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Porträt | Siemtje Möller: Die rote Rakete


Link [2022-05-21 22:33:12]



Siemtje Möller hat in der SPD einen steilen Aufstieg geschafft. Wie tickt die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium?

Zahlreiche Kommentatoren arbeiten sich derzeit an der Frage ab, warum die SPD angesichts des Krieges in der Ukraine nicht endlich Abschied nimmt von ihrer „total verfehlten Entspannungspolitik“ und tätige Reue übt. Einige Analysten glauben sogar, den tieferen Grund für diese Verbohrtheit gefunden zu haben: Die Aufstiegsbiografien vieler Sozialdemokraten seien so untrennbar mit dem „Erfolgserlebnis Ostpolitik“ verbunden, dass ein Abrücken von überholten Positionen ihr ganzes politisches Leben in Frage stellen würde. Deshalb falle es älteren Sozis so schwer, die Friedensschalmei gegen die Kriegstrommel zu tauschen.

All diese Küchenpsychologen mögen sich beruhigen! Auch unter jüngeren Genoss:innen wird an den sozialdemokratischen Schlüsselbegriffen „Aufstieg“ und „Frieden“ festgehalten. Die Ostfriesin Siemtje Möller, Jahrgang 1983, seit 2020 Sprecherin des Seeheimer Kreises in der SPD und seit Dezember Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, möchten manche vielleicht weit rechts verorten, doch auch sie ist geprägt von einem Anti-Kriegs-Erlebnis: der größten Friedenskundgebung in der Geschichte der Bundesrepublik. Mehr als 500.000 Demonstranten zogen am 15. Februar 2003 durch Berlin, um gegen den von US-Präsident George W. Bush geplanten Irak-Krieg zu protestieren. Mit dabei war die 19-jährige Siemtje, schwer beeindruckt von der Aussage ihres Kanzlers Gerhard Schröder: „Unter meiner Führung wird dieses Land für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen.“

Das zweite Schlüsselerlebnis ihrer Politisierung war die von der schwarz-gelben Landesregierung in Niedersachsen geplante Einführung von Studiengebühren. Möller hatte 2004 ihr Lehramtsstudium in Göttingen aufgenommen, in den Fächern Französisch, Spanisch und Politik. Sie wollte in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, die sich auf dem zweiten Bildungsweg den ersehnten Lehrerberuf erkämpft hatten. Sollte ein Hochschulstudium jetzt wieder am Geldbeutel der Eltern scheitern? Möller organisierte Protestveranstaltungen, drehte Filme gegen das „bescheuerte“ Vorhaben, wetterte gegen „Bildung als Privileg für die Reichen“. Die Landesregierung zog ihr Ding trotzdem durch. Ab 2006 mussten Studenten 500 Euro Semestergebühr berappen. Für Siemtje Möller der finale Grund, einer Partei beizutreten, denn „APO allein“ nutzte ja nichts. Da die Grünen ihre Anfrage nicht beantworteten, folgte sie der Einladung der SPD und spürte sofort: „Das sind meine Leute.“ Als Vorstandsmitglied der niedersächsischen Jusos wurde sie beratendes Mitglied im SPD-Landesvorstand, aber erst 2010, mit 27, trat sie formell in die Partei ein. Zielstrebigkeit und vorsichtig prüfendes Herantasten gehen bei ihr gut zusammen.

Siemtje Möller schließt sich den Transatlantikern an

Bereits als Schülerin interessierte sie sich für internationale Politik, als Studentin absolvierte sie Praktika bei den Vereinten Nationen in New York, bei der Weltbank in Washington und bei einer Politikberatung in Brüssel. An der Göttinger Uni jobbte sie als Tutorin für internationale Politik und hielt Seminare auf Englisch. Doch nach dem Staatsexamen kamen erst mal die Mühen der Ebene. An einer Berliner Berufsschule versuchte sie, jungen Kfz-Mechanikern politische Bildung nahezubringen. In diese Zeit fiel die – privat motivierte – Entscheidung, wieder zurück nach Friesland zu gehen. Sie und ihr Partner benötigten die Unterstützung der Eltern, um Familienplanung, politisches Engagement und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen. Als dann der Bundestags-Wahlkreis Friesland, Wilhelmshaven, Wittmund frei wurde, weil die lokale Abgeordnete 2017 in Pension ging, beschloss das Paar, dass er sich neben Lehrer-Examen und SPD-Kreisverband um die Kinder kümmert, während sie, hochschwanger, für den Bundestag kandidiert.

Dieser Entschluss änderte alles. Ihr Wahlkreis am Jadebusen beherbergt nämlich den größten Standort der Bundeswehr, mit Einsatzflottille 2 der Marine, Marinearsenal, Logistikzentrum, Richthofen-Geschwader und Objektschutzregiment. Daran hängen 13.000 Arbeitsplätze. Das verpflichtet. Und obwohl die Abgeordnete Möller anfangs den linken Flügel der SPD-Fraktion als politische Heimat in Betracht zog, fädelte sie sich doch bei den super-pragmatischen Transatlantikern des Seeheimer Kreises ein. Dort war der verteidigungspolitische Nachwuchs nach fünf Unions-Ministern in Folge (Jung, zu Guttenberg, de Maiziére, von der Leyen, Kramp-Karrenbauer) derart ausgedünnt, dass Möller raketenschnell zur Expertin aufstieg.

Eine glückliche Fügung kam hinzu: Bei den erfahrenen Sicherheitspolitikern der SPD – alles Männer, alles große Egos – begann 2020 überraschend ein Stühlerücken. Fritz Felgentreu, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels sowie Johannes Kahrs, Fraktionssprecher im Haushaltsausschuss und einflussreicher Oberst der Reserve, warfen fast gleichzeitig die Brocken, weil sie nicht bekamen, was sie wollten. Das unterscheidet Siemtje Möller von ihren Kollegen. Sie bekommt, was sie will, weil sie erst mal das macht, was anliegt. Ohne zu murren. Ohne nerviges „Laberrhabarber“. Eiserne Disziplin gehört zum Aufstiegsversprechen der SPD immer dazu.

So wurde aus der ehemaligen Lehrerin mit 37 Jahren eine Staatssekretärin, zuständig für internationale Sicherheitspolitik. Mal tagt sie bei der Nato, mal fliegt sie telegen im Eurofighter mit, mal plädiert sie für Kampfdrohnen und öffentliche Gelöbnisse. Und weil seit Wochen fast alle aufgeregt nach schweren Waffen rufen, dürfte die Bedeutung ihres Einsatzgebietes noch weiter zunehmen. In den Frühzeiten der Arbeiterbewegung war „Parteisoldat“ ja eine ausgesprochene Ehrenbezeichnung.

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