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Wachstumskritik | Club of Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ ist aktueller denn je


Link [2022-05-31 09:09:50]



Der Club of Rome stellte 1972 die Frage, wie unbegrenztes Wachstum auf einem begrenzten Planeten möglich sein soll. 50 Jahre später ist die Gefahr des globalen Kollapses durchaus real

Im März 1972 legte ein 17-köpfiges Forscherteam die Untersuchung The Limits to Growth vor. Die deutsche Fassung erschien unter dem Titel Die Grenzen des Wachstums im Mai 1972. Der schmale Band wurde hierzulande laut Spiegel zum „erfolgreichsten und einflussreichsten Umwelt-Buch nach der biblischen Schöpfungsgeschichte“.

Wie kam es dazu? Der Auftrag kam vom Club of Rome, einem 1968 gegründeten Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Unternehmern, der sich der Lösung drängender Zukunftsprobleme der Menschheit verschrieben hatte: Sie beauftragten Dennis Meadows und seine Forscherkollegen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) damit, verschiedene Szenarien zur Entwicklung der Welt bis zum Jahr 2100 durchzuspielen.

Im Mittelpunkt der Studie steht ein Computermodell, das sogenannte World3-Modell. Dieses geht auf Jay Forrester zurück, einen Pionier der Computertechnik und der Systemwissenschaft. World3 ist eine kybernetische Computersimulation, die Wechselwirkungen zwischen fünf Größen abbildete: Bevölkerung, Industrialisierung, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoffen sowie Umweltzerstörung. Computer galten damals als hochmodern – klotzige Instrumente zweifellos, aber mit der Aura der Unfehlbarkeit.

Damit wurden zwölf verschiedene Szenarien modelliert, die einen 200-jährigen Zeitraum von 1900 bis 2100 abdecken. Das Basis-Szenario, etwas fantasielos „Standard-Computerdurchlauf“ genannt, sieht einen „unkontrollierten Zusammenbruch“ kurz vor der Mitte des 21. Jahrhunderts. Dieser Zusammenbruch wird laut Basis-Szenario durch exponentielles Wachstum verursacht, das seinerseits einen Mangel an Rohstoffen hervorruft. In der Folge sinken die Wirtschaftsleistung und die Bevölkerung.

Autos standen still

Das Autorenteam betonte allerdings bei der Studienpräsentation, dass die Zukunft der Menschheit offen sei. Ein Zusammenbruch sei nicht zwangsläufig, baldiges Umsteuern jedoch erforderlich. Der Klimawandel ist im Buch direkt noch kein Thema. Thematisiert werden aber schon Schadstoffeinträge in die Luft – hier taucht auch das heute omnipräsente CO₂ auf. Die Studie warnt vor einer exponentiell wachsenden Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre.

Das Buch, das die Zeit als „Bombe im Taschenbuchformat“ bezeichnete, prägte das gesellschaftliche Klima der 1970er wie kein anderes Sachbuch. Nach den von wirtschaftlichem Aufschwung bestimmten 1950er und 1960er Jahren – mit der Mondlandung als Höhepunkt im Juli 1969 – verflog der süße Rausch des grenzenlosen Fortschrittsglaubens Anfang der 1970er Jahre. Die Grenzen des Wachstums passten perfekt zu dieser veränderten Stimmung. Im Oktober 1973 gab es die erste Ölkrise – der Ölpreis stieg von rund drei US-Dollar pro Barrel auf mehr als fünf Dollar pro Fass. Im Gefolge der Ölkrise kam es in verschiedenen Staaten Europas zu autofreien Sonntagen. Autos, die Symbole des Fortschritts, standen still. Der wirtschaftliche Nachkriegsboom war zu Ende. Die Arbeitslosigkeit kehrte zurück, das Wirtschaftswachstum schwächelte, und die Inflationsraten zogen an. Wohlstand schien einen Preis zu haben – nicht nur mussten dazu Menschen im globalen Süden ausgebeutet werden, sondern gleichzeitig litten auch Umwelt und Natur.

Die Grenzen des Wachstums wurden zu einem zentralen Bezugspunkt der Ökologiebewegung. In den 1970er Jahren entstanden zahlreiche Forschungsstellen und Lehrstühle für Umweltwissenschaften. Unzählige Organisationen für Umwelt und Naturschutz gründeten sich. Und überall in Europa bildeten sich grüne Parteien, die die politischen Landschaften aufmischten und deren Vertreter stark polarisierten.

Für Polarisierung sorgte die MIT-Studie aber auch selbst. Von Anfang an war sie hochumstritten. Viele KritikerInnen der Grenzen des Wachstums attestierten dem Forscherteam einen übertriebenen Pessimismus. Das Werk sei von einer technokratischen Denkweise durchzogen. Außerdem unterschätze es den menschlichen Innovationsgeist. Genüsslich verweisen die Meadows-Kritikerinnen darauf, dass sich im Buch Zahlen finden lassen, die aus heutiger Sicht lächerlich erscheinen. Wer will, kann in der Studie nachlesen, dass nach Ansicht des Autorenteams noch vor dem Jahr 2000 eine „hoffnungslose Landknappheit“ eintreten müsse, wenn die Bevölkerung exponentiell weiterwachse. Oder dass die Aluminiumvorräte nur noch 31 Jahre reichen würden. Für Blei wurde eine statische Reichweite von 26 Jahren errechnet, für Erdgas eine von 38 Jahren und für Erdöl eine von 31 Jahren. All diese Stoffe dürften heute nicht mehr verfügbar sein, wenn die Werte stimmen würden.

