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Ukraine-Krieg | China fühlt sich mit Putins Methoden unwohl


Link [2022-03-05 19:18:59]



Peking hat sich bislang bei der Unterstützung Russlands zurückgehalten. Das wirft Fragen darüber auf, wie weit die Partnerschaft der beiden wirklich geht

Die Entscheidung Chinas, sich am Freitagabend bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine der Stimme zu enthalten, mag im Westen enttäuscht aufgenommen worden sein. Aber es wird durchaus ein nervöses Zittern im russischen Außenministerium auslösen, dass China nicht bedingungslos Schutz bietet.

Diplomaten mit Sitz in Großbritannien, die sich mit Chinas Haltung beschäftigt hatten, gingen davon aus, dass sich Peking einem russischen Votum gegen den von den USA unterstützten Antrag anschließen würde. Aber gemeinsam mit den Vereinigten Emiraten und Indien enthielt es sich. Damit stand Russland isoliert da, als es sein Veto als permanentes Mitglied des Sicherheitsrats ausübte.

Einerseits repräsentiert die Enthaltung den Weg des geringsten Widerstandes für China. Sie kann als Umkehr zur Chinas langjähriger Unterstützung für die Unverletzlichkeit von Grenzen und das Bekenntnis zur Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten betrachtet werden. Aber es gibt zaghafte Anzeichen dafür, dass China sich nicht wohl damit fühlt, bei der Verteidigung von Putins Vorgehensweise und der damit einhergehenden möglichen Störung der Weltwirtschaft gesehen zu werden.

Besorgniserregende Störung

Putin mag seinen Respekt gegenüber China gezeigt haben, indem er die Invasion auf nach das Ende der Olympischen Winterspiele verschoben hat, aber konsultiert wurde China im Hinblick auf die Invasion nicht. Chinesische Diplomaten machten sich über die Prognosen einer Invasion lustig und ließen viele ihrer Bürger vor Ort. Am 4. Februar, dem Eröffnungstag der Olympischen Winterspiele in Peking, unterzeichneten Russland und China ein Abkommen über die Vertiefung ihrer Partnerschaft. Das Abkommen sah keine Invasion vor. China profitiert von der bestehenden Weltordnung und findet Instabilität beunruhigend.

Die Aussicht, dass Russland vom Swift-Zahlungssystem ausgeschlossen werden könnte, mag den chinesischen Bemühungen zugute kommen, eine Alternative aufzubauen. Aber die kurzfristige Störung ist besorgniserregend. Zum Beispiel war am Freitag auffällig, dass Russland hochrangige Gespräche mit der Ukraine in der belarussischen Hauptstadt Minsk anbot (wenn auch zu inakzeptablen Bedingungen), nachdem Putin mit Präsident Xi Jinping gesprochen hatte.

Vor der Abstimmung nahm der chinesische Außenminister drei Anrufe entgegen: von der britischen Außenministerin Liz Truss, dem EU-Außenpolitikchef Josep Borrell und Emmanuel Bonne, dem diplomatischen Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In diesen Gesprächen bekräftigte China seine Unterstützung für Nicht-Einmischung und die UN-Charta. Gleichzeitig drückte China Verständnis für Russlands Gefühl der Bedrohung durch fünf aufeinander folgende Erweiterungsrunden der Nato aus.

Auch wenn China sich verrenkt, indem es sich hartnäckig weigert, Putins Vorgehen als Invasion zu bezeichnen, zeigt es sich stärker bereit, auch Russland zu kritisieren. Ebenfalls am Freitag betonte China, es sei „absolut zwingend, dass alle Parteien die notwendige Zurückhaltung üben, um zu verhindern, dass die Situation in der Ukraine sich verschlechtert oder sogar außer Kontrolle gerät. Die Sicherheit von Leben und Eigentum der Menschen muss effektiv sichergestellt werden und insbesondere humanitäre Krisen sind zu verhindern“.

Die Ukraine, so hieß es weiter, sollte eine Brücke der Kommunikation zwischen Ost und West sein, nicht die Frontlinie der Konfrontation zwischen großen Ländern. Daraus lässt sich schließen, dass China es bevorzugen würde, wenn die Ukraine ein neutraler Staat wäre.

Russlands Ärger, Afrikas Haltung

Russland riskiert in diesem Zusammenhang Folgendes: Sollte es auf den Status eines Parias absinken, wäre seine Rolle gegenüber China eher die eines Bittstellers als eines zukünftigen Partners. Zudem wird sich Europa innerhalb von zehn Jahren von seiner Abhängigkeit von russischem Gas und Öl befreit haben – das ist in Rom und Berlin zu einem dringenden Imperativ geworden. Dann wird Russland auf China als Kunden angewiesen sein.

Für Russland gibt es eine weitere Gefahr. China ist stolz auf seinen Einfluss in Afrika. Alle afrikanischen Vertreter im Sicherheitsrat stimmten gegen Russland. Der kenianische Botschafter tat das mit der Begründung, auch frühere westliche Militärinterventionen abgelehnt zu haben.

Eine weitere Haltungsprüfung steht den afrikanischen Ländern unmittelbar bevor. Washington will die Einschätzung von Russlands Schuldhaftigkeit auch bei der 193 Mitglieder starken UN-Generalversammlung einholen, bei der alle Mitglieder abstimmen. Es formiert sich ein breites Bündnis hinter der ukrainischen Sache. In einer Debatte am Mittwoch verurteilten Länder von Guatemala über die Türkei bis Japan Russlands Anerkennung der separatistischen selbsternannten Republiken oder drückten ihre Unterstützung für die Ukraine aus.

Nach der russischen Eroberung der Krimhalbinsel 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, die das russische Referendum auf der Krim für ungültig erklärte. Die Resolution wurde mit 100 Stimmen angenommen, bei 11 Nein-Stimmen und 58 Enthaltungen sowie zwei Dutzend Ländern, die sich nicht beteiligten. Wenn es zu einer erneuten Abstimmung kommt, ist die Problemlage geringfügig anders. Aber die Invasion ist offener als 2014, die Sozialen Medien sind allgegenwärtiger und China, dessen Status auf der Weltbühne wächst, kann sich weniger leicht verstecken. Mit größerer Macht kommt vielleicht auch größere Verantwortung.

Patrick Wintour ist Autor des Guardian

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