht vor den Kopf zu stoßen und als Bösewicht darzustellen, unter Umständen aber doch für Julian Assange entscheiden zu können, aufgrund der Formalität einer verpassten Frist. Das bedeutet eine hauchdünne Chance für Assange, einen sehr kleinen Hoffnungsschimmer am Horizont.

Dessen körperliche und psychische Gesundheit aber ist infolge seiner andauernden Einkerkerung derart fragil, dass er unter Berufung auf fundamentalste Menschenrechte sofort freigelassen werden müsste.

Dafür aber ist enormer, konzertierter öffentlicher Druck notwendig. Auch aus Deutschland. Wer darauf gehofft hat, die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP würde das eiserne Schweigen der Merkel-Jahre ablegen und Mut beweisen, ist bisher enttäuscht worden. Jede Woche fordert FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Linder per Twitter Freiheit für Alexej Nawalny (der Freitag 50/2021). Das ist so ehrenhaft wie der rhetorische Schwur auf Menschenrechte und Pressefreiheit, wie er so vielen Politikern des Westens so leicht über die Lippen kommt. Bei der Behandlung Assanges hingegen, im Angesicht von dessen jahrelanger willkürlicher Inhaftierung, da scheinen andere Maßstäbe zu gelten. Scharfe journalistische Nachfragen zu Julian Assange müssen Lindner und andere Politiker in Deutschland kaum fürchten. Die vehementen Forderungen von Menschenrechtsorganisationen, Assange sofort frei zu lassen, verhallen ungehört.

Wer wissen will, warum das so ist, muss sich den Anfängen seiner Verfolgung widmen. Die Wurzeln für die Indifferenz gegenüber Julian Assanges Tragödie liegen tief, beim schweren Versagen der Presse vor bereits zehn Jahren.

Der Großteil der Journalisten folgte dem US-Narrativ, sprang brav über das Stöckchen, das ihm hingehalten wurde: Assange sei gar kein Journalist, der im öffentlichen Interesse handelte, sondern ein Narzisst, Egomane und Vergewaltiger. Außerdem laut den USA einer, der andere durch seine Arbeit gefährde. Dieses Urteil wirkt bis heute nach und ist der Grund dafür, dass Assange keinen starken Rückhalt in der Öffentlichkeit mehr findet. Es werden sich wohl die wenigsten überhaupt noch erinnern: Nach den Chelsea-Manning-Enthüllungen wurde Assange verehrt wie ein Rockstar, er war der Robin Hood des Whistleblowing. Hätte man ihn damals ins Gefängnis gesteckt, hätte es einen weltweiten Aufschrei gegeben.

Dass der Wikileaks-Gründer vom Helden zum Paria wurde, liegt an den zwei Hauptvorwürfen, mit denen seine Gegner agierten: die Vergewaltigungsbezichtigung aus Schweden und die Behauptung, er gefährde Unschuldige durch unredigierte Veröffentlichungen.

Vergewaltigung und Verrat

Letzteres haben Zeugen vor Gericht mit Nachdruck entkräftet. Zwar fand dies nicht ansatzweise einen solchen Widerhall in der Presse wie der originäre Vorwurf. Immerhin aber hat es den Journalisten Dean Yates zu einem späten Mea Culpa verleitet: „What I Got Wrong About Julian Assange“ (dt. „Was ich bei Julian Assange falsch verstanden habe“) ist sein Beitrag von Anfang dieses Jahres auf dem Portal consortiumnews.com betitelt, darin schreibt Yates, zwischen Januar 2007 und Oktober 2008 Leiter des Büros der Nachrichtenagentur Reuters in Bagdad: „Das Problem war, dass ich auch schrieb, dass Assange die Irak- und Afghanistan-Kriegsprotokolle ins Internet gestellt hatte, ohne Namen zu schwärzen. Es war falsch und faul von mir, diese Behauptung zu wiederholen, die immer dann auftauchte, wenn man Assanges Namen googelte. Dann muss es ja wahr sein, oder?“

Von Assange-Unterstützern aufgefordert, das zu revidieren, recherchierte er endlich und schrieb dann, er habe vor Kurzem getan, „was ich damals hätte tun sollen: Ich las die Stellungnahmen von Assanges Anwaltsteam bei seinen Auslieferungsanhörungen und die Abschriften der Zeugenaussagen. Mir wurde schnell klar, wie sehr ich mich geirrt hatte.“

Brisant ist dies vor allem auch aus folgendem Grund: Als am 12. Juli 2007 in Bagdad ein US-Apache-Kampfhubschrauber zwölf Menschen tötete, waren darunter auch zwei von Yates’ Reuters-Kollegen: der Fotografen Namir Noor Eldeen und der Fahrer Saeed Chmagh. Das US-Militär blockierte den Versuch von Reuters, das Cockpit-Video des Angriffs vom 12. Juli 2007 zu bekommen, bis Wikileaks es als „Collateral Murder“ veröffentlichte. Wenn also selbst Yates schlampig recherchiert hat, wie ist dann erst die „Arbeit“ von weniger direkt betroffenen Journalisten einzuschätzen? Es ist Yates hoch anzurechnen, dass er seinen Fehler jetzt öffentlich gemacht hat.

Doch nichts hat den Ruf von Assange so nachhaltig und gründlich ruiniert wie der Vorwurf der Vergewaltigung in Schweden. Und keines der weltweit mächtigsten Medienhäuser, von Spiegel bis New York Times, hat damals versucht, genau zu recherchieren: Was ist wirklich in Schweden passiert?

Die Polizeiprotokolle der Aussagen beider Frauen sowie Assanges waren online zugänglich. Ich weiß es, denn ich habe sie 2012 in einem Theaterstück über Assange verarbeitet. Ein kurzer Blick auf die Worte der beiden Frauen hätte genügt, um zumindest den monströsen Vorwurf der „doppelten Vergewaltigung“ sofort zu entkräften. Warum geschah das nicht? Wo waren 2010 die scharfen Investigativreporter, als man sie wirklich brauchte?

Der Einzige der sich des Themas zehn Jahre später gründlich annahm, war der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer – mithilfe der italienischen Journalistin Stefania Maurizi und dem Schweizer Journalisten Daniel Ryser. Sie blamierten damit die gesamte Presselandschaft und erzwangen zumindest einen Richtungswechsel in der Assange-Berichterstattung. Die Presse übt sich bei dieser Frage seither in Schadensbegrenzung.

Aber das allein reicht nicht aus, um genügend öffentlichen Druck aufzubauen. Es braucht eine konzertierte Aktion der mächtigsten Medienhäuser weltweit, all derer, die einst so sehr von Julian Assange profitiert haben, an seiner Seite, New York Times, Spiegel, Le Monde und der Guardian vorneweg.

Dass so etwas funktionieren kann, hat man am Beispiel von Pussy Riot in Russland und an dem Deniz Yücels, dem der Europäische Menschengerichtshof nun sogar Anspruch auf Schadensersatz wegen unangemessener Untersuchungshaft zugesprochen hat, in der Türkei gesehen.

Es braucht viel Mut, um sich hinter Julian Assange zu stellen. Es ist noch nicht zu spät.

Angela Richter ist Regisseurin und Autorin. Sie hat im Freitag mehrfach über ihre Treffen mit Edward Snowden und Julian Assange sowie über ihre Beobachtung des Prozesses um dessen Auslieferung geschrieben

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