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USA | Geschärftes Feindbild, gedämpfte Zuversicht


Link [2022-03-05 19:18:59]



Wie Joe Bidens Demokraten und Donald Trumps Republikaner jetzt auf Russland blicken

Joe Bidens Regierung stellt sich auf einen länger anhaltenden Krieg in der Ukraine ein – mit einer gewissen Zuversicht trotz des Leids und der Flucht von Menschen vor Gefechten, Artilleriebeschuss und Raketenangriffen. Wenn Geschichte geschrieben werde über den „vollkommen ungerechtfertigten Krieg“, werde Russland schwächer dastehen und der Rest der Welt stärker, versicherte der Präsident in seiner Ukraine-Ansprache. Wie in Europa mehren sich in den USA Forderungen nach mehr Waffen für die Ukraine. Der russische Präsident müsse büßen für seinen Angriffskrieg wie die Sowjets seinerzeit in Afghanistan. Außenminister Antony Blinken vermeldete am Wochenende, er habe soeben „Sicherheitshilfe“ im Wert von 350 Millionen Dollar für die Ukraine bewilligt. Der Kongress berät noch über weitreichende Maßnahmen.

Joe Biden bleibt trotzdem vorsichtig. Auch wenn er erklärt, Putin sei der Aggressor und müsse die Konsequenzen tragen, steht über allem seine Zusage, US-Streitkräfte würden nicht eingreifen in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Auf den Bildschirmen werden den Amerikanern erschütternde Kriegsbilder gezeigt, während der Präsident der Bevölkerung gut zuredet, er werde darauf achten, „die Schmerzen des amerikanischen Volkes an der Zapfsäule zu begrenzen“. Biden kam in der US-Öffentlichkeit mehrere Wochen kaum durch mit seinen Alarmrufen wegen der Ukraine. In rechten Medien hieß es, er wolle von seinen Problemen und fallenden Umfragewerten ablenken. Und wenn Putin einen Angriff wagen sollte, sei das nur möglich wegen Bidens Schwäche. Manche ehemals Friedensbewegte waren skeptisch und erinnerten sich der Lügen von Massenvernichtungswaffen im Irak oder der zahllosen Unwahrheiten über den Fortschritt der Kriege im Irak und in Afghanistan. Wladimir Putin wurde bei alldem offenkundig falsch eingeschätzt. Russische Angriffe und rollende Panzer in einer europäischen Hauptstadt, in der Menschen an normalen Tagen in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren oder mit Laptops und Handys in Cafés sitzen, das war auch in den USA vor dem 24. Februar kaum vorstellbar. Die Rechtfertigung in Moskau, man wolle die Ukraine „entnazifizieren“, ist zu erlogen, um Zugkraft zu entfalten.

Ein Plan für danach

Nun wandelt sich die Stimmung in der US-Politik. Militärisches Denken kann in Washington auf ganzer Linie triumphieren. Im Interview mit dem Magazin Foreign Policy meinte der demokratische Abgeordnete Ro Khanna, 2020 Bernie Sanders’ außenpolitischer Berater im Wahlkampf: Er sei früher skeptisch gewesen bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch „jetzt, da Putin den Krieg begonnen hat, bin ich offen für das, was die Regierung vorschlagen könnte an Beistand für die Ukraine“. Und die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez schrieb, Sanktionen gegen „Putin und seine Oligarchen“ seien gerechtfertigt. „Jegliche militärische Aktion darf nur mit Zustimmung des Kongresses stattfinden.“

Tonangebend sind Denker mit klarem Feindbild. Hinweise, dass es vielleicht hätte anders kommen können, wäre der Westen auf russische Sicherheitsbedenken eingegangen, sind nicht mehr gefragt. Im Weißen Haus und in Thinktanks scheint die Ansicht vorzuherrschen, dass Putin langfristig gesehen einen großen Fehler gemacht hat. Ex-Außenministerin Madeleine Albright nennt es eine historische Fehlentscheidung. Als ehemaliger CIA-Beamter, der „in Zentralasien Counterinsurgency-Operationen gemanagt hat“, vermerkt der Geheimdienstexperte Douglas London im Fachmagazin Foreign Affairs, er gehe davon aus, dass Putin nicht angegriffen hätte, ohne ein „verlässliches Endszenario“ im Kopf. Doch die besten Pläne könnten sich schnell erledigt haben gegen nationalen Widerstand und einen Aufstand. Für den Fall eines Sturzes der Regierung in Kiew existiere wohl bereits jetzt ein geheimes Programm, um dem Widerstand beizustehen, mutmaßte London. Insurgency zu unterstützen, das liege „in der DNA der CIA“.

Die Republikaner sind hin- und hergerissen zwischen festsitzender Feindseligkeit gegenüber Russland bzw. der Sowjetunion und dem Respekt des Trump-Flügels für den autokratischen Staatschef in Moskau. Ex-Außenminister Mike Pompeo hatte eine Woche vor dem Einmarsch geäußert, Putin sei ein „sehr fähiger Politiker“, er genieße „enormen Respekt“. Trump selbst meinte kurz vor der Invasion bei einem Fundraiser in Mar-a-Lago, Putin sei ziemlich clever. Er nehme ein riesiges Land in Besitz bei nur geringfügigen Sanktionen, wörtlich: „Sanktionen im Wert von zwei Dollar“.

Mitch McConnell, der oberste Republikaner im Senat mit seinem schwierigen Verhältnis zu Trump, hat hingegen Militärhilfe für die Ukraine verlangt. Putin sei „böse und gefährlich“, sagt Kevin McCarthy, Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus. Aber die Welt des Donald Trump hat der Ukraine und Wolodymyr Selenskyj nie verziehen, für monatelange, letztendlich ergebnislose Ermittlungen zur Amtsenthebung Trumps verantwortlich zu sein. Selenskyj kam dessen Aufforderung nicht nach, Ermittlungen gegen den im ukrainischen Energiegeschäft tätigen Sohn des damaligen Präsidentschaftskandidaten Biden anzukündigen.

Bei Fox News und anderen rechten Medien hat man Sympathien für starke Männer wie Putin und den ungarischen Premierminister Viktor Orbán. Sie gelten als Bewahrer traditioneller Werte, die in den USA in Gefahr seien. Noch einmal der Ex-CIA-Mann Douglas London: Schon oft hätten große Mächte Krieg geführt gegen schwächere und seien dann steckengeblieben. Die USA in Vietnam, im Irak und in Afghanistan, die Sowjets ebenfalls in Afghanistan. Im demokratischen Thinktank Brookings Institution hat Sicherheitsexperte Bruce Riedel betont: Die USA und die NATO sollten dem Widerstand in der Ukraine beistehen, jedoch offenen Auges für mögliche Kosten und Risiken. Die Invasion könne „eine weitere geopolitische Katastrophe für Russland“ werden, allerdings nur, „wenn wir dem ukrainischen Widerstand helfen“.

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