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Transformation | Taub und blind, aber nicht stumm: Zustand der Linkspartei aus Sicht eines Sympathisanten


Link [2022-06-11 14:42:41]



In der Partei werden interne Streitigkeiten und Skandale in letzter Zeit nur von Wahlschlappen unterbrochen. Unser Autor hat drei Thesen, wo die Probleme der Linkspartei liegen und wie sie es in Zukunft besser machen kann

Darf der das, diese Frage wird glücklicherweise nicht mehr gestellt. Kann der das, das frage ich mich selbst. Kann ich als Nicht-Mitglied, das weder die internen Debatten kennt, noch irgendeine Verantwortung trägt, so vermessen sein, die Politik und den Zustand der Linkspartei zu kritisieren? Nun, vielleicht ist ja ein Blick von außen durchaus mal hilfreich. Und jeder Widerspruch zu meinen Betrachtungen, jeder Streit ist mir herzlich willkommen. Würde das doch signalisieren, dass es noch Hoffnung gibt.

Auch wenn ich kein Mitglied der Partei „Die Linke“ bin, kenne ich doch viele Menschen, die es sind und sich in dieser Partei engagieren. Sie haben meine Hochachtung. Ich bin davon überzeugt, dass sie mit den besten Absichten und Gewissen aktiv sind. Meine Kritik verbeißt sich nicht an ihnen, sondern versucht strukturelle und organisatorische Probleme und Beschränkungen zu diskutieren, die diesen von mir geschätzten Genossinnen und Genossen im Weg stehen.

1. Stumm ist die Partei nicht

Meine erste These klingt optimistisch, ist aber das Gegenteil davon. Die Linkspartei lebt und ist überhaupt nicht stumm! Sie bezieht Positionen und geht in die Öffentlichkeit, sie kritisiert zu Recht Regierungspolitik und erarbeitet kluge Alternativen. Also alles bestens? Wohl kaum, denn dieses lebendige Engagement lässt sich offensichtlich nicht in Wähler:innenstimmen umsetzen. Es ist auch nicht nur ein Problem der „Vermittlung“. Die Linke verkauft keine Waschmittel, die mit einer besseren Werbekampagne auf dem Markt zu etablieren wären. Was nicht heißt, dass die Kommunikation nicht besser werden muss (siehe den Artikel von Klingenberg im nd vom 30.04.22).

Zuvorderst ist es ein Problem der Inhalte, nicht der konkreten politischen Positionen (die mag man graduell mal für mehr oder weniger gelungen halten), sondern der durch den politischen Apparat bedingten Überformungen der Inhalte. Noch bevor man eine bestimmte, konkrete Forderung wahrnimmt, wird diese als Statement aus dem politischen Betrieb erkannt – und als unbedeutend nicht weiter zur Kenntnis genommen. Natürlich mit Ausnahme der Menschen, die selbst professionell (zumindest in Teilzeit) in dem Bereich gesellschaftlicher Arbeitsteilung aktiv sind, der das politisch-parlamentarische System mit seinem Zubehör ausmacht. Das ist ein Problem. Natürlich müssen Beschlüsse eines Parteivorstandes oder Erklärungen einer Fraktion für die Kommunikation der Polit-Profis angemessen sein, sonst werden sie nicht ernst genommen. Aber diese Botschaften dringen kaum über ihren institutionellen Zusammenhang hinaus. Und wenn, dann eben als Botschaften des politischen Systems, die in der Wahrnehmung der Laien nur von geringer Bedeutung sind.

Oskar Negt und Alexander Kluge verdeutlichten das einmal mit den Rohstoffquellen des Politischen, zu dem die professionelle Politik nur wenig beitrage. Wenn dem so ist, und davon bin ich mit meinen Erfahrungen überzeugt, dann ist es verheerend für das Leben einer Partei, wenn Inhalte, Strukturen und Zeitvorgaben sich fast ausschließlich auf diesen Bereich beziehen. Hier nur einfach noch mehr Plakate zu hängen, noch engagierter zu arbeiten und noch entschiedener Positionen zu vertreten und noch einfühlsamer ans Publikum zu vermitteln, bringt überhaupt nichts. Um nicht falsch verstanden zu werden: parlamentarische Arbeit ist wichtig und darf keinesfalls unterbleiben. Aber linke Politik darf sich darin nicht erschöpfen, linke Politik muss mehr, viel mehr sein als die kritische Mitarbeit im politischen System der Repräsentation.

2. Die Linkspartei ist taub

Um das wenigstens anzudeuten, meine zweite These: die Linke ist leider taub. Damit eine sozialistische Partei jemals politisch regierungsfähig sein kann, muss sie zuvor kulturell führend sein – so kann man es schon lange bei Gramsci lesen. Kulturelle Führung setzt einen Dialog mit denen voraus, die man, für die man regieren möchte. Und Dialog beginnt mit dem Zuhören. Aber die Linkspartei hat diese Fähigkeit noch nicht erworben. Ich spreche bewusst nicht davon, dass sie die Fähigkeit verloren hat. Wenn es jemals ein organisches Dialogverhältnis zwischen der Partei und den Massen gegeben hat (haben sollte, nicht einmal da wäre ich mir sicher), dann hat es der Faschismus blutig zerschlagen und im Osten der Staatssozialismus es bürokratisch (in seinen freundlichen Zeiten) verhindert, im Westen das Wirtschaftswunder obsolet gemacht.

