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Streaming | Hey, Big Blender!


Link [2022-04-22 13:54:59]



„The Dropout“ über Elizabeth Holmes’ Unternehmen Theranos reiht sich ein in den aktuellen Serientrend über Betrügereien im großen Stil. Zugleich erzählt die Serie pointiert vom toxischen Kult um Silicon-Valley-Ikonen

Ein augenöffnendes Gespräch hätte alles verhindern können: die Gründung des Blutdiagnostik-Start-ups Theranos und den anschließenden Skandal um dessen betrügerische CEO Elizabeth Holmes. Doch, wie in der ersten Folge der Hulu-Miniserie The Dropout prägnant eingefangen wird, dringen die klaren Worte, die die renommierte Universitätsprofessorin Dr. Phyllis Gardner (Laurie Metcalf) in ihrem Büro in Stanford 2002 ausspricht, einfach nicht in die Wahrnehmungswelt von Elizabeth (Amanda Seyfried) durch. Nachdem sie Elizabeths vage Idee, Schwerkranke mit datengesteuerten Dosierungspflastern zu behandeln, als realitätsfern zerpflückt hat, bestärkt Dr. Gardner die junge Studentin dennoch darin, es weiter zu versuchen. Diese hält ihr daraufhin die Worte des allwissenden Star-Wars-Mentors Yoda entgegen: „Tu es oder tu es nicht. Es gibt kein ‚versuchen‘!“ Der Reife einer erfahrenen und in ihrem Fachgebiet bewährten Professorin wird ein Ehrgeiz entgegengesetzt, der popkulturell verpackt, aber nicht von echtem Wissendrang getrieben scheint.

Ein Tropfen Blut soll reichen

Fortan nimmt das Unheil seinen Lauf: 2003 gründet die damals erst 19-jährige Elizabeth Holmes ihr Start-up Theranos, dessen Versprechen lautet: Aus nur einem Tropfen Blut aus der Fingerkuppe lassen sich mithilfe einer revolutionären Technologie Dutzende verschiedener Blutwerte ermitteln, wodurch eine deutlich schnellere, günstigere und genauere Diagnostik erfolgen sollte. 2017 stellt sich endgültig heraus, dass Theranos trotz millionenschwerer Investitionen, schwergewichtiger Altpolitiker im Vorstand (u. a. Henry Kissinger), Deals mit Drogerieketten und viel Presserummel über keine funktionierenden Geräte verfügt und stattdessen Patient*innen und Investor*innen wissentlich mit inakkuraten Ergebnissen täuscht.

Mit der Nacherzählung dieser Betrügerei erscheint die von Elizabeth Meriwether (Showrunnerin von New Girl) geschaffene und auf dem gleichnamigen Podcast beruhende Miniserie The Dropout wie das jüngste Beispiel eines in diesem Jahr sehr offensichtlich gewordenen Serientrends: sogenannte „Grifter Stories“, die auf wahren, nur wenige Jahre zurückliegenden Gaunereien im großen Stil beruhen – man denke an Inventing Anna über die Fake Socialite Anna Delvey, die Doku The Tinder Swindler über den „Romance Scammer“ Simon Leviev und zuletzt WeCrashed über das maßlos überschätzte Start-up WeWork und dessen verschwenderisch bis betrügerisch agierenden Gründer Adam Neumann. Wie üblich folgte auf die Feststellung dieses Serienphänomens sehr bald auch die Verkündung eines Überdrusses: Nicht nur seien diese Fälle schon vielfach medial bearbeitet worden (in Podcasts, Magazinartikeln, Sachbüchern), sondern erschienen zudem wie ein Subgenre der seit Jahren florierenden True Crime Stories. Statt wahrer Morde nun also lieber wahre Betrugsfälle, die dem Publikum harmlose Schadenfreude bieten, statt dessen ethisch bedenklicheren Voyeurismus zu bedienen?

Dieser Erklärungsansatz ist durchaus gerechtfertigt, zumal es auch scheint, als ginge die fieberhafte Produktion solcher Grifter-Serien mit dem Content-Hunger all der neuen Streaminganbieter einher. Aber The Dropout sticht aus dieser Reihe von Betrugsgeschichten ebenso hervor wie WeCrashed und die auch in diesem Jahr erschienene Showtime-Serie Super Pumped über den Aufstieg und Fall des Uber-CEO Travis Kalanick. Es geht in diesen Serien nicht (nur) um Hochstapelei, sondern um ein Milieu, in dem unternehmerische Blenderei seit jeher dazuzugehören scheint: die am Glanz des Silicon Valley orientierte Start-up-Szene.

The Dropout widmet sich dieser durch die Augen der Protagonistin, die 2001 kurz vor dem Beginn des Chemietechnik-Studiums an der kalifornischen Universität Stanford steht. Amanda Seyfried spielt sie zunächst als ernste junge Frau, deren Ehrgeiz von einer großen sozialen Unbeholfenheit begleitet wird. Interessanterweise scheint ihr Antrieb von keiner fachbezogenen Leidenschaft geprägt zu sein, sondern vielmehr vom Drang, die „Welt zu verändern“ und im Zuge dessen Milliardärin zu werden, wie sie in familiärer Runde äußert. Im Jugendzimmer hängt ein Poster ihres Idols Steve Jobs an der Wand, Bücher von Bill Gates begleiten sie ins Studentenwohnheim und mehrfach bezieht sie sich im Verlauf der Serie auf weitere Silicon-Valley-Ikonen wie etwa die Yahoo!-Gründer David Filo und Jerry Yang und natürlich Mark Zuckerberg, dessen disruptiver Leitspruch „Move fast and break things“ an prägnanter Stelle von ihr platziert wird.

