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Porträt | „Wut motiviert mich“


Link [2022-02-16 22:15:25]



Im Konflikt um die städtische Förderung der privaten „Kunsthalle Berlin“ ist eine besonders laut: Die Künstlerin Zoë Claire Miller. Nicht zum ersten Mal beißt sie die Hände, die sie füttern könnten. Wieso eigentlich?

Zoë Claire Miller sitzt in ihrem Atelier in Moabit, dreht sich eine Zigarette, ein Ring an ihrem Mittelfinger bildet das Wort „anal“. Sie redet schnell. Es sind aufregende Zeiten. In Berlin gibt es einen Polit-Skandal um die öffentliche Förderung einer privaten „Kunsthalle“, und Miller ist mittendrin. Teilt Boykottaufrufe mit Kollegin Candice Breitz, spricht mit Whistleblowern, recherchiert, sitzt in Fragestunden des Abgeordnetenhauses Berlins, weist in den sozialen Medien auf Verstrickungen hin und überführt so die eine oder andere politische Lüge. Was ist passiert? Die Kurzform: Berlin hat reiche Menschen noch reicher gemacht.

Miller ist Künstlerin, Aktivistin und sie ist Sprecherin des bbk berlin, des berufsverbands bildender künstler*innen. Und legt sich in all diesen Rollen mit den Mächtigen des Kunstbetriebs an. An ihr lässt sich gut beobachten, welche Vor- und Nachteile es hat, kritisch zu sein, in einem Bereich, der abhängig ist von staatlichen Förderungen und reichen Sammlern.

Miller sitzt an einem Tisch, vor ihr Keramiken, die eine ist die Erweiterung der A100. Die andere zwei rote Beine, übereinandergeschlagen. Keramik ist Millers Medium. Tonpakete stapeln sich vor ihr. Eigentlich müsste sie eine Ausstellung in Wien vorbereiten, aber seit mehr als zehn Tagen beschäftigt sie sich hauptberuflich mit dem Skandal um Walter Smerling, Vorsitzender der Stiftung für Kunst und Kultur e. V., ein Bonner Verein, der die nächsten zwei Jahre im Flughafen Berlin-Tempelhof Ausstellungen veranstalten will.

„Es ist wie ein Krimi, es macht Spaß zu beobachten, was da noch alles ans Licht kommt. Denn egal, an welcher Stelle man kratzt, überall läuft grüner Eiter raus“, sagt Miller. Hinter ihr an der Wand hängen Skizzen von Krügen mit Schlangenköpfen. Eine Kinderzeichnung „für Zoë“, vermutlich ein fünfköpfiger Dino.

War es Michael Müllers Idee?

Zoë Claire Miller ist in den USA geboren, hat Romanistik, Philosophie und Bildhauerei studiert. Stellte unter anderem bei den Berliner Festspielen, der Vienna Art Foundation oder der Bergen Assembly aus. Sie ist Mitbegründerin des alternativen Berlin Art Prize. Arbeitet an einer Jugendkunstschule. Und seit 2018 ist sie – vergütete – Sprecherin des bbk Berlin. „Wir konzentrieren uns da hauptsächlich auf die politische Repräsentation von KünstlerInnen.“ 2.700 Mitglieder. Und nicht nur die fragen sich: Wer hat dafür gesorgt, dass ein historisches Gebäude wie der Flughafen Tempelhof ohne öffentliche Ausschreibung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mietfrei und inklusive Übernahme der Hälfte der Betriebskosten vergeben wurde? 2,4 Millionen Euro soll sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Spaß kosten lassen.

„Wenn wir Smerling glauben, war es Michael Müllers Idee. Auch Whistleblower sagen das.“ Müller, SPD, war bis 2021 Regierender Bürgermeister. Aber diverse Senatskanzleien müssen informiert gewesen sein. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hält sich bisher auffällig bedeckt. Er wiederholt nur ein gewitztes Framing: Seine Senatskanzlei sei eben keine „Kulturverhinderungsbehörde“.

Miller und der bbk berlin sind im vergangenen Jahr auf Smerlings Ausstellung Diversity United im Flughafen aufmerksam geworden, weil die teilnehmenden KünstlerInnen der eher undiversen Wanderausstellung, die vom Auswärtigen Amt gefördert wird, keine Honorare für ihre Teilnahme erhielten. Sponsoren der Ausstellung, deren Schirmherr unter anderem Wladimir Putin ist, sind Daimler, die Fast-Fashion-Kette New Yorker und der Investor Lars Windhorst. Schon damals hatte sich der bbk bei der landeseigenen GmbH, die den Flughafen Tempelhof betreibt, beschwert. Dass die Sache sogar noch etwas doller stinkt, war da noch nicht klar. Erst eine Woche bevor sie dann auch schon eröffnete, erschien Ende Januar in der FAZ ein Artikel von Niklas Maak über Walter Smerlings neuen Ausstellungsort mit dem doch recht offiziell klingenden Namen „Kunsthalle Berlin“ und die mutmaßliche Förderung mit sehr viel öffentlichem Geld. Hauptsponsor ist der sogenannte Baulöwe Christoph Gröner. Eine mögliche Tempelhofbebauung sei sicher ein großer Anreiz für Gröner, Geld in das Projekt zu stecken, sagt Miller. Mehrere JournalistInnen hätten diese ganzen Verstrickungen im Blick, da sei mehr in der Pipeline, mutmaßt Miller. Die allerdings müssen ihre Fakten checken. Miller kann – auch öffentlich – Fragen stellen und ihre Follower ausschwärmen lassen. „Ich bin keine Journalistin, ich kann einfach sagen, ich habe ein Gerücht gehört, da sollten JournalistInnen mal nachbohren.“ Und das tut sie auch. Meistens im Internet.