Dass die Linke in den neuen Bundesländern einige Jahre als Partei agieren konnte, die die Sorgen und Nöte der einfachen Leute aufnahm, sich um sie kümmerte und auch so wahrgenommen wurde, scheint gegen meine Einschätzung zu sprechen. Tut es aber nicht wirklich, denn was sich da zeigte, war die gemeinsame Erfahrung des Beitritts zur BRD von den Parteiaktiven und einem (großen) Teil der Bevölkerung. Doch in dem Maße, wie diese Erfahrung demografisch an Bedeutung verlor, verschwand auch der Zusammenhang. Dabei hatte es gerade zu Beginn der PDS viele Überlegungen zu einer Reform der Partei gegeben, die zu dialogischen Prozessen hätten beitragen können, doch wurden sie, da man sich seiner Wahlerfolge sicher glaubte, nicht ernsthaft weiterverfolgt. Nun müssen mühsam Instrumente gefunden werden, die die Partei – oder noch bescheidener – eine linke Perspektive, wieder in das Alltagsgespräch bringt. Und dazu müsste man Anstrengungen unternehmen, diesen Gesprächen erst einmal zuzuhören.

Um noch einmal Negt und Kluge zu bemühen: die Rohstoffquellen des Politischen sind die Orte der Produktion, der Familie und der Freizeit, des Konsums. Davon ist die Linkspartei weitgehend abgeschnitten, sie bewegt sich, wie angedeutet, im selbstreferentiellen Feld der professionellen Politik, bzw. finden die Genossinnen und Genossen, die an den Quellen sind, keine angemessene Aufmerksamkeit. Man betrachte allein einmal die Zusammensetzung der Parteigremien. Natürlich werden die einfachen Mitglieder nicht mit bösem Willen ausgeschlossen.

Ich kenne viele Funktionäre der Partei, die es sehr begrüßen würden, wenn sich die einfachen Mitglieder stärker engagieren und ihre Erfahrungen einbringen würden. Doch warum tun sie es nicht? Was wohl nur eine rhetorische Frage ist. Will man die Partei ernsthaft aus ihrer gesellschaftlichen Isolation führen, kann man nicht daraufsetzen, dass das mit etwas freundlicher Ermutigung von allein geschieht. Von allein setzen sich die ohnehin schon Starken durch, akademisch qualifiziert und geschult in diskursiven Auseinandersetzungen. Will die Linke ihre weitgehende Taubheit für die Probleme und Sorgen, das Leid und die Not des Alltags überwinden, muss sie dafür bewusst Foren und Räume schaffen, in denen sie sich artikulieren können, ohne zugleich belehrt und überstimmt zu werden.

3. Mit kritischer Bildung sehen lernen

Diese Einrichtung nenne ich Bildung, genauer gesagt: kritisch-politische Bildung. Nicht Schulung, nicht Qualifizierung, nicht Lehrgang, nicht Training. Das alles ist Fortsetzung von Machtpolitik mit anderen Mitteln. Bildung in der Tradition der sozialistischen Befreiung, verbunden mit den Konzepten von Bernfeld bis Freire, meint etwas völlig anderes, nämlich einen kritischen Prozess der Selbstverständigung, um artikulations- und handlungsfähig zu werden. Die „Lehrer:innen“ sind dabei nicht die Besserwisser, sondern Begleiter:innen auf diesem Weg. Mehr noch: sie sind Lernende, das heißt, sie hören zu.

Damit wird die Taubheit der Partei punktuell aufgebrochen. Aber in einen Dialog kommt man nur, wenn man auch etwas zu sagen hat – und zwar auf dieser Ebene, nicht in Drucksachen. Doch was hat die Linke denn zu sagen? Gewiss, die Stellungnahmen im politischen Betrieb sind profund, kommen aber nicht im Alltag der Subalternen an. Um etwas über den Betrieb hinaus sagen zu können, müsste man sehen können. Nämlich wie sich im Alltag Hoffnungen halten und Träume platzen, wo Ecken und Kanten und Sand das System manchmal holpern lassen, welche Ideen und Interessen über das Bestehende hinaus weisen. Das findet sich auf keiner Tagesordnung irgendeines Gremiums, denn es ist der Rohstoff des Politischen, der erst noch zu bearbeiten ist (was man nicht, auch das wäre eine Lehre aus den letzten Jahren, nicht der Medienindustrie und den Rechten überlassen darf).

Das kann die Linke nur, wenn sie im Dialog Angebote macht, wie die bessere Welt denn aussehen könnte. Morgen, in fünf Jahren, in zwanzig Jahren, im Alltag. Sehen wir da was? Eher nicht. Keinesfalls erwarte ich von einem Parteivorstand, dass er sich höchstselbst in Utopien ergeht (er könnte sie am Ende mit einem durchzusetzenden Programm verwechseln und alles noch schlimmer machen!), wohl aber, dass er andere ermutigt, soziale und politische Fantasie zu entwickeln. Der eine Ort ist die kritisch-politische Bildungsarbeit. Ein zweiter Ort ist die Ästhetik des Widerstands: Theater, Malerei, Musik, Literatur usw. können das leisten – ihnen ist der utopische Überschuss innewohnend. Beide Felder sind gegenwärtig Leerstellen in der Partei.

Doch eine Politik der Förderung von Bildungsarbeit und kultureller Artikulation vermag auf den verschiedenen Ebenen zur Perspektivgewinnung über die Realpolitik hinaus beitragen. Hören und sehen lernen, sind keine Aufgaben, die kurzfristig Erfolge zeitigen, aber es sind Aufgaben, die unverzichtbar sind. Und dann hätte man auch was zu sagen.

Uwe Hirschfeld hat von 1992 bis 2020 an der Ev. Hochschule Dresden mit dem Schwerpunkt „Politische Theorie und Bildung“ gearbeitet, seitdem ist er in Rente und freiberuflich mit Beiträgen zu politisch-kultureller Bildung und Fotografie aktiv. https://uwe-hirschfeld.de

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