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Posse | Das Schlossgespenst: Humboldtforum sucht Utopien für den Palast der Republik


Link [2022-05-21 23:13:39]



Ausgerechnet im Humboldtforum sollen nun Utopien für den Palast der Republik entworfen werden. Wie soll das gehen?

Zuerst wird ein Gebäude trotz massiver Proteste dem Erdboden gleich gemacht und gegen ein neues eingetauscht. Und jetzt, wo alles längst gelaufen ist, wollen die Bewohner des neuen auf einem Themenwochenende darüber philosophieren, was sie mit dem Vorgängergebäude hätten anstellen können. Das Humboldtforum widmet sich also dem Palast der Republik. 1976 in Ostberlin eröffnet, 2006 wieder abgerissen und inzwischen durch ein Stadtschloss ersetzt.

Ich war nie im Palast der Republik. Aber ich wurde eingeladen, weil ich mit dem DDR-Maler Willi Sitte verwandt bin. Schließlich hing sein Gemälde Die Rote Fahne – Kampf, Leid und Sieg im Foyer des Palasts. Willi Sitte ist mein Urgroßonkel, aber ich kenne ihn, seine politische Haltung, Gemälde und Gebäude lediglich aus Fotos und Büchern.

Schon der Name der Veranstaltung Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart ist verwirrend. Warum geistere ich in den Gemäuern eines monarchisch-preußisch anmutenden Stadtschlosses herum? Warum bin ich Teil dieser Veranstaltung? Ich wurde 1997 in Wernigerode geboren und habe weder Teilung noch die DDR erlebt. Aber seitdem ich über meine Familiengeschichte in der DDR recherchiere, spüre ich zu ihren historischen Orten wie dem Palast der Republik eine Verbindung. Mich interessieren die damit verbundenen Debatten, sogar als „Nicht-dabei-Gewesener“. Während ich den Eröffnungsworten der Moderatorin im Humboldtforum zuhöre, die von Utopien redet, frage ich mich, warum ich mich wie am falschen Ort fühle. Schließlich dachte ich, wir würden heute in die Vergangenheit reisen.

Wie die beiden anderen beauftragten Autorinnen soll auch ich eine Utopie der Gegenwart für das ehemalige Palastgebäude entwerfen. Ich rede stattdessen über meinen Urgroßonkel. Willi Sitte war Kommunist und Partisan im Zweiten Weltkrieg, er wurde einer der bekanntesten DDR-Maler.

Steile These

Neben mir sitzt die Schriftstellerin Kirsten Fuchs, die als einzige geladene Autorin in der DDR aufgewachsen ist. Wir kennen uns seit einigen Jahren, aber heute hat sie mir zum ersten Mal etwas über ihre Beziehung zur DDR erzählt. Sie hat mir schon vor Beginn der Veranstaltung erklärt, das Motto „Utopie“ in Bezug auf den abgerissenen Palast skeptisch zu sehen, und diesen mit einem Familienmitglied verglichen: „Stell dir vor, du hattest einen Großvater, den fanden alle scheiße, du hattest ihn aber auch irgendwie lieb, dann ist er an Krebs gestorben und jetzt – Jahre später – reden alle nur darüber, welche Chemotherapie möglicherweise besser gewesen wäre.“ Ich weiß nicht, wohin dieser Abend eigentlich führen soll.

Willi Sitte

Foto: Bruni Meya/picture alliance/akg-images

Nach unseren Vorträgen soll weiter diskutiert werden. Dafür wurden vier Podiumsgäste eingeladen: Die Wissenschaftler:innen Daniela Spiegel und Stephan Trüby, eine Archäologin und ein Architekturprofessor aus Westdeutschland, sowie Thomas Heise, Filmemacher und einziger Ostberliner im Raum. Man merkt, keiner außer den Veranstalter:innen hat Lust, hier irgendeine Zukunftsvision zu entwerfen. „Jetzt haben wir den Salat und müssen irgendwie damit klarkommen“, sagt Heise und Stefan Trüby bestätigt immer wieder, dass das alles ein Fehler war.

