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Thüringen | „Die Tür zur AfD ist zu“


Link [2022-02-05 15:00:45]



Zwei Jahre ist die „Schande von Erfurt“ her. Damals wählten CDU und FDP gestützt von der AfD Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Haben die Christdemokraten daraus gelernt? Der Autor Martin Debes weiß es

Am 5. Februar 2020 brach die CDU in Erfurt ein Tabu: Sie wählte zusammen mit der AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Die Wahl ließ das politische Thüringen kurzzeitig ins Chaos stürzen und die Große Koalition im Bund wackeln. Der Journalist Martin Debes war mittendrin – und analysiert, was auf den Schock der Demokratie folgte.

der Freitag: Herr Debes, ist die Tür der CDU in Richtung der AfD nun wieder geschlossen?

Martin Debes: Ja. Der Schock von 2020 hat die strategische Trennlinie der Union zur AfD verstärkt – wenn auch nicht unbedingt in den Köpfen aller CDU-Politiker in Thüringen.

Jetzt versuchte die AfD erneut einen Coup, sie stellte den CDU-Politiker Max Otte als Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl auf.

Und sie scheitert mit dieser Provokation. Die AfD machte Friedrich Merz mit dieser Kandidatur schon fast ein Geschenk, weil er sich damit als frisch gewählter Vorsitzender klar nach rechts abgrenzen kann. Es dürfte einfach werden, Otte aus der CDU auszuschließen. Und: Mit seiner Nominierung ist die Werteunion implodiert.

Der Parteirechte Hans-Georg Maaßen erklärte seinen Austritt aus der Werteunion. Das war 2020 noch undenkbar, oder?

Die Werteunion war mit ihren 4.000 Mitgliedern auch 2020 nur ein Scheinriese. Dennoch konnte Maaßen sie als Plattform nutzen und mit ihr aufsteigen. Er warb für die Wahl eines Ministerpräsidenten mithilfe der AfD, er begrüßte die Amtsübernahme Kemmerichs, er ließ sich in Südthüringen als Direktkandidat aufstellen. Aber alle seine Versuche, die CDU zur AfD zu öffnen, sind vorläufig gescheitert.

Das stellte sich die AfD wohl anders vor, als sie die Abwahl des linken Ministerpräsident Bodo Ramelow feierte …

Die zentrale Taktik der AfD war schon immer die maximale Provokation. Zumindest in der eigenen Klientel funktionieren diese Propagandamanöver sehr gut. Die Basis war begeistert: Man hatte den Ramelow und die linke Regierung abgewählt! Dies stärkte die extreme Rechte um Björn Höcke und schwächte das angeblich wirtschaftsliberale Lager um Parteichef Jörg Meuthen, wobei der damals auch applaudierte.

Er trat jetzt aus der AfD aus.

Das ist der Preis der permanenten Provokation. So wie die AfD im Februar 2020 alle Brücken zur Bundes-CDU abbrannte, so verliert sie jetzt mit der Werteunion ihr letztes wichtiges Scharnier zur Union. Die Provokation von Thüringen bleibt allerdings beispiellos: Dass die AfD im Erfurter Landtag ihren eigenen Kandidaten Christoph Kindervater nicht wählte, war ein kalkulierter Betrug am Parlament, der großen Schaden anrichtete, aber auch die etablierten Parteien bloßstellte. Dass Angela Merkel auf ihrer Auslandsreise als Kanzlerin in Südafrika für die CDU die Rücknahme der Wahl in Thüringen forderte, hat viel zum Schaden beigetragen.

Die AfD klagt deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht.

Vor zwei Jahren zeigte sich in Thüringen, wie Parteipolitik werden kann, wenn es um Machtübernahme und Machterhalt geht. Dann werden die Grenzen der Demokratie auch schon mal ausgetestet …

Zur Person

Foto: Imago Images

Martin Debes arbeitet als Chefreporter für die Zeitungen der Funke-Mediengruppe in Thüringen. Sein Buch Demokratie unter Schock. Wie die AfD einen Ministerpräsidenten wählte erschien 2021 im Klartext-Verlag

Wie steht es heute um die Regierung in Thüringen? Rot-Rot-Grün regiert in der Minderheit, der mit der CDU vereinbarte Stabilitätspakt lief aus, als es keine Neuwahlen gab ...

Ja, es gibt keinerlei offizielle Kooperation mehr zwischen der Regierung und der CDU oder gar der FDP. Deshalb gab es auch lange keinen Landeshaushalt für dieses Jahr, erst in diesen Tagen wird er verabschiedet. Jedes Gesetz und jeder Antrag muss im Parlament besprochen werden.

