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Porträt | Russlands Zentralbankchefin Elwira Nabiullina: Die Frau hinter dem Rubel


Link [2022-04-23 12:15:03]



Elwira Nabiullina steht als Russlands Zentralbankchefin mitten im Sanktionssturm. Westliche Kollegen schätzen ihre Kompetenz

Hinter der derzeitigen Erholung des Rubels auf das Vorkriegsniveau von Mitte Februar steht eine mächtige Dame. Im Vorjahr landete sie auf der Forbes-Liste der einflussreichsten Frauen weltweit. Die Rede ist von der 58-jährigen Volkswirtin und Bankerin Elwira Nabiullina. Von ihrer Herkunft Tatarin, leitet sie seit 2013 nach einer überraschenden Nominierung durch Wladimir Putin die Zentralbank ihres Landes. Sie führte die russische Währung bereits 2014 aus der Krise, wofür ihr das britische Fachmagazin Euromoney seinerzeit das Prädikat „beste Führungskraft einer Notenbank“ zukommen ließ. 2019 nahm sie auf Wunsch des Präsidenten Kurs auf eine „Entdollarisierung“ der russischen Ökonomie. Wladimir Putin spricht sie – auch in der Öffentlichkeit – mit ihrem Vornamen an, was in Moskau als Zeichen besonderen Vertrauens gilt.

Anfang März allerdings kursierte nach einem Facebook-Eintrag von Oleksij Hontscharuk, der von 2019 bis 2020 Ministerpräsident der Ukraine war, das Gerücht, Nabiullina wolle wegen der Invasion der Ukraine von ihrem Posten zurücktreten. Der Kreml dementierte das umgehend, später berichtete das US-Nachrichtenportal Bloomberg unter Verweis auf vier Quellen, dass Putin ihren Rücktritt nur nicht angenommen habe. Dem Bericht zufolge habe er Nabiullinas Amtsverzicht mitten im Krieg als Verrat betrachtet. Der britische Guardian berichtete, dies hätte laut einer eigenen Quelle zu Konsequenzen für sie und ihre Familie führen können.

Nabiullina koordinierte 2006 die Vorbereitungen Russlands auf den ersten Vorsitz innerhalb der G8-Staaten, ein Jahr später stieg sie zur Wirtschaftsministerin auf. 2013 wurde sie zur Assistentin des Präsidenten für Wirtschaftsfragen und gehört damit zum Kreis von Putins fünf persönlichen Beratern. Sie hat in dieser Zeit – womöglich schon im Blick auf die eines Tages gebotene Sanktionsabwehr