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Tierwohl | Der Sonntagsbraten ist politisch


Link [2022-06-12 12:42:00]



Cem Özdemir stellt den Fünf-Stufen-Plan vor, um die Situation in den Ställen zu verbessern. Und die FDP? Bremst ihn aus. Dabei gibt es unschlagbare Argumente für mehr Tierwohl in der Landwirtschaft

Seit Jahren wird darüber debattiert, wie Tiere in der Landwirtschaft gehalten werden sollen. Ebenso lange ringen Tierschutzverbände mit Handel, Fleischwirtschaft, Politikern und Agrarverbänden um Lösungen. Aus Mangel an verpflichtenden staatlichen Kennzeichnungen hatten sich private Akteure während der Großen Koalition zur „Initiative Tierwohl“ zusammengeschlossen: Diese finanziert Tierhalter, wenn sie ihre Ställe über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus verbessern. Kaum ausreichend, um die massiven Tierschutzprobleme zu lösen – und das war auch allen Beteiligten klar.

Nun hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Eckpunkte für eine verpflichtende Kennzeichnung für alle Haltungsformen vorgestellt: Zunächst soll frisches Schweinefleisch gekennzeichnet werden, später auch Fleisch von allen anderen Tierarten, ebenso wie verarbeitetes Fleisch von Tieren aus Deutschland. Für importierte Fleischprodukte kann das Label auch verwendet werden, muss es aber nicht. Ausgewiesen werden fünf Haltungsformen: „Stall“, „Stall+Platz“, „Frischluftstall“, „Auslauf/Freiland“ und „Bio“. Der zuständige Minister Cem Özdemir (Grüne) sagte bei der Vorstellung, mit dem Fünf-Stufen-Plan werde eine „seit Jahren überfällige Transparenz“ geschaffen. 2023 sollen die ersten Produkte mit Haltungskennzeichnung im Laden zu finden sein.

Das ist ein wichtiger Fortschritt. Trotzdem bleiben die Vorschläge nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Seit 20 Jahren ist der Schutz der Tiere als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Doch seitdem hat sich der Gesundheitszustand in den Ställen nicht verbessert. Dabei wird weltweit so viel Fleisch produziert – 341 Millionen Tonnen im Jahr 2018 –, dass die Biomasse der sogenannten Nutztiere um ein Vielfaches größer ist als die Masse aller wildlebenden Tiere.

Viel Klimagas, wenig Nahrung

Stellte man die Tiere aus der Landwirtschaft auf eine Waagschale und sämtliche Elefanten, Löwen, Antilopen, Eisbären, Rehe, Hasen etc. auf eine andere, würde die Waagschale mit den Stalltieren nach unten schnellen. Die Felder, auf denen Futtermittel angebaut werden, machen 40 Prozent der gesamten weltweiten Ackerfläche aus. Beinahe 60 Prozent der gesamten Emissionen aus der Lebensmittelproduktion kommen aus der Fleisch- und Milchbranche. Und das, obwohl die Branche nur 18 Prozent der Kalorien und 37 Prozent der Eiweiße für die Ernährung der Menschen liefert: viel Treibhausgas für wenig Nahrung!

Obendrein bringt der in weiten Teilen der Welt immer noch völlig sorglose Umgang mit Antibiotika multiresistente Keime hervor, so dass Mediziner mit größten Sorgen ein „post-antibiotisches Zeitalter“ kommen sehen. Die Eat-Lancet-Kommission, das ist ein Zusammenschluss von Ernährungsmediziner*innen sowie Ressourcenforscher*innen, bringt es auf den Punkt: „Die Fleischfrage entscheidet über die Zukunft des Planeten.“ Und sie spaltet unsere Gesellschaft: Tierrechtler und Schweinemäster stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der Sonntagsbraten ist politisch geworden.

Wir brauchen also nicht nur eine Haltungskennzeichnung, sondern eine staatliche Förderung für einen grundsätzlichen Um- und Abbau der Tierhaltung. Wissenschaftliche Gutachten und auch die Zukunftskommission Landwirtschaft fordern dafür staatliche Gelder, um den landwirtschaftlichen Betrieben diese gewaltigen Änderungen zu erleichtern.

Doch genau das blockiert bislang die FPD: Sie lehnt eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch ebenso ab wie eine Abgabe fürs Tierwohl. Im Agrar-Etat seien doch bereits eine Milliarde Euro für Stallumbauten vorgesehen. Zu wenig, sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. Und FDP-Fraktionsvize Carina Konrad antwortet: „Das Agrarministerium kann weitere Mittel aus seinem eigenen Haushalt priorisiert zur Verfügung stellen.“ Cem Özdemir kommentiert diese Haltung mit dem Satz: „Ein Koalitionspartner braucht da offensichtlich noch mehr Zeit.“ Und wirbt vehement für eine höher ausfallende Finanzierung des Stallumbaus: Es gehe ja – im Vergleich zu Investitionen anderer Ministerien – um eine schwäbische Summe. Außerdem bringe kaum eine Investition mehr Gewinn für die Allgemeinheit: „Sie kriegen mit jedem Euro, den sie investieren, Klimaschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz und Hofnachfolge.“

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