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Serie | Watergate-Affäre: Der Mitchell-Effekt


Link [2022-05-21 23:13:39]



„Gaslit“ mit Julia Roberts und Sean Penn erzählt die Entfaltung des Watergate-Skandals neu: Der Whistleblower war eine Frau

„Martha, welche Martha?“, mögen sich viele gefragt haben, die im Februar 2020 die erste Folge des Watergate gewidmeten Slate-Podcasts von Leon Neyfakh hörten. Der Autor selbst erzählt, wie verblüfft er darüber war, bei seinen Recherchen zum Nixon-Skandal auf den Namen einer seinerzeit sehr bekannten Frau gestoßen zu sein, von der er als Nachgeborener noch nie gehört hatte. Dabei hat Nixon dieser Frau in seinem berühmten Interview mit David Frost 1977 nicht weniger als die ganze Schuld am Skandal zugewiesen: „Wenn es Martha Mitchell nicht gegeben hätte, hätte es auch kein Watergate gegeben.“

In der Verfilmung des Podcasts (ja, das ist neuerdings ein Ding) wird sie von Julia Roberts verkörpert: als nicht mehr ganz junge, aber doch sehr glamouröse Frau aus den Südstaaten, die an der Seite ihres Mannes stehen und sich nicht den Mund verbieten lassen will. Ihr Mann, das war John Mitchell (in der Miniserie von einem unter Latex-Schichten kaum erkennbaren Sean Penn gespielt), Nixons erster Generalstaatsanwalt und Chef seiner zwei Wahlkampagnen, damit einer der Verantwortlichen für den Einbruch im Hauptquartier der Demokraten. Der Clou der Geschichte ist der, dass seine Frau von seinem Involviertsein wusste. Nicht zuletzt deswegen, weil sich unter den Einbrechern, die auf frischer Tat ertappt wurden, ein Mann befand, der ihr als Bodyguard gedient hatte.

Nun war Martha dafür berüchtigt, spontan bei gewissen Washingtoner Journalistinnen anzurufen und intime Details aus der Präsidentenumgebung auszuplaudern. Zur Zeit des Watergate-Einbruchs befanden sich die Mitchells in Kalifornien, wo sie Ronald Reagan zur aktiveren Unterstützung von Nixons Wiederwahl bewegen sollten. Als die Verhaftung der vier „Kubaner“ und des einen Amerikaners gemeldet wurde, flog John Mitchell nach Washington zurück, nicht ohne seine Security-Leute anzuweisen, Martha nicht aus den Augen zu lassen, und vor allem: ihr das Telefonieren unmöglich zu machen.

Sean Penn unter viel Latex

Aber Martha widersetzte sich – und wurde dafür von den Männern so gewaltsam angegangen, dass ihre Wunden genäht werden mussten. Die Akten belegen es, aber ihr, Martha, wollte es keiner glauben. Der sie behandelnde Arzt hielt ihre Erzählungen davon, festgehalten worden zu sein, weil sie zu viel wisse, für Fantasterei. Heute nennt man es den „Martha-Mitchell-Effekt“, wenn ein Arzt die unwahrscheinlichen, aber eben wahren Behauptungen eines Patienten zu Wahnideen deklariert.

Um es noch einmal klarzustellen: Das alles geschah im Juni 1972, die Reporter Carl Bernstein und Bob Woodward hatten da noch nicht einmal den Verdacht, dass hinter dem Einbruch bei der demokratischen Partei Männer des Präsidenten stecken könnten. Neyfakh recherchierte für seinen Podcast die Sache mit Martha vor allem deshalb, weil er die Entfaltung des Watergate-Skandals so schildern wollte, wie ihn der Zeitgenosse damals erlebt hat. Eben nicht aus der Besserwisserperspektive der Nachgeborenen, sondern vom Verständnishorizont derer, die dabei waren, ohne zu wissen, wie alles endet. Und für die war Martha Mitchell eine Figur der Irritation, eine, die sich wichtig machen wollte. Ein Alkoholproblem hatte sie auch noch.

Gaslit heißt nun die Miniserie, die im Titel Bezug nimmt auf den mit Hitchcocks Film Gaslight in Umlauf gekommenen Begriff für jene Sorte von Betrug, bei dem eine andere Person dazu gebracht wird, an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Julia Roberts’ Martha steht in der Serie leider doch nicht lang genug im Zentrum; ihre Figur wird durch eine Reihe von charaktervollen Männergestalten an den Rand gedrängt, die die Miniserie zwar nicht weniger unterhaltsam machen, ihr aber dann doch wieder den Anstrich des Gewohnten geben. Während Sean Penns John Mitchell unter seinen Make-up-Schichten eher blass bleibt, überbieten sich Shea Whigham als G. Gordon Liddy und Dan Stevens als John Dean regelrecht im Darstellen exzentrischer Männer. Liddy, der Ideengeber der illegalen Herangehensweisen des „Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten“, war für seine Macho-Bizarrerien in Washington bekannt, Whigham verleiht der mafiösen, aber umso unverbrüchlicheren Präsidententreue seiner Figur eine irritierende Menschlichkeit, fast will man ihm glauben, dass der Mann, der diese Treue mit viereinhalb Jahren im Gefängnis bezahlte, gleichzeitig doch ein guter Vater und sogar noch besserer Ehemann war.

Auch das Männerporträt, das Dan Stevens für John Dean gestaltet, ist hübsch doppelbödig: John Dean wurde zum entscheidenden Whistleblower, der dem Untersuchungsausschuss alles, was er rund um das Komitee zur Wiederwahl mitbekommen hatte, recht fröhlich ausplauderte. Stevens’ Interpretation von Dean ist die eines durch und durch oberflächlichen Menschen. Der junge Politikberater scheut zunächst vor keinem Mittel zurück, immer die noch größere Präsidentennähe zu suchen. Dass er dann doch noch auf der richtigen Seite der Geschichte gelandet ist, verdankt er der Frau (gespielt von Betty Gilpin), um die er zu dieser Zeit warb und die er rätselhafterweise davon überzeugen konnte, doch nicht das Arschloch zu sein, als das er zuerst rüberkam. Nixon selbst kommt in der Serie gar nicht vor, was als Konzept zuerst spannend scheint, sich dann aber immer mehr als gravierende Lücke herausstellt.

Info

Gaslit Robbie Pickering USA 2022, 8 Folgen, Starzplay

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