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USA | Zwischenwahl: Wenn nicht Trump, dann Trumpismus


Link [2022-05-30 13:03:55]



Der Ex-Präsident Donald Trump muss nicht immer selbst eingreifen, damit die Republikaner im November bei den Zwischenwahlen gewinnen

Joe Biden war jüngst in Buffalo im Staat New York, um Trost zu spenden nach dem Massaker im „Tops Friendly Market“, bei dem ein junger weißer Mann am 14. Mai zehn Schwarze erschossen hat. Biden warnte vor Hass und Angstmache. Zu seinen Lebzeiten sei „das amerikanische Experiment der Demokratie“ noch nie in größerer Gefahr gewesen. Fast genau dasselbe hat er vor einem Jahr schon einmal gesagt. Die Gefahr ist nicht kleiner geworden.

Derweil wetteifern in den Schlagzeilen steigende Benzin- und Lebensmittelpreise mit dem Krieg in der Ukraine. Allmählich kommt auf die Radarschirme: In zehn der 50 Staaten sind in den vergangenen Wochen Vorwahlen gelaufen. Parteien entscheiden über ihre Kandidaten für die Zwischenwahlen am 8. November. In einem halben Jahr könnte die Welt sehr viel anders aussehen, sollten die Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat Mehrheiten gewinnen. Dabei gibt in der Partei nicht immer Donald Trump den Ton an, doch dominiert der Trumpismus als aggressive, rechtspopulistische, nationalistische („Make America Great Again“), auf Verschwörungstheorien zurückgreifende Haltung. Die Messer werden gewetzt für Impeachment-Verfahren gegen Biden, aus welchen Gründen auch immer. Nur ein äußerst geringer Teil des Personals der Republikaner weist Trumps These von der 2020 gestohlenen Präsidentenwahl zurück. Besonders krass: In Pennsylvania, Bidens Geburtsstaat, in dem er knapp gegen Trump gewinnen konnte, haben Republikaner Doug Mastriano zum Gouverneurskandidaten gewählt. Der Oberst a. D. hat Medienberichten zufolge Busfahrten zu Trumps „Stop the Steal“-Kundgebung („Stoppt den Diebstahl“) am 6. Januar 2021 in Washington organisiert, die mit dem Ansturm auf das Kapitol zu Ende ging. Mastriano verlangte damals, der Gouverneur von Pennsylvania solle die Wählerstimmen mit ihrer Mehrheit für Biden nicht anerkennen.

Der Massenmörder in Buffalo wollte angeblich Weiße in den USA schützen, die vom „großen Austausch“ bedroht seien, bei dem „Eliten“ die weiße Bevölkerung durch nichtweiße Migranten und andere ersetzen wollten. Die Befürchtung gilt bei Republikanern nicht als verrückte Ansicht. In Ohio hat der von Datenkonzern-Milliardär Peter Thiel mitfinanzierte Bestseller-Autor JD Vance die Senatsvorwahl gewonnen. Die Demokraten wollten 15 Millionen Illegalen das Wahlrecht geben, sagt Vance.

Bald theokratische Diktatur?

Trump hat Wünsche erfüllt. Der Oberste Gerichtshof der USA steht wegen der von ihm ernannten Richterinnen und Richter offenbar kurz davor, die Uhr ein halbes Jahrhundert zurückzudrehen und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch aufzuheben. Begründet wird das laut dem im Magazin Politico geleakten Urteilsentwurf mit der US-Verfassung, in der nichts von Abtreibung stehe (der Freitag 19/2022). Mit einer solchen Argumentation lassen sich auch Urteile für Bürgerrechte und zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen aufheben. Die kanadische Autorin Margaret Atwood erklärte im Magazin The Atlantic, beim Schreiben ihres Romans Der Report der Magd über die theokratische Republik Gilead habe sie wegen Bedenken gezögert, den Bogen zu überspannen. Heute sei ihr klar: „Theokratische Diktaturen gehören nicht der fernen Vergangenheit an ... Was hindert denn die Vereinigten Staaten daran, eine zu werden?“

Die Vorwahlen bei den Demokraten spiegeln die Zustände in der Partei. Der linke Flügel fordert Radikaleres. Die Mitte bremst mit Rücksicht auf Geldgeber und mit dem Einwand, dass sich keine Mehrheiten finden ließen für Radikales und Sozialistisches. Man solle sich der Vorwahlen von 2020 erinnern, die Bernie Sanders gegen Joe Biden verlor. Nach beträchtlichen Anfangserfolgen stocken Bidens Reform- und Klimaprojekte. Seine Partei kann sich nicht einigen.

Zwangsgeld gegen Trump

Das Justizwesen zeigt sich nicht als Garant der Rechtsstaatlichkeit. Gegen Trump laufen und liefen mehrere Ermittlungsverfahren. Sie stocken, die Anwälte des Ex-Präsidenten blockieren und verzögern. In New York sollte Trump mit einem Zwangsgeld von 10.000 Dollar am Tag gezwungen werden, einer richterlichen Anweisung zur Freigabe bestimmter Unterlagen nachzukommen. Kleingeld. Trump hat eben sein „Trump International Hotel“ in Washington verkauft, angeblich mit einem Gewinn von 100 Millionen Dollar.

Es fehlt Joe Biden an Dringlichkeit: Ist die US-Demokratie wirklich in Gefahr, reichen gelegentliche Beschwerden nicht aus. Demokratische Wähler müssen Motive dafür haben, den Stimmzettel abzugeben. Als Erfolg kann Biden sein Unterfangen werten, die Ukraine gegen Russland zu bewaffnen, doch holt man mit Außenpolitik kaum Stimmen, besonders nicht in Zeiten starker Inflation. Die Conservative Political Action Conference, ein Gremium von Publizisten und Politikern der trumpistischen Bewegung, konferierte gerade mit Gesinnungsgenossen in Ungarn unter dem Slogan „Gott, Homeland, Familie“. Ungarns autokratischer Premier Viktor Orbán soll erklärt haben, wie man an die Macht kommt.

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