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Theater | Schweinereien von Elfriede Jelinek: Sau Covid


Link [2022-05-25 09:13:59]



Stefan Bachmann inszeniert Elfriede Jelinek am Schauspiel Frankfurt. Erneut erzählt sie vom Schlechtesten im Menschen – wenn sich Volkes Stimme rund um Corona in Verschwörungstheorien hineinsteigert

Der Mensch ist ein Schwein. Und im Fall von Stefan Bachmanns Uraufführung von Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! Was ich sagen wollte am Schauspiel Frankfurt darf man dies nicht nur bildlich verstehen. Die DarstellerInnen erscheinen nämlich allesamt tatsächlich in rosa Kostümen als Borstentiere, was durchaus der Textvorlage aus der Feder Elfriede Jelineks Rechnung trägt. Zwar arbeitet sie sich auch in diesem Drama an virulenten politischen Krisen und Herausforderungen unserer Zeit ab, gleichwohl greift sie dabei auf eine Episode aus der Mythologie um Odysseus zurück. Als dieser nämlich auf der Insel Aiaia ankommt, verwandelt die Magierin Kirke einen Teil seiner Gefährten in Schweine.

In der spätmodernen Verarbeitung mag nun weniger die Willkür einer mächtigen Frau für die Verzauberung verantwortlich sein als vielmehr ein schauerliches, vor allem die Lunge befallendes Virus. „Schade, dass Sie keinen Atem mehr haben“ – so die wertvolle Empathiebekundung einer der Figuren. Aber halb so schlimm, denn Sauerstoff gilt ohnehin schon als knappes Gut, da ja einer seiner Hauptproduzenten, der Regenwald, bald nur noch als Bild in den Geschichtsbüchern auftaucht. Davon einmal ganz abgesehen kostete die Pandemie zudem viele den Job. Aber auch das macht nichts. So konnten sich all die Arbeitslosen in Bergamo immerhin beim Ausheben von Ruhestätten betätigen, schließlich lautet das Motto: „Graben (…) kann jeder.“

Solcherlei zynische Zuspitzungen finden sich zahlreich in dem galligen Werk der 1946 in Mürzzuschlag geborenen Nobelpreisträgerin. Erneut erzählt sie vom Schlechtesten, eben dem Schweinischen im Menschen. Ihre Gesellschaftsabrechnung richtet sich hierbei vor allem auf die vox populi. Genauer auf all jene, die sich in Verschwörungstheorien hineinsteigern. Gewiss ist nur noch: Die „Viren tanzen Polka“, nur warum? Bestimmt, weil sie als Biowaffe fungieren und von Bill Gates und den Rothschilds in die Welt gesetzt wurden. Dass sie möglicherweise mit der Handystrahlung in Verbindung stehen, sollte auch nicht von der Hand gewiesen werden. Aber Ansteckung droht ohnehin überall. Selbst zwei geöffnete Schenkel, in die die Ischgl-Fans und die „Muschi-Freunde Karlsruhe“ auf ihren Laptops hineinschauen, nachdem sie zum Ausspannen mal Frau und Kind zu Hause lassen durften, bergen, wie wir erfahren, ein Ansteckungsrisiko.

Sie starren in die Vulva

So sarkastisch Jelinek die Spinnereien und Phantasmagorien rund um Corona ausmalt, so herrlich absurd fällt auch Bachmanns Umsetzung aus. Während die Schweine in besagte Vulva starren, futtern sie Popcorn oder kopulieren kurzerhand auf der Bühne. Derweil bekundet eins von ihnen in tiefstem kurpfälzischen Dialekt seine Geilheit. In diesem Schauspiel kann eben niemand aus seiner Haut, erst recht nicht aus seiner vertrauten Echokammer. Auch deshalb dürfte sich die Regie für eine gigantische Rondellbühne entschieden haben. Indem sie sich permanent um die eigene Achse dreht, gibt sie nicht nur eine Metapher für das Verrühren von Gerüchten und Halbweisheiten ab, sondern spiegelt zugleich die endlose Selbstzirkularität von Erklärungs- und Verklärungsversuchen der Pandemie. Passend dazu wird das Spiel der mal im Chor, mal einzeln sprechenden DarstellerInnen (unter anderen Christina Geiße, Heidi Ecks und Heiko Raulin) mit einer beinah durchgängigen Livemusik von Synthesizer und Piano unterlegt. Ein Takt, der kein Entkommen zulässt.

Ein Außerhalb der selbst gezimmerten Weltdeutung gibt es nicht, weswegen in Jelineks engmaschig gewobener Textur alles mit allem zusammenhängt. So wie die Schweine im antiken Mythos in Koben landen, so sind im 21. Jahrhundert gemäß der Schilderung der ProtagonistInnen auch ihre Schlachter gleich mitgefangen. Tiere und Arbeiter erweisen sich in der Analogiebildung als Teil desselben Unterdrückungsapparats, nämlich eines in alle Bereiche des Daseins hineinwirkenden Kapitalismus. Dass Jelineks geniale Sprachästhetik manchmal nur einen Satz oder gar bisweilen nur ein Wort benötigt, um die Verwobenheit verschiedener Diskurse zu veranschaulichen, zeigt sich insbesondere an dem Begriff „Mast“. Er weist sowohl auf den megagefährlichen Handymast als auch auf die Haltungsform von Säuen und darüber hinaus noch auf den Phallus hin. Allpräsent ist Letzterer, bei den sexfreudigen Tirol-Superspreadern, als Schwerter der szeneweise in antiker Soldatenaufmachung auftretenden Schweine und schließlich in einer chauvinistischen Ökonomie insgesamt.

Wer verspricht noch Rettung in dieser Zeit? Wer bringt noch Licht ins Dunkel, wo doch die Wahrheit irgendwo in dem großen Loch inmitten der Drehbühne verborgen liegt? Natürlich nur Sebastian Kurz. Nachdem das Stück bereits im letzten Jahr virtuos von Karin Beier in Hamburg inszeniert wurde, schrieb Jelinek den Textteil Was ich sagen wollte über Aufstieg und Fall des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers nun exklusiv für das Schauspiel Frankfurt. Aus den Wortkaskaden ragt er, gemimt von mehreren Schweinen, als jesusgleicher Erlöser hervor. „Er sagt, er teilt mit uns. Aber was teilt er uns mit?“, lautet die Frage, auf die es keine Antwort gibt. Sei’s drum, bekennt doch eine der Figuren: „Ich verstehe selbst nicht, was ich da sage, aber ich weiß alles.“ Damit ist irgendwie auch schon wieder alles über unsere Debattengesellschaft samt ihren sich in den sozialen Netzwerken tummelnden ExpertInnen für alles gesagt. Immerhin kann man in Stefan Bachmanns Aufführung gehörig über den beklagenswerten Zustand unserer Gegenwart lachen. Denn die Realität, so die Erkenntnis, gleicht am Ende eben doch nur einer bodenlosen Groteske.

Info

Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen! Was ich sagen wollte Elfriede Jelinek Regie: Stefan Bachmann, Schauspielhaus Frankfurt, 23. und 29. Mai 2022

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