Es ist nicht das erste Mal, dass Miller auffällt. Mitstudierende sagen über sie, sie habe sich schon als Studentin mit den Professoren angelegt, damals ging es um die Einführung von Studiengebühren. Ihre Freunde sagen, ihre öffentliche Kritik könne auch Bekannte treffen, aber sie sei nie prinzipiell. Miller sagt, sie will auf Zustände einwirken. Und auf landespolitischer Ebene könne man das ganz gut.

Miller legt sich dabei mit Leuten an, mit denen es sich viele lieber nicht verscherzen wollen. Apropos Schertz, dem Medien-Anwalt musste sie schon mal eine Unterlassungserklärung unterschreiben, weil sie einen anonymen Brief geteilt hatte, in dem ein bekannter Player der Berliner Kunstszene von mehreren Frauen des Machtmissbrauchs bezichtigt wurde.

Warum macht sie immer wieder den Mund auf? Unrechtsempfinden? „Ja, schon. Aber ich merke auch, dass Wut mich motiviert. Mehr als der Karriereehrgeiz.“ Widerstand und Veränderung beginnen oft in der Kunst, zitiert Miller die Autorin Ursula K. Le Guin.

Die Vermutung liegt nahe, dass Miller dadurch auch Nachteile hat. Zumindest hat sie KollegInnen, die anerkennend oder mit fast schlechtem Gewissen über ihr Engagement sprechen. Schließlich gelten kritische Frauen in fast jeder Szene schnell als frustriert oder erfolglos. „In der Kunst ist es so, dass niemand dich einlädt auszustellen, wenn du nicht empfohlen wirst. Aber ich weiß nicht, wer mich nicht empfohlen hat, weil ich ein Troublemaker bin, und welche Chancen mir deswegen entgangen sind“, sagt sie und lacht. Aber ist das Teil ihrer künstlerischen Praxis? „Ich rede lieber über politische Themen als über meine künstlerische Praxis. Es ist so, dass sich beides bedingt. Aber ich möchte mich nicht mit dem einen für das Andere profilieren. Trotzdem kennen jetzt natürlich mehr Leute meinen Namen, unter anderem, weil unser Pressetext vielfach zitiert wurde. Das kann ich nicht verhindern.“

Klatsch als Widerstand

Die Akademie der Künste vergab den Will-Grohmann-Preis 2021 an Zoë Claire Miller. In der Begründung heißt es: „Die Jury hebt anerkennend hervor, dass Millers Kunst eng mit ihrem politischen Engagement verbunden sei.“

Ihr Handy piept, eine Nachricht: „Wohooo, noch ein Mitglied der Akademie der Künste unterstützt den Boykott!“, singt sie in dieser amerikanischen Melodie, die Stolz und Schadenfreude intoniert. Von 90 Ausstellenden bei Diversity United, die bis Mitte März in Moskau gastiert, sind bisher dreizehn aus Protest ausgestiegen. Die bbk hat den Boykott nicht ausgerufen, aber Teile des Vorstands stehen dahinter. Die Berliner Kunstszene mache gerade einen ganz guten Job, sagt Miller.

Was fordert sie eigentlich konkret? Smerling müsse gehen, das Geld, das für ihn eingeplant sei, den KünstlerInnen in Berlin zugutekommen, auch die Infrastruktur müsse bleiben, die Stellwände im Wert von einer Million etwa. Dann spricht sie wie eine Politikerin: Wichtig sei, die strukturellen Probleme in Berlin anzugehen, dass Politiker Deals machten, es in den Verwaltungen eine derartige Inkompetenz gebe.

Denn das Merkwürde am Kunsthallen-Debakel ist auch: Hätte die Stadt die Flächen der lokalen Kunstszene überlassen, es wäre vermutlich eine interessante Ausstellung entstanden. Für Kunst-Interessierte, nicht nur für Anlage-Interessierte. Stattdessen gebe man es Leuten, „die mit Leuten befreundet sind, die Auftragsmörder in Deutschland engagieren. What the fuck!“, ruft Miller und lacht.

Am Ende des Gesprächs erwähnt Zoë Claire Miller noch einen Essay der Künstlerin Hannah Black. Darin beschreibe sie Gossip als eine Form weiblichen Widerstands. Der Hass auf Gossip sei eigentlich der Hass auf Frauen, die sich austauschten. Black schreibt: „In Klatschgemeinschaften werden Erniedrigungen, die Partner, Chefs und Familien uns zufügen, gemeinsam umsorgt.“ Für marginalisierte Menschen habe der Tratsch eine doppelte Funktion, er festige die Gemeinschaft und rüttele an den Positionen der Machthabenden. Die Faszination für Millers große Schnauze hat vermutlich auch mit der Scham für die eigene (kleine) Stimme zu tun.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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