Ihm gegenüber sitzt Aljoscha Begrich, Leiter des kommenden Sommerfestivals „Osten“. Es wird im Juli an einem ähnlich aufgeladenen Ort veranstaltet: dem Kulturpalast in Bitterfeld, wo in den 50er-Jahren der „Bitterfelder Weg“ initiiert wurde, eine künstlerische, insbesondere literarische Bewegung in der DDR, die von der SED ausgemachte Probleme der Arbeitswelt aufgreifen sollte. Begrich berichtet von seinen Ideen und Erfolgsrezepten im Umgang mit DDR-Gebäuden, was nicht allzu viel Erklärung bedarf, das Geheimnis liegt anscheinend darin, diese einfach nicht abzureißen.

Bis 1950 stand bereits ein Schloss in Berlin, lange bevor der Palast 1976 gebaut wurde. Damals wurde es von der SED-Regierung aus ideologischen Gründen gesprengt. Jetzt thront hier mit dem Humboldtforum wieder ein Schloss, das mit Beutekunst vollgestellt ist. Kommende Diskussionsveranstaltungen zu Kolonialismus und Rassismus sollen die Herkunft umstrittener Exponate übertünchen. Während es hier gerade um Ostdeutschland geht, spricht Thomas Heise über ein Gedicht des Ostberliner Schriftstellers Volker Braun, die Luf-Passion. „Das berühmte Boot aus der Südsee hat, entwest, aber nicht von Schuld gereinigt, einen neuen Hafen gefunden.“ Das Humboldtforum wurde für den Umgang mit dem „Luf-Boot“ kritisiert, einem großen Auslegerboot in der Ozeanien-Sammlung, das von der Südsee-Insel Luf stammt, die im späten 19. Jahrhundert deutsches Kolonialgebiet war. Plötzlich springt eine der Veranstalterinnen hoch und erinnert daran, dass wir hier über eine (Palast)-Utopie reden, aber trotzdem nur Namen „alter, weißer Männer“ hören würden. „Wat soll’n das jetzt heißen“, fragt Thomas Heise irritiert.

Moderatorin und Radio-eins-Journalistin Julia Menger, 1982 in Bautzen geboren, weist darauf hin, dass die Zeit allmählich knapp wird, und liest das Zitat eines Freundes vor: „Das massive Misstrauen einiger Ostdeutscher in die Demokratie ist eng mit dem Abriss des Palasts der Republik und dessen Wiederaufbau durch ein Schloss verknüpft.“

Ostdeutsche Identität

„Also das ist völliger Quatsch!“, ruft die westdeutsche Archäologin Daniela Spiegel erschrocken. „Das klingt mir viel zu einfach gedacht. Ich würde mich auch weigern, heute noch von Ostdeutschen zu sprechen. Das klingt ja so, als gäbe es eine spezifisch ostdeutsche Identität.“ Ein Mann aus dem Publikum meldet sich, der traurig das zuvor vorgelesene Zitat bestätigt. „Und ich will eine Sache anmerken, die mir ganz wichtig ist“, sagt er langsam. „Natürlich gibt es nicht die Ostdeutschen. Aber es gibt doch sehr wohl eine ostdeutsche Identität.“ Spiegel lächelt. „Das sehe ich nicht so.“

Ich habe lange so gedacht wie sie, schließlich wurde ich so erzogen. Meine Eltern waren froh, dass es die DDR nicht mehr gab, und haben ausschließlich von der Wiedervereinigung profitiert. Sie haben im Wendejahr Abitur gemacht, sind wenig später nach Hannover gezogen und wurden eine Akademiker:innenfamilie. Für sie war die BRD die einzig akzeptable Gegenwart, darauf konzentrierten sie sich. Die Einheit ist da, freut euch doch mal.

