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Religion | Karl Marx und die Bibel: Ist Arbeit besser als Geld?


Link [2022-06-11 14:42:41]



Der Religionskritiker und die heilige Schrift – kann das gut gehen? Kuno Füssel zeigt, dass Karl Marx die Bibel nicht zitiert, um sie abzutun, sondern um sich von ihr helfen zu lassen

Karl Marx steht in der Tradition der jüdischen Propheten. Das behauptet Kuno Füssel, der in Deutschland wichtigste Vertreter der Theologie der Befreiung, und kann es auch plausibel machen. Schon die Äußerlichkeiten sprechen dafür: Beide Eltern von Marx stammen aus rabbinischen Familien; die Fülle von Bibelzitaten in seinem Werk ist unglaublich; und er tritt auch auf wie ein neuer Jesaja: scharfzüngig, unversöhnlich, die Apokalypse beschwörend (das Ende des Kapitalismus, ja der „Vorgeschichte“ der Menschheit). Füssel zeigt, dass Marx die Bibel nicht zitiert, um sie abzutun, sondern um sich von ihr helfen zu lassen. Seine Religionskritik gilt nicht der Bibel, sondern der Kirche und der kirchlichen Theologie.

Der Mensch, so Marx, sei das höchste Wesen für den Menschen. Alle Verhältnisse gelte es umzustürzen, in denen der Mensch ein erniedrigtes Wesen sei. Widerspricht das der Bibel? Nein, im Gegenteil: Gott hat sich kreuzigen lassen, was eine gängige Sklavenbestrafung war. Der Sinn dieser Explikation Gottes war sicher nicht, dass das Wesen Gottes oder des Menschen als sklavisch bestimmt werden sollte. Vielmehr, wie Füssel herausarbeitet, dass es keine Sklaven, keinen Unterschied des Hohen und Niedrigen mehr geben soll. Dazu braucht es einen Weg, eine Geschichte, und es werden zwei Angelpunkte in der Bibel hervorgehoben: der „Exodus“ der Hebräer aus dem pharaonischen Ägypten und Jesu Parteinahme für die Erniedrigten.

Mit dem Ausdruck „Gott“, so Füssel, ist eine verallgemeinerte Exodus-„Funktion“ bezeichnet, ausgehend von der Überschreitung der Landesgrenzen Ägyptens durch die Hebräer, die dort versklavt waren. Sie fanden sich in der Wüste wieder und durchquerten sie mit dem Ziel des Gelobten Landes. Dieser „Gott“ ist kein höchstes Wesen wie der Pharao, sondern im Gegenteil „die Instanz, die mich aus der Sklaverei befreit“. Marx aber stehe „als ein prophetisch ausgerichteter Jude in der Exodus-Tradition“. Füssel kann zitieren: Die Revolution ist laut Marx „gleich den Juden, die Moses durch die Wüste führt“, denn das Proletariat „hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muss untergehen, um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind“. Wie man sieht, zitiert Marx die Bibel als Vorbild. Befragt, was „Gott“ sei, würde er wahrscheinlich antworten, er sei das „Werde, was du bist“ des Menschen, eines weder knechtischen noch herrischen, sondern geschwisterlichen Menschen.

Geld ist verkehrter Reichtum

Über das Knechtsein gibt es eine zentrale theologische Aussage im Neuen Testament, die Marx verwendet, um seine Theorie des Geldes zu veranschaulichen: Christus sei bereit gewesen, sich seiner Gottesherrlichkeit zu entäußern und vielmehr Knechtsgestalt anzunehmen. Das Geld aber, so Marx, habe den umgekehrten Prozess durchlaufen: Zunächst bloßer Vermittler des Warentauschs, wird „aus dem bloßen Handlanger“ der „Gott der Waren“, dann nämlich, wenn Geld als Kapital angelegt wird. Füssel nennt diesen Gott, der die Knechte nicht befreit, sondern ausbeutet, eine „Inversion Christi“.

Ohne es zu wollen, deckt er mit seinem biblischen Ansatz eine Schwäche der marxistischen geldtheoretischen Debatte auf. Man hat dort nachzuvollziehen versucht, wie Marx den Verkehrungscharakter des Geldes ableitete. Das Geld ist der verkehrte Reichtum, weil der wirkliche Reichtum in dem liegt, was die Arbeit schafft. Die religiöse Dimension bei Marx ließ man beiseite. Dass es unzählige Stellen gibt, an denen er das Geld als „Goldenes Kalb“, als Götzen angreift – geschenkt. Die Fragestellung war nur, wie Marx ableitet, ob „logisch“ oder „historisch“. Doch mit Kalb und Götze ist die Frage nach dem wahren Gott aufgeworfen – der wahren Exodus-Funktion statt des Goldenen Kalbes.

Wenn Marx das Geld einen Fetisch nennt, ist immer noch dieses Kalb gemeint: ein Ding, das sich Heiligkeit nur anmaßt. Die wahre Heiligkeit, heißt das, liegt in der Arbeit. Warum? Weil nur sie die von Marx geforderte „neue Welt“ aufbauen kann, oder das „Reich Gottes“, von dem die Christen sprechen.

Mehrwert und Gott

Dass eine marxistische Gelddebatte auch fragt, ob Marx „logisch“ oder „historisch“ ableitet, ist gewiss kein Fehler. Sie wird aber ziellos, wenn sie die Hoffnung ausblendet, die in der implizierten Frage nach dem wahren „Gott“ liegt. Was soll denn an der Arbeit so toll sein, dass man sie gegen das Geld ausspielt, musste man sich doch fragen. Ginge es nur um irgendeine Arbeit, statt um die Erarbeitung der „neuen Welt“, könnte von einer Verkehrung der Arbeit im Geld überhaupt nicht die Rede sein.

Zudem ist nicht Geld an sich die Verkehrung, sondern Geld als Kapital. Auch das kann gerade Füssel mit seinem Ansatz deutlich machen: Erst im zinstragenden Kapital, kann er Marx zitieren, „erreicht das Kapitalverhältnis seine äußerlichste und fetischartigste Form“, denn hier erst ist es „vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes zu sich selbst“. Man scheint nicht arbeiten zu müssen, um immer reicher zu werden: Dieses „immer reicher“, verstanden als „immer mehr Geld“ – mit Marx gesprochen die Jagd der Kapitalisten nach dem „unendlichen Mehrwert“ –, ist erst die eigentliche Verkehrung. Es verkehrt den unendlichen Gott. Was ist denn Unendlichkeit? Dass ein Ende, eine Grenze überschritten werden kann. Die Unendlichkeit Gottes ist der Exodus: der Weg zum nicht mehr knechtischen Menschen.

Die zentrale Aussage des Buchs ist schwer zu bestreiten: „Die Verwendung biblischer und theologischer Metaphern und Begriffe zur Bestimmung des Wesens von Geld und Kapital hat das Ziel, dadurch eine verborgene und im rein ökonomischen Diskurs nicht erscheinende Dimension dieser Größen sichtbar zu machen.“ Füssel benennt diese Dimension in theologischen Termini. Das muss man sicher nicht tun. Klar ist aber: Wer sie ausblendet, verfällt dem Ökonomismus.

Info

Marx und die Bibel. Voraussetzungen, Inszenierung und Konsequenzen einer produktiven Begegnung Kuno Füssel Edition Exodus Luzern 2022, 201 S., 20 €

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