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Queere Eltern | Reform des Abstammungsrechts: Für die FDP ist Familie da, wo das Geld ist


Link [2022-05-25 08:39:04]



Die Ampel will das Familienrecht reformieren. Doch die angekündigte Revolution bleibt aus. Übrig bleibt ein Reförmchen, aber kein Fortschritt für queere Menschen

Leihmutterschaft! Verantwortungsgemeinschaft! Queere Elternschaft, ja sogar: Mehrelternschaft! Als Marco Buschmann (FDP) das Bundesjustizministerium übernahm, klangen die Vorhaben erst mal „revolutionär“. So jedenfalls betitelte sie damals die Zeit.

„Nie gab es mehr zu tun!“, skandierte die FDP, und es stimmt ja: Fünf Jahre nach Öffnung der Ehe warten Kinder queerer Eltern noch immer auf rechtliche Absicherung. Wer eine lesbische Mutter, eine trans Mutter oder einen Elternteil nichtbinären Geschlechts hat, hat diese rechtlich gesehen noch nicht. Nun hat Marco Buschmann eine schrittweise Reform des Abstammungsrechts angekündigt – noch vor der Sommerpause will er einen Gesetzentwurf vorlegen, den er als „Zeitenwende“ bezeichnet. Erste Ankündigungen klingen aber nicht nach Revolution, sondern mehr nach Schmalspurreform, die nur einem kleinen, privilegierten Milieu zugutekommt.

Am 11. Mai kündigte Buschmann die Ideen seines Ministeriums in einer Regierungserklärung an: Zunächst wolle er das Abstammungsrecht in den „etwas unproblematischeren Fällen“ anpassen, bei „anonymen Samenspenden“. Gemeint sind damit wohl Fälle „offizieller“ Samenspenden bei Kinderwunschzentren, denn „anonyme“ Samenspenden sind in Deutschland nicht erlaubt. Etwas schwieriger sei es bei den „Dreiecksverhältnissen“, bei denen es einen biologischen Vater gebe, der sich an der Erziehung zusammen mit den beiden Müttern beteiligen möchte – und dessen Rechte Berücksichtigung finden müssten, weshalb diese Fälle, so Buschmann, „etwas komplizierter“ seien. Für diese Konstellationen werde das Abstammungsrecht erst in einem zweiten Schritt angepasst.

Samenspende: weniger privat

Nun ist es jedoch so, dass sich sehr viele queere Paare genau für solch eine private Samenspende entscheiden – laut Erfahrungen von Familienberatungsstellen sind das etwa 40 Prozent. Die Entscheidung über die Art der Zeugung des eigenen Kindes und über die samenspendende Person ist eine höchstpersönliche – und nicht zuletzt auch eine finanzielle. Für private Spenden spricht etwa der Kontakt zwischen Kind und Spender*in. Dabei handelt es sich jedoch keineswegs immer um „Dreiecksverhältnisse“, wie der Justizminister in seiner Erklärung gesagt hat, mit drei Personen, die gleichberechtigt Elternverantwortung übernehmen möchten: Häufig wünscht die samenspendende Person keine Beteiligung an der Erziehung, manchmal ist sie bekannt, spielt aber kaum eine Rolle oder wird eine Art „Patenonkel“ – das regeln die Familien ganz unterschiedlich.

Zudem erschwert die aktuelle Rechtslage in Deutschland eine „offizielle“ Samenspende für queere Paare: Während in Österreich oder der Schweiz sogenannte „Fortpflanzungsmedizingesetze“ festlegen, welche Methoden für wen zugelassen sind, ist der Zugang zu Samenbanken hierzulande nicht gesetzlich geregelt. Stattdessen legten die privaten Ärztekammern lange Zeit fest, welche Personen Samenspenden in Anspruch nehmen können – lesbische Paare wurden explizit von einer solchen Behandlung ausgeschlossen. Heute ist die Rechtslage uneinheitlich und unübersichtlich, was viel informelles Wissen zur Realisierung eines Kinderwunschs erforderlich macht.

Die Finanzen der Paare spielen hier eine zentrale Rolle. Je nach Behandlungsart und Anzahl der Versuche kann die ärztlich assistierte Insemination – also das Einspritzen der Samen in die Gebärmutter zur Zeit des Eisprungs – Kosten in Höhe von mehreren tausend Euro verursachen. Die gesetzliche Krankenversicherung erstattet aber nur dann die Kosten für Kinderwunschbehandlungen, wenn „Ei- und Samenzellen der Ehegatten“ verwendet werden. Die Inanspruchnahme von Samenbanken ist durch diese Regelung von einer Erstattung ausgeschlossen. Seit vergangenem Jahr bezuschussen einige Bundesländer aus eigenen Mitteln die Kinderwunschbehandlung queerer Paare, aber nur in geringem Umfang: In Rheinland-Pfalz etwa sind es 12,5 Prozent der Gesamtkosten. Das klingt teuer und kompliziert – dabei müsste es das überhaupt nicht sein: Ein Kind können lesbische und queere Paare auch zeugen, indem sie eine Person finden, die in einen Becher ejakuliert, und den Samen aus dem Becher in den Uterus transportieren. Das kostet gar nichts.