Schnell Dinge kaputt machen

Ein steter Drang nach Disruption, so stellen es die ersten Folgen von The Dropout dar, bewegt die junge Elizabeth dazu, nach nur wenigen Semestern in Stanford den Rest ihres College-Fonds in die Gründung ihres Start-ups zu investieren. Dieses besteht zunächst aus einem schäbigen Büro in Palo Alto und fieberhaft an der Umsetzung von Elizabeths Idee tüftelnden Wissenschaftlern. Als nach Monaten immer noch kein funktionierender Prototyp vorhanden ist, findet sich Elizabeth in der Bredouille wieder, die viele junge Gründer*innen heimsucht: Ohne Geld können sie nicht weiter am Prototyp arbeiten, und ohne Prototyp gibt es kein Geld. „Es ist komplett unlogisch“, raunt sie ihrem Berater Channing Robertson (Bill Irwin) zu. Seine pointierte Antwort: „Das ist ein Start-up.“

Die fatale Denkspirale, der Elizabeth bald erliegt, ist, ihre Geschäftsidee bald nur noch nach Manier eines Tech-Start-ups zu verkaufen – wie es Adam Neumann mit seinem Büroflächen-Unternehmen und Travis Kalanick mit seinem Fahrdienst versuchten. Im Unterschied zu denen kann Holmes ihren Investoren aber die für Tech-Start-Ups übliche reizvolle Balance aus niedrigen Ausgaben und hohen Einnahmen nicht bieten. Im Falle von Theranos ist die Anwendung von Silicon-Valley-Verkaufsstrategien sogar bedenklich, da es um das gesundheitliche Wohl von Menschen geht. Ungeachtet dessen lässt sich Elizabeth von Oracle-Gründer Larry Ellison (Hart Bochner) auf dessen Yacht ein Grundprinzip einbläuen: „GTFM – Get The Fucking Money!“ Darauf folgt ein betrügerischer Bluff bei einer Präsentation des Prototyps vor einer Pharmafirma in Basel, der eine totale Hinwendung zum „Fake it till you make it“-Glaubenssatz nach sich zieht.

Anders als WeCrashed und Super Pumped erliegt The Dropout im weiteren Verlauf nicht dem Reiz, die belustigenden Aspekte des auf Manipulationen beruhenden Geschäftsirrsinns dieser CEOs in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr scheinen die Macher*innen von The Dropout darauf bedacht, näher zu ergründen, welche Faktoren Elizabeths Täuschung begünstigt haben. Einer davon ist die Ehrfurcht, mit der nicht aus der Tech-Szene stammende „alte weiße Männer“ der Ideenschmiede des Silicon Valley begegnen. Da sind zum einen die väterlichen Vorstandsmitglieder, die wohl entsprechend der „Sunk Cost Fallacy“ nicht davon ablassen konnten, hier einer weltverändernden (und gewinnträchtigen) Technologie-Entwicklung beizuwohnen. Und zum anderen die aus biederen Anzugträgern bestehende Führungsriege der Drogeriekette Walgreens, die trotz begründeter Zweifel eine Geschäftspartnerschaft mit Theranos eingeht. In einer aussagekräftigen Szene raunt Walgreens’ Jay Rosan (Alan Ruck) seinem Vorgesetzten zu: „Wir sind alt, wir sind Dinosaurier!“ Die Angst, eine dem Ansehen ihrer Drogerien schadende Geschäftsbeziehung einzugehen, weicht der Angst, den Anschluss an einen vom „weiblichen Steve Jobs“ herbeigeführten Wandel zu verpassen.

Wie wir heute wissen, begann das Kartenhaus von Theranos zusammenzustürzen, als das Wall Street Journal 2015 einen investigativen Bericht über die nicht-funktionsfähige Technologie des Unternehmens veröffentlichte. Aktuell wartet die wegen Betrugs schuldig gesprochene Holmes auf die Verkündung des Strafmaßes. Zu ihrem tiefen Fall trugen, so stellt es The Dropout in den letzten, hochspannenden Folgen dar, eine Reihe bestimmter Charaktere bei, Typen wie die eingangs erwähnte Dr. Phyllis Gardner, der Erfinder Richard Fuisz (William H. Macy) oder die frisch vom College kommende Erika Cheung (Camryn Mi-young Kim). Gemeinsam ist den allesamt brillant besetzten Figuren, dass sie der Hype-Kultur des Silicon Valley eine nüchterne Reife entgegensetzen. Sie beruht auf der Einsicht, dass wissenschaftlicher Fortschritt nur mit viel Erfahrung, vielen Tests und viel Geduld erreicht werden kann.

Info

The Dropout Elizabeth Meriwether USA 2022, acht Episoden, Disney+

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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