Nun sitze ich im Humboldtforum und weiß nicht, wieso mich diese anerzogene Gewissheit so irritiert; etwas stimmt nicht damit. Vielleicht liegt es einfach am Interesse an der Vorgeschichte meiner eigenen Familie rund um ihr bekanntestes Mitglied Willi Sitte. Eine, die nur mit einem Verständnis der DDR zu erzählen ist und über die meine Eltern schwiegen. Was auch immer es war, ich merke, dass es so etwas wie eine Ostidentität gibt, eine, die ich selbst noch suche. Ich suche die Vergangenheit. Und ich glaube, dass sie auch mit dem Palast der Republik zu tun hat.

Also gehe ich am nächsten Tag wieder ins Humboldtforum. Diesmal stehen „Tischgespräche“ auf dem Programm, bei denen geladene Expert:innen Impulsreferate halten und mit den Besucher:innen in den Dialog kommen sollen. Das Humboldtforum will als „Begegnungsstätte“ fungieren. Und jenseits aller Kontroversen: Das schafft das Haus. Zuerst treffe ich einen Bauingenieur, der beim Aufbau des Palasts mithalf. „Den Abriss dieses ideologisch besetzten Baus hätte ich vielleicht verstanden“, sagt er. „Aber nicht, dass danach so ein reaktionäres Schloss wieder aufgebaut wird … man bräuchte junge Architekten, die hier etwas Schönes erschaffen.“ Kurz darauf komme ich mit einem ehemaligen Dachdecker ins Gespräch, der als junger Mann ebenfalls beim Bau des Palasts der Republik dabei war. Er sei heute einfach froh, dass die Zeit der DDR vorbei sei. Der Verbleib des Palasts sei ihm egal gewesen.

Letzte Chance auf Popcorn

Wieder erkenne ich dieses alte Narrativ, das ich mir lange Zeit selbst erzählt habe: Es gibt den Osten in Deutschland höchstens als Himmelsrichtung. Es gibt nur ein Deutschland. Ostdeutschland existiert nicht mehr, etwas anderes zu behaupten, schadet dem Einheitsdenken in West und Ost. Spätestens seitdem meine Großmutter mir bei den Recherchen zu ihrem Onkel Willi Sitte half, weiß ich: Um die eigene Geschichte zu verstehen, braucht es Orte, die bereist und besehen werden können. Die helfen zu erinnern. Aber manche Gebäude verschwinden, stürzen ein, werden zerstört und existieren nur noch auf Fotos, Bildern und in Erinnerungen. Oder als Merchandise.

Im Souvenirladen des Museums entdecke ich kleine Elefanten und Giraffen aus Holz, direkt daneben stehen Lampenimitate, wie sie im Palast der Republik hingen. 349,95 Euro aufwärts. Miniatur-Beutekunst neben DDR-Folklore. Was kommt als Nächstes? Besucher:innen wühlen in den Regalen, zwischen weiteren T-Shirts, Tassen und Accessoires. „Vielleicht fürs Wohnzimmer?“, fragt eine Frau ihre Begleitung und klopft unrhythmisch auf eine afrikanische Holztrommel.

„Letzte Chance auf Popcorn!“, ruft jemand aus dem Innenhof des Humboldtforums. Das Ganze wird immer wirrer. Dort steht ein Zirkuszelt mit gleichermaßen ausgefransten DDR- und BRD-Flaggen. Eine Theatergruppe spielt mit der Show Wendecircus Aushandlungsprozesse aus der Zeit der Wiedervereinigung nach und das funktioniert erstaunlich gut. Vor allem deshalb, weil in zweieinhalb Stunden Westdeutsche und Ostdeutsche gleichermaßen aufs Korn genommen werden und die Zirkusband gegen Ende Deutschland muss sterben von Slime covert. Irgendwie bitter versöhnlich in diesem preußischen Innenhof. „Wir bedanken uns bei dem Schloss!“, ruft ein Schauspieler am Ende der Show. „Äh … dem Humboldtforum!“

Aron Boks ist Schriftsteller und Poetry-Slammer. Sein Buch über seinen Urgroßonkel, den DDR-Maler Willi Sitte, erscheint im Frühjahr 2023 bei HarperCollins

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