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Wahlen | Kein Selbstläufer: Was Linke aus den Wahlen in Frankreich und Kolumbien lernen können


Link [2022-06-21 00:01:05]



Jean-Luc Mélenchons Wahlbündnis Nupes hat sein Ziel verfehlt. Es reicht eben nicht, einen Verein mit buntem Logo zu gründen. Wie linke Politik besser funktioniert, zeigt der Wahlsieg Gustavo Petros in Kolumbien

Premierminister wollte er werden, nun muss er zusehen, dass sein eben erst gezimmertes Wahlbündnis nicht gleich wieder auseinanderfällt: Jean-Luc Mélenchon und die Nouvelle Union populaire, écologique et sociale (Nupes) haben ihr Ziel bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen klar verfehlt. Zwar gab es eine „Ohrfeige“ für Emmanuel Macron, wie die Tageszeitung Libération am Tag danach titelte – und tatsächlich ist das Verfehlen der absoluten Mehrheit für den eben erst wiedergewählten Präsidenten eine bedeutsame Niederlage – doch der erhoffte Durchmarsch der Nupes blieb aus.

Dabei war die Vorstellung so attraktiv gewesen: Gelingt es der Linken, sich unter einem gemeinsamen Banner zu einen und eine echte, schlagkräftige Alternative zu Macrons Liberalismus und Marine Le Pens Rechtsextremismus anzubieten, würden all die eigentlich linken Wähler, die sich in der Vergangenheit enttäuscht abgewendet hatten, zurückkehren. Allein, das ist nicht geschehen. Bereits nach der ersten Runde war klar geworden: Die Allianz aus La France Insoumise, Parti Socialiste, Parti Communiste Français und Europe Ecologie/Les Verts war tatsächlich nicht viel mehr als die Addition der jeweiligen Wählerpotentiale; gemeinsam erzielten sie eine ähnliche Stimmenzahl wie 2017 getrennt. Im zweiten Wahlgang konnte Nupes lediglich etwa 700 000 zusätzliche Wählerstimmen erhalten. Durch die Absprachen bei den Kandidaturen folgt daraus zwar eine beachtliche Zahl Abgeordnete – die werden jedoch aller Voraussicht nach nicht einer gemeinsamen Fraktion angehören. Die Wahlbeteiligung hat zwar im Vergleich zu 2017 zugenommen, trotzdem ist es der zweitniedrigste Wert in der Geschichte der Fünften Republik.

Bunte Flaggen sind nicht genug

Keine rote Welle also, keine neue Volksfront, wie sie 1936 die Wahlen gewann, kein Programme commun, mit dem Sozialisten und Kommunisten 1972 zu historischer Einheit fanden, was neun Jahre später den gemeinsamen Wahlsieg mit François Mitterrand als Präsidentschaftskandidat zur Folge hatte. Und nicht nur das: der große Gewinner des Tages ist mal wieder der Rassemblement National (RN). Die Partei Marine Le Pens, bisher stets durch das französische Wahlsystem benachteiligt, hat erstmals seit 1986 wieder genug Abgeordnete, um eine eigene Fraktion zu bilden.

Es reicht also nicht, den Bürgern eine bunte Flagge zu präsentieren und zu hoffen, dass sie dann schon ein Einsehen haben werden. Es ist diese elektoralistische Auffassung von Politik, die gescheitert ist. Eine Linke, die Erfolg haben will, braucht mehr als bunte Fähnchen und einen rhetorisch begabten aber mitunter autoritären Anführer. Eine Linke, die Erfolg haben will, braucht gesellschaftliche Verankerung.

Linke Politik ist mehr als wählen gehen, linke Politik ist Basisarbeit, Bündnisarbeit, Vorfeldarbeit. Ein starkes Wahlbündnis kann immer nur Resultat einer breiten Vernetzung von ökologischen, sozialen, politischen Gruppierungen sein, die nah an der Lebensrealität der Menschen arbeiten. Die gegenteilige Vorstellung scheitert, oder hat man jemals nochmal von „Aufstehen“ in Deutschland gehört?

Langer Atem und Bündnispolitik

Dass es anders geht, bewies der Sonntag gleich mit. Nach deutscher Zeit spät in der Nacht kam die Nachricht, dass Gustavo Petro die Stichwahl um die Präsidenschaft in Kolumbien gewonnen hat. Zum ersten Mal wird ein Linker das Land regieren, in dem bisher alles Soziale und Ökologische in die Nähe der Guerrilla gerückt wurde. Und was hat Petro richtig gemacht? Er hat langen Atem bewiesen und Bündnisse geschmiedet. Den Ex-Guerrillero und Wirtschaftswissenschaftler, der sich als Abgeordneter einen Namen machte, weil er sich für die Aufklärung von Verbrechen der Paramilitärs an der Landbevölkerung einsetzte, unterstützen sogar einige Militärangehörige. An seiner Seite zieht als Vizepräsidentin die Umweltschützerin, und afrokolumbianische Bürgerrechtlerin Francia Márquez ein. Im Wahlkampf setzten die beiden auf soziale, ökologische und menschenrechtspolitische Themen: Steuern für Reiche rauf, Ölförderung runter, Sozialprogramme rauf, politische Verfolgung runter.

Genau diese Verknüpfung von Klassen- und Identitätspolitik, wie man hierzulande sagen würde, sowie die breite Verankerung in sozialen Bewegungen sicherte dem Duo Petro/Márquez den Sieg. Es geht um ein anderes Verständnis von Politik: Der Wahlsieg stellt hier den Höhe- und nicht den Anfangspunkt eines politischen Veränderungsprozesses dar. Vor allem junge Menschen, Frauen und Schwarze stimmten für Petro und Márquez. In Frankreich war die Wahlbeteiligung unter jungen Menschen am niedrigsten. Nicht nur Mélenchon und seine Nupes können von Petros Wahlsieg etwas lernen.

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