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Steffi Lemke | Unterwegs im Gegenwind


Link [2022-02-16 11:53:15]



Ob als Agrarwissenschaftlerin oder Umweltaktivistin: Die neue Bundesumweltministerin war schon immer prinzipientreu. Wird sie es schaffen, in ihrem Amt die Bürger mitzunehmen?

Mitte Januar sitzt Steffi Lemke bei Markus Lanz und lächelt nicht. Der Fernsehtalker versucht die neue Bundesumweltministerin gerade dazu zu bewegen, einzuräumen, dass der Grüne Wichtigheimer doch eigentlich Robert Habeck sei, in dessen Ressort neuerdings der Klimaschutz fällt. Dass also Lemke und Agrarminister Cem Özdemir Nice-to-have-Minister:innen sind. Lemke ist wenig amüsiert. „Ich habe keine Angst, dass ich zu wenig Aufgaben und zu wenig Zuständigkeiten habe“, pariert sie. Das sei doch nicht persönlich gemeint, beschwichtigt Lanz. Lemke darauf: „Es bringt mehr für den Klimaschutz, wenn mehr Ministerien über Klimaschutz reden.“ Da ist wenig Freundlichkeit, eher die Schärfe einer Fachfrau, die gerne klimapolitisch in die Pötte kommen würde, statt Machtfragen zu diskutieren.

Wenn man auf die Person Steffi Lemke schaut, darauf, was sie politisch trägt, erstaunt das nicht. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist sie Politikerin. Sie war zuletzt Obfrau der Grünen im Umweltausschuss und arbeitete im Landwirtschaftsausschuss mit. Als studierte Agrarwissenschaftlerin und Umweltaktivistin von Jugend an versteht sie davon so einiges. Und als Ostdeutsche ist sie eine der wenigen, die mit dieser Herkunft bei den Grünen wirklich etwas zu sagen haben. Sichtbar war sie außerhalb von Partei und Fraktion eher wenig. Das wird sie aber jetzt.

Lemke war sagenhafte 14 Jahre lang Parlamentarische Geschäftsführerin, hat als Organisatorin ihrer Fraktion erst Rot-Grün samt seinen Alphamännern gemanagt und später in der Opposition durchgeackert. Dazwischen war sie politische Geschäftsführerin ihrer äußerst diskussionsfreudigen Partei. Man tritt Steffi Lemke wohl nicht zu nahe, wenn man ihr Ausdauer und eine gewisse Härte in der Sache bescheinigt.

Eine ernsthafte, versierte Politikerin

Mit ihrer Ernennung zur Ministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz ist die 54-Jährige jetzt von der Strippenzieherin im Hintergrund zur Macherin auf der Regierungsbank geworden. Wer sie interviewt, trifft auf eine ernsthafte, versierte Politikerin. Fragen beantwortet sie fachlich, egal, ob es um Moore, Müllstrudel oder den von ihr auf den Weg gebrachten Reparierbarkeitsindex für technische Geräte geht. Was fehlt, ist jene Mach-mit-Attitüde, die die Grüne Partei auch vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch auszeichnet. In einem Amt wie ihrem könnte das noch zum Problem werden; schließlich will die Ampel die Menschen nicht in die sozialökologische Transformation hineinpressen. Wichtig wird es sein, Klimapolitik als Vorteilsprojekt für alle zu verkaufen.

Zugegeben, aktuell gibt es wenig Anlass für Frohsinn. Kürzlich hat die EU-Kommission mit der Taxonomie-Verordnung für jede Menge Wirbel bei den Grünen und ihren Anhängern gesorgt. Die Verordnung besagt, dass Gas und Atomenergie als nachhaltig eingestuft werden. Es ist ein Hilfskonstrukt, um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Atomenergie und Gas seien zwar „an sich nicht grün, aber sie ermöglichen den Übergang zu erneuerbaren Energien“, heißt es aus Brüssel.

Die Gegenbewegung kam prompt. Gut 300.000 Personen haben schon den Appell „Nein zu Atom und Gas“ unterzeichnet und an die neue Grünen-Spitze übergeben. Und was sagt die Umweltministerin? Zusammen mit Robert Habeck hat Steffi Lemke eine Erklärung abgegeben, die das Nein zur Atomkraft bekräftigt. Nimm das, Brüssel! Und schöne Grüße an die Union im Bundestag, die nun mit Friedrich Merz einen Freund der Atomenergie als Fraktionschef hat.

Umweltverschmutzung hat Lemke politisiert

Gut möglich, dass es Lemkes Lebensgeschichte ist, die sie so entschlossen macht. Geboren wurde sie 1968 in Dessau, nahe dem Chemie-Dreieck Leuna/Buna/Bitterfeld. Die Umweltverschmutzung in der Region war dramatisch: Die Wäsche auf den Leinen wurde grau, die Elbe und die Mulde waren vergiftet, Kinder litten unter schweren Atemwegserkrankungen. Unter anderem diese Erfahrung hat Lemke in den 1980er Jahren in die Kreise der DDR-Bürgerrechtler geführt. 1988 geht sie nach Berlin, um an der Humboldt-Universität Agrarwissenschaften zu studieren. In diese Zeit fällt der politische Umbruch. Der Zeit hat Lemke kürzlich gesagt, die friedliche Revolution, bleibe „der wichtigste politische Moment meines Lebens“. 1989 gründet sie mit anderen die Grüne Partei in der DDR.

Dass sie zäh ist und ihre Überzeugungen nicht über Bord wirft, auch wenn es unangenehm wird, hat sie vor zwei Jahrzehnten bewiesen. Als es 2001 um den Afghanistan-Einsatz geht, ist Lemke eine von noch vier Grünen-Abgeordneten, die sich dagegen aussprechen. SPD-Regierungschef Gerhard Schröder schäumt. Die Kanzlermehrheit steht auf dem Spiel. Als Schröder schließlich die Beteiligung am Antiterrorkrieg mit der Vertrauensfrage verknüpft, vollführt die Abgeordnete Lemke eine argumentative Volte: Bei der Abstimmung stimmt sie für den Kanzler. In ihrer Rede betont sie jedoch, dass ihre Zustimmung ein Ja zum Fortbestand von Rot-Grün bedeute, jedoch ein Nein zur Legitimation des Bundeswehrmandats.

Als neue Umweltministerin wird sie wieder harten Gegenwind bekommen. Aber Lemke ist eine Angehörige der Boomer-Generation, die weiß, dass jetzt ernsthaft was passieren muss. Sie kommt nicht nur aus der DDR mit ihrem Raubbau an der Natur, sondern hat auch die 2000er und 2010er Jahre erlebt, in denen Flüge für ein Barcelona-Wochenende gang und gäbe waren, während die sozial Benachteiligten draußen blieben. Die Klimakrise – und die Corona-Pandemie als beschleunigendes Element – zeigen: Handeln tut not. Und Lemke könnte diejenige sein, die in dieser Beziehung keinen Spaß mehr versteht.

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