Viele, die die Grenzen des Wachstums mit Spott überschütteten, rissen die Zahlen jedoch aus dem Kontext. Die Zahlen sollten illustrieren, welcher Entwicklungsweg bei fortgesetztem exponentiellen Wachstum möglich sei. Zudem wollte das Meadows-Team nie punktgenaue zeitliche Prognosen machen. Vielmehr ging es darum, mögliche zukünftige Entwicklungswege der Menschheit aufzuzeigen. Wie schon erwähnt: In der MIT-Studie finden sich nicht weniger als zwölf verschiedene Szenarien. Sie alle modifizieren das Basis-Szenario um bestimmte Annahmen. Vier Szenarien weisen in Richtung einer Stabilisierung der Welt und sehen eine Art globales Gleichgewicht. Die restlichen Szenarien fallen aber düster aus und enden wie das Basis-Szenario im Kollaps.

Gewiss: Dennis Meadows und sein Team entwickelten kein perfektes Modell. Die im Boden vorhandenen natürlichen Ressourcen wurden deutlich unterschätzt. Die damals angenommene enge Verbindung zwischen Industrietätigkeit und Umweltverschmutzung ist heute infolge schärferer Umweltschutzgesetze zumindest in den Industriestaaten rückläufig oder gar hinfällig. Zudem spielen im MIT-Modell die Rückkopplungseffekte von Staatsverschuldung oder Preisschwankungen bei wichtigen Rohstoffen keine Rolle. Last, but not least, modelliert die Computersimulation des Meadows-Teams nicht das Finanzsystem, einen wichtigen Teil der heutigen Wirtschaft.

Eine faire Kritik berücksichtigt jedoch, dass alle Berechnungen auf den damals bekannten Reserven von Rohstoffen beruhten. Reserven sind definitionsgemäß die technisch und wirtschaftlich gewinnbaren Vorkommen eines Rohstoffs. Was technisch und wirtschaftlich gewinnbar ist, kann sich im Zeitverlauf ändern. Für die meisten Rohstoffe gilt, dass die Reserven seit 1972 nicht ab-, sondern zugenommen haben. Hauptursache dafür ist der technologische Fortschritt bei der Förderung von Rohstoffen, aber verantwortlich sind auch Erfolge beim Recycling von wertvollen Metallen.

50 Jahre später steht dennoch fest: Die MIT-Studie ist besser als ihr Ruf. Verschiedene jüngere Forschungsarbeiten aus Australien, aus Italien sowie aus den USA bescheinigen dem MIT-Team, gemessen an der damals mäßigen Datenlage, gute Arbeit. Obwohl nicht perfekt, schlage sich das Basis-Szenario der Grenzen des Wachstums beim Datenabgleich respektabel, so der Tenor. Die Kollaps-Gefahr sei kein Hirngespinst, sondern durchaus real.

Und dann kam Corona

Wer also aus problematischen Elementen der MIT-Studie den Schluss zieht, dass sie dadurch widerlegt sei, macht einen Fehler. Aus einer globalen ökologischen Perspektive, das zeigen nahezu alle Daten, geht es der Erde heute wesentlich schlechter als in den 1970er Jahren.

Und wie ist es heute um die Wachstumskritik bestellt? Sie befindet sich auch 50 Jahre nach den Grenzen des Wachstums immer noch in einer Nischenposition. Die Corona-Krise hat der wachstumskritischen Bewegung allerdings Rückenwind verschafft. Mit SARS-CoV-2, einer Zoonose, die vermutlich maßgeblich mit der Zerstörung von Lebensräumen (auch infolge grenzenlosen Wachstums) zusammenhängt, hat sich nie Dagewesenes ereignet. Die Welt hielt an, und das nicht aufgrund eines Krieges oder einer Naturkatastrophe. Es waren demokratisch gewählte Regierungen, die entschieden, die Bürgersteige hochzuklappen. Vielen Menschen dämmerte während des Lockdowns, wie fragil und wenig widerstandsfähig unser herrschendes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell tatsächlich ist. Globalisierte Lieferketten offenbarten ihre Störungsanfälligkeit.

Nicht wenige Menschen glaubten bis zur Corona-Krise: Die Zukunft wird wie die Vergangenheit – nur besser. Mit mehr Reisen, mehr Freizeit, mehr Konsum und materiellem Wohlstand. Vielen Menschen schwant nun, dass dieses Bild einer Gesellschaft des Immer-mehr möglicherweise falsch ist. Die etablierte Politik versucht an diesem Bild mit aller Kraft festzuhalten.

Richtig ist aber auch: Die Einsicht, dass es eines grundlegenden Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft bedarf, ist heute viel weiter verbreitet als in den 1970er Jahren. Allein, es fehlt an Taten. Der ökologische Fußabdruck der Welt ist heute so hoch wie nie. Und der globale Energiemix, gemessen am Primärenergieverbrauch, sieht heute ganz ähnlich aus wie 1973. Fossile Energieträger dominieren immer noch.

Mehr denn je ist Eile dabei geboten, unser Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell nachhaltig umzubauen. Kleine kosmetische Korrekturen reichen nicht. Unfreiwillig fühlt man sich an das Bonmot von Erich Kästner erinnert. Der meinte einst: „Es geht auf keinen Fall so weiter, wenn es so weitergeht.“

Norbert Nicoll lehrt im Bereich der nachhaltigen Entwicklung an der Universität Duisburg-Essen und veröffentlichte zuletzt das Sachbuch Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte

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