Klärung fällig

Abstammungsrecht Ein Kind, dessen zweiter Elternteil kein Mann ist, hat bei Geburt rechtlich nur einen Elternteil. Lesbische Mütter und Eltern mit dem Geschlechtseintrag „divers“ oder ohne Eintrag müssen nach wie vor ihre eigenen Kinder adoptieren, inklusive der Vorlage von Gesundheitszeugnissen und Lebensberichten sowie (je nach Jugendamt mehreren) Hausbesuchen. Das Verfahren kann sich über Monate, gar Jahre hinziehen.

Wird ein Kind hingegen in eine Ehe von Frau und Mann hineingeboren, gilt der Ehemann der Mutter automatisch als rechtlicher Vater – unabhängig von einer genetischen Verbindung zum Kind. Und auch die rechtliche Vaterschaft kann von jedem Mann anerkannt werden. Allein aufgrund des Geschlechts ihrer Eltern werden Kinder hier also massiv benachteiligt. Das erkennt zunehmend auch die Familienrechtswissenschaft: Mittlerweile vier Gerichte bezweifeln die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Abstammungsrechts und haben Fälle von Familien, die sich der Nodoption-Initiative angeschlossen haben, dem Bundesverfassungsgericht zur Klärung vorgelegt.

Die Gefahr in der Ankündigung des Justizministers liegt nun darin, dass queere Paare, die nicht den Weg über teure Kinderwunschzentren gehen können oder wollen, weiter auf die Rechtssicherheit ihrer Elternschaft warten müssen. Solange nur die offizielle Samenspende zur Anerkennung einer Elternschaft führt, muss sie „erkauft“ werden – wodurch sich nur das gehobene Mittelschichtsmilieu solch eine Rechtssicherheit leisten kann. Für queere Paare wird damit ein Bereich intimer Lebensgestaltung unnötig medikalisiert, staatlicher Kontrolle unterworfen – und von ihrer finanziellen Situation abhängig gemacht. Der Kinderwunsch queerer Personen würde noch stärker als bisher zur Klassen- und Privilegienfrage. Profitieren würden vor allem die Kinderwunschzentren.

Auffallend ist an den aktuellen Reformankündigungen wie auch am Koalitionsvertrag, dass stets von „Ehefrauen“ und „Mit-Müttern“ gesprochen wird. Doch auch trans und nichtbinäre Eltern werden durch das geltende Abstammungsrecht diskriminiert und müssen ihre Kinder adoptieren, wenn sie als zweiter Elternteil keinen männlichen Geschlechtseintrag haben. 2013 wurde zwar die rechtliche Möglichkeit eingeführt, den Geschlechtseintrag eines Kindes nach der Geburt offenzulassen, 2018 die dritte Option „divers“ eingeführt – neben „männlich“ und „weiblich“. Das Abstammungsrecht aber wurde daran nicht angepasst: Es kennt nur „Mutterschaft“ und „Vaterschaft“. So wird ein trans Mann, der sein Kind selbst geboren hat, als Mutter des Kindes in die Geburtsurkunde und das Geburtsregister eingetragen.

Eine Schmalspurreform des Abstammungsrechts

Die FDP hat also recht: Nie war mehr zu tun! Doch eine Schmalspurreform entspricht nicht den Interessen queerer Familien. Am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) demonstrierten die Familien der Initiative „Nodoption“, die seit 2020 für die Anerkennung ihrer Elternschaft kämpfen, gemeinsam vor dem Bundesjustizministerium: für eine Absicherung aller queeren Familien, unabhängig vom Geschlecht, von der Art der Zeugung des Kindes und vom Milieu.

Wieso sollte das „kompliziert“ sein? Juristisch ist eine schnelle Reform, mit der die Diskriminierung queerer Familien tatsächlich beendet wäre, unkompliziert möglich: Die rechtliche Elternschaft muss an der Ehe oder, bei unverheirateten Paaren, an der Anerkennung des zweiten Elternteils festgemacht werden, nicht an der Zeugung des Kindes. Das ist nicht neu, sondern entspricht genau der Rechtslage bei privaten Samenspenden in heterosexuellen Beziehungen. Indem die rechtlichen Elternpositionen außerdem geschlechtsneutral formuliert werden – etwa: „Elternteile“ ergänzend zu „Vater“ oder „Mutter“ –, könnte auf einen Schlag die Diskriminierung aller lesbischen, trans und nichtbinären Eltern beendet werden. Das sind rein sprachliche Anpassungen im Gesetzestext, die keine neuen Rechtsfragen aufwerfen.

Die FDP aber scheint lieber Lobbyarbeit für Kinderwunschzentren zu betreiben und familienrechtliche Luftschlösser zu versprechen, als die betroffenen Familien und vor allem das Wohl und die Rechte ihrer Kinder ins Zentrum ihrer „Revolution“ zu stellen. Da war sogar ein Diskussionsentwurf der letzten, CDU-geführten Bundesregierung revolutionärer, der hinsichtlich der Elternzuordnung keinen Unterschied bei der Art der Samenspende machte. Wohin also sollen sich die Zeiten wenden?

Theresa Richarz ist Juristin und war wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Macht und Ohnmacht der Mutterschaft“ an der Universität Hildesheim. Sie promoviert zur Verfassungsmäßigkeit des geltenden Abstammungsrechts

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