Klingt doch sehr demokratisch?

Das könnte sogar Vorbildcharakter besitzen – wäre in Thüringen nicht alles so besonders verzwickt. Es existieren nun mal große ideologische Barrieren zwischen der Linken und der CDU; die Union hat sogar einen formalen Abgrenzungsbeschluss gefasst. Das macht die gesamte Konstellation so instabil und gibt der AfD die Gelegenheit, ihr Destruktionsspiel zu betreiben.

Sie sehen nicht die unklare Abgrenzung der CDU zur AfD als Ursache für die Wahl Kemmerichs, sondern die instabile Parteienkonstellation?

Ja, als Hauptursache jedenfalls. Es gab keine Mehrheit im Landtag und auch keine Aussicht auf eine formale Duldung einer Minderheitsregierung. Das stellte die parlamentarische Demokratie vor eine sehr komplizierte Situation – und die CDU vor eine Zerreißprobe. Ein kleiner Teil der Basis und sogar der Funktionäre schloss eine Zusammenarbeit mit der AfD zumindest nicht aus. Ein noch kleinerer Teil konnte sich eine Tolerierung der Linken vorstellen. Und dann gab es die große Mehrheit in der Mitte, die beides ausschloss.

Trotzdem wählte die Fraktion mit der AfD!

Man sollte fair bleiben: Das Ja für Kemmerich war kein Ja zur gemeinsamen Abstimmung mit der AfD. Die AfD hatte einen eigenen Kandidaten aufgestellt und ihn in den ersten beiden Wahlgängen auch gewählt. Im dritten Wahlgang erhielt die CDU die Wahl zwischen Kemmerich und Ramelow – und entschied sich für den Liberalen. Die klar sichtbaren Risiken nahmen die meisten Abgeordneten offenkundig billigend in Kauf.

Es gab durchaus Warnungen, dass die AfD Kemmerich wählen könnte.

Aber sie wurden nicht ernst genommen. Ich habe noch am Morgen der Wahl mit dem Ex-Ministerpräsidenten der CDU, Bernhard Vogel, telefoniert. An die Möglichkeit, dass die AfD geschlossen nicht ihren eigenen Kandidaten wählt, sondern Kemmerich – daran hat er einfach nicht geglaubt. Überhaupt waren die meisten Beteiligten mit der Situation überfordert, auch die Linkspartei. Hätte ihr die CDU eine echte Kooperation angeboten, wäre die Partei zerrissen worden. Ramelow hätte sich eine technische Koalition vorstellen können. Doch die damalige Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow und große Teile der Partei hätten dem nie zugestimmt.

So aber brachte die AfD die CDU in eine Situation der politischen Lähmung: Sie konnte nicht für Ramelow stimmen, sie konnte keinen eigenen Kandidaten aufstellen, den die AfD gewählt hätte …

… und sie wollte sich nicht enthalten, weil sie damit den Linken Ramelow und Rot-Rot-Grün an der Regierung gehalten hätte. Man darf nicht vergessen, dass die Ost-CDU vor 1990 zur Nationalen Front unter Führung der SED gehörte. Ihre zumeist verdrängte DDR-Geschichte als Blockpartei wäre wieder thematisiert worden. Hinzu kommt die inhaltliche Nähe zu den gemäßigten Positionen der AfD. Das erste Programm der Thüringer AfD war ein Retro-Programm der CDU der 80er Jahre.

Die Union verhalf also einem FDP-Politiker von AfD-Gnaden ins Amt. Deutschlandweit gab es Proteste gegen diesen „Pakt mit dem Faschismus“ ...

Der Protest kam in Thüringen aus Erfurt, Jena, Weimar, den kleinen urbanen Zentren. Auf dem Land aber sind CDU und AfD stärker. Dort war die Stimmung anders. Viele hielten Kemmerich für einen legitim gewählten Ministerpräsidenten und fühlten sich eher provoziert dadurch, dass vor allem die Linke sofort den Nazi-Vergleich zog.

Sie meinen den Vergleich mit 1924, als der Ordnungsbund in Thüringen mit Tolerierung der Nazis regierte. Den zogen doch auch Historiker?

Es ist ein zulässiger Vergleich, aber keine Analogie. Die Frage, die uns die Geschichte stellt, ist doch die: Bleibt die Ermächtigung der AfD eine Episode oder könnte sie der Beginn einer Entwicklung wie in der Weimarer Republik sein? Wird der Spalt in der Tür zu den Feinden der Demokratie größer oder schließt sich die Tür wieder? Die Ereignisse danach zeigen, dass die Tür wieder zu ist. Vorerst.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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