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Rechtsextremismus | „From the Fires of War“: Wie sich die ukrainische Asow-Bewegung global vernetzt hat


Link [2022-06-17 23:10:24]



Putins Fake-Narrativ einer antifaschistischen Befreiung der Ukraine sollte nicht die kritische Beschäftigung mit der Asow-Bewegung behindern – Michael Colbornes gut recherchiertes Buch empfiehlt sich als Einstieg

Auch wenn Frankreichs Rechte die Stichwahl um die Präsidentschaft verlor, konnte Marine Le Pen mit über 40 Prozent ihren Stimmenanteil von 2017 fast verdoppeln. Die rechten Parteien hoffen jetzt auf ein gutes Abschneiden bei der kommenden Parlamentswahl, um so politische Kräfteverhältnisse zu verschieben. Wie erfolgreich die globale Rechte derzeit von Mumbai bis Rio ist, darüber schrieb Paul Mason vergangene Woche in einem Artikel für den Freitag, der an sein Buch Faschismus. Und wie man ihn stoppt anschloss. Mason betont die Synergieeffekte rechtsextremer, rechtspopulistischer und autoritär-konservativer Strömungen.

Ähnlich breit aufgestellt und heterogen ist die Asow-Bewegung in der Ukraine. Über deren militärischen Flügel wurde zuletzt viel geschrieben, ohne dass hierzulande Substanzielles über die politische Asow-Bewegung bekannt wäre. Der kanadische Journalist Michael Colborne, der unter anderem für das Recherchenetzwerk Bellingcat, The New Republic und Haaretz schreibt, hat sich jahrelang mit Asow beschäftigt. Sein kürzlich auf Englisch erschienenes Buch liest sich wie eine Reportage, Grundlage sind auch Netzrecherchen und Interviews mit Mitgliedern. Es ermöglicht eine fundierte Betrachtung der Asow-Bewegung. Das ist gut, denn Wladimir Putins Fake-Narrativ einer vermeintlich antifaschistischen Befreiung der Ukraine sollte nicht die kritische Beschäftigung mit Rechtsextremismus unmöglich machen.

Asow, schreibt Colborne, sei vor allem ein Produkt des Krieges und würde so ohne die russische Invasion 2014 gar nicht existieren. Ausgehend vom 2014 gegründeten Freiwilligenbataillon (mittlerweile Regiment), das dem ukrainischen Innenministerium untersteht, entwickelte sich Asow in den vergangenen Jahren zu einer der auffälligsten rechten Bewegungen in ganz Europa, die, so Colbornes Stand im März dieses Jahres, insgesamt rund 20.000 Personen umfasst. Dazu gehört neben dem 2.500 Mann starken Regiment der Jugendverband Centuria, der als Hilfspolizei agiert und mitunter sehr militant auftritt. Daneben gibt es den parlamentarischen Arm, die 2016 gegründete Partei Nationalkorps, die im Bündnis mit anderen rechten Parteien wie Swoboda 2019 an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Vorsitzender und Gründer von Nationalkorps ist der Frontmann der Asow-Bewegung, der 42-jährige Andrij Biletzkyj, der schon als unabhängiger Abgeordneter in der Rada saß, ordentlich Promifaktor hat und regelmäßig in Talkshows zu Gast ist.

Daneben verfügt Asow über ein ganzes Netzwerk an Jugendcamps, betreibt Kampfsportvereine, Buchclubs, Verlage, organisiert internationale Konferenzen und unterhält sowohl in Kiew als auch in Charkiw verschiedene Standorte, unter anderem ein ehemaliges Fabrikgelände als Rekrutierungszentrum, aber auch soziale Zentren, in denen es Seminarräume, Tattoo-Studios, Buchläden, eine Kunstgalerie und sogar Yogakurse gibt.

Russische Propaganda

Asow als Bewegung, so Colborne, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie ein sehr weitreichendes Netzwerk ganz unterschiedlicher Verbände, Gruppen und damit auch diverser rechter Strömungen vereint. So will Andrij Biletzkyj heute nichts mehr von seiner brachialen Nazivergangenheit als Frontmann der Organisation Patriot der Ukraine wissen, als er 2007 noch „die weißen Rassen der Welt in einen letzten Kreuzzug führen“ wollte. Heute engagiert er sich lieber im Veteranenwesen, das in der Ukraine eine wichtige Rolle spielt, womit er politisch in die Mitte der Gesellschaft rücken kann. Im Dunstkreis von Asow gibt es aber auch offen neonazistische Gruppen wie NordStorm in Charkiw, die zu Gewalttaten aufruft, oder die Kiewer Wotanjugend, die auch mal Hitlers Todestag feiert und vom russischen Neonazi Alexey Levkin geleitet wird, der auch Gründer des rechtsextremen Musiklabels Militant Zone ist und seit 2014 mit dem Asgardsrei-Festival in Kiew jährlich eine der weltweit wichtigsten Veranstaltungen der Nazi-Metal-Szene organisiert.

Asow gilt bei jungen Menschen mitunter aber auch als hippe Subkultur, deren Mitglieder stylisch tätowiert ihre Maskulinität mit Szenekleidung von Thor Steinar oder dem ukrainischen Label Svastone zur Schau stellen. Die 34-jährige Olena Semenyaka, die „First Lady des ukrainischen Nationalismus“, wie sie in einem Aufsatz der George Washington University schon bezeichnet wurde, sagt, Asow-Mitglieder seien im Gegensatz zu anderen Rechten an ihrer Hipness erkennbar. Semenyaka koordiniert die internationale Vernetzung Asows und trat in Deutschland 2018 als Gastrednerin beim „Jugend im Sturm“-Festival der Nazipartei III. Weg auf. Die weniger extremistischen Teile Asows orientieren sich, so Colborne, an der französischen Nouvelle Droite, ganz ähnlich wie die Identitäre Bewegung hierzulande, mit der sich Asow ebenso kurzgeschlossen hat wie mit anderen rechten und rechtsextremen Gruppen und Bewegungen in ganz Osteuropa, aber auch in Italien, Portugal, Frankreich und in den USA.

Lange Zeit galt der ukrainische Innenminister Arsen Awakow als Förderer von Asow. Seit dieser 2019 auf Druck von Präsident Wolodymyr Selenskyj sein Amt niedergelegt hat, ist es für Asow ungemütlicher geworden, was sich unmittelbar nach Awakows Rücktritt in einer ganzen Reihe von Razzien bemerkbar machte. Wobei Colborne darauf verweist, dass es grundsätzlich schwierig ist, in der Ukraine einen kritischen Diskurs über Neonazis zu führen und über mögliche Verbindungen in die Politik zu sprechen, da dieses Thema durch den russischen Propagandaapparat besetzt ist. Wie sich Asow während des Krieges weiterentwickeln wird, ist schwer abzusehen. Man sollte diese Bewegung im Auge behalten, und Michael Colbornes Buch bietet dafür einen guten Einstieg.

Info

From the Fires of War: Ukraine’s Azov Movement and the Global Far Right, Michael Colborne, Ibidem 2022, 180 S., 29,90 €

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