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Streaming | Der Culture Clash von altem und neuem Geld


Link [2022-04-21 16:14:16]



Downton-Abbey-Erfinder Julian Fellowes erzählt in „The Gilded Age“ von den Räuberbaronen im New York der 1880er

Marian (Louisa Jacobson) ist den Tränen nahe. Erst vor Kurzem ist ihr Vater verstorben, ihr wurde mitgeteilt, dass er ihr nichts hinterlassen hat, selbst das Haus, in dem sie aufwuchs, erwies sich nur als gemietet. Nun sitzt die junge Dame am Bahnhof der Kleinstadt Doylestown, Pennsylvania, und wartet auf den Zug Richtung New York, zu ihren Tanten, die die Mittellose aufnehmen sollen. Von einer plötzlichen Prügelei am Bahnsteig abgelenkt, fällt ihr zu spät auf, dass ihre Handtasche mit dem Bahnticket gestohlen wurde. Während sie ziemlich verzweifelt versucht, dem Schaffner ihre Lage zu schildern, erklärt sich Peggy (Denée Benton), eine junge Schwarze, die zufällig neben ihr auf der Bank saß, spontan bereit, das Geld für einen neuen Fahrschein auszulegen.

In dieser frühen Szene der Serie The Gilded Age, ab 22. April auf Sky zu sehen, sind gleich zwei Tropen angelegt, die sich durch die neun Folgen der Historienserie ziehen werden. Um Haltung geht es einerseits, um die physische Statur und angemessene Fassade nach außen ebenso wie im übertragenen Sinne. Und um Begegnungen, zufällige wie forcierte, die immer wieder das weitere Schicksal der Beteiligten prägen.

Marian nimmt Peggy schließlich mit ins Anwesen ihrer Verwandten an der Upper East Side, wo der Afroamerikanerin zwar Obdach gewährt wird, allerdings im Untergeschoss beim Personal. Im Haus von Agnes van Rhijn (Christine Baranski) und ihrer ledigen Schwester Ada Brook (Cynthia Nixon) herrschen 1882 noch klare Klassenverhältnisse. Hier auf der 61st Street, direkt am Central Park, ist man als New Yorker Adel unter sich, oder war es bislang. Nun haben gleich gegenüber der neureiche Eisenbahnbaron George Russell (Morgan Spector) und seine von Ehrgeiz getriebene Ehefrau Bertha (Carrie Coon) eine protzige Villa hochziehen lassen, die alle umliegenden Gebäude überstrahlt. Sie sind mit Entourage inklusive französelndem Koch, aus Europa importierten Möbeln und Kunstwerken in den Stadtpalast gezogen, der nach den Vorstellungen der Hausherrin aufs Luxuriöseste ausgestattet ist. Das alte Geld verachtet diesen Prunk, man möchte mit dem neureichen Pöbel nichts zu tun haben. Doch gerade darauf legen es die Russells an: Sie wollen dazugehören.

Blütezeit des Fortschritts

Das titelgebende Gilded Age, das „Vergoldete Zeitalter“, war Ende des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit des technischen Fortschritts und scheinbar grenzenlosen wirtschaftlichen Wachstums in den USA, zumindest für einige Glücksritter. Erfindungen wie Elektrizität und Telefon und der massive Ausbau des Eisenbahnnetzes gingen mit dem Aufstieg einiger besonders gewiefter Unternehmer einher, deren Namen – Carnegie, Rockefeller, Vanderbilt – noch heute Einfluss haben. Die Ära war auch geprägt von politischer Korruption, die in der Serie durchaus thematisiert wird, aber auch von rasant wachsenden Armenvierteln mit europäischen Immigranten, von denen in The Gilded Age allenfalls am Rande die Rede ist, zumindest in dieser ersten Staffel (eine zweite ist bereits angekündigt).

Davon abgesehen vermittelt die Serie, neben allerlei Telenovela-Querelen, einen Eindruck der historischen Umwälzungen dieser Ära. In einer bemerkenswerten Szene steht halb Manhattan vereint vor dem mehrgeschossigen Gebäude der New York Times und wird staunend Zeuge, wie Thomas Edison erstmals mit elektrischem Licht Stockwerk für Stockwerk erleuchtet und damit eine buchstäblich strahlende Zukunft verkündet.

In einer auf Hochglanz polierten, dabei nicht immer ganz geschmeidigen Mischung aus Historiendrama und Seifenoper wird der Culture Clash von altem und neuem Geld zur Auseinandersetzung um gesellschaftliche Teilhabe, bei der feine Unterschiede Ausgrenzung und Inklusion festlegen. Serienmacher Julian Fellowes greift dabei auf den Kontrast von oben und unten zurück, zwischen Herrschaften und Personal, den er bereits auf dem Landsitz seiner britischen Aristokratieserie Downton Abbey durchexerziert hat. Den gibt es auch in den Häusern in The Gilded Age, erweitert wird er durch ein Gegenüber von innen und außen, das je nach Situation und Figuren zusätzlich bestimmt, was sich an Benehmen und Auftreten geziemt.

Die Handlung ist erfunden, auch wenn einige Figuren an reale Vorbilder erinnern, die Russels etwa an die Eisenbahn-Dynastie Vanderbilt, andere sind tatsächlich historisch, Mrs. Astor, die Grande Dame der High Society etwa, Clara Barton, die das Rote Kreuz in Amerika gründete, oder Thomas Fortune, ein legendärer schwarzer Zeitungsmacher. Die fiktive Marian ist als unbedarfter Neuzugang mit ihrer sanft progressiven Art so etwas wie die Identifikationsfigur für das heutige Publikum, bleibt aber letztlich arg blass. Bertha Russell mag dagegen in den Augen des alten Geldadels vulgär wirken, doch ihr Hunger, nicht nur nach Geld, sondern vor allem nach Anerkennung, macht sie zu einer der streitbarsten, aber auch interessantesten Figuren der Serie.

Mit ihren Strategien, auch mal schmutzige Tricks anzuwenden, und ihrem unbedingten Willen, zur Elite zu gehören, stehen die Russells in einer Linie mit den „Gier ist gut“-Geckos der 1980er Wall Street, den Trumps und Kardashians, stets belächelt und oft unterschätzt. Man kommt nicht umhin, ihrem Aufstieg zuzusehen und an die Glücksritter der Gegenwart zu denken, von Jeff Bezos bis Elon Musk, all die Venture-Capital-Gurus und Bitcoin-Barone, die es innerhalb kürzester Zeit zu unfassbarem Reichtum gebracht haben. Auch das alte Geld ist noch immer da, aber es ist diskret genug, sich im Hintergrund zu vermehren und für nicht allzu viel Aufsehen zu sorgen. Auf die Haltung kommt es an, zumindest nach außen. Man will schließlich nicht aus der Rolle fallen.

Info

The Gilded Age Julian Fellowes USA 2022, HBO/Sky ab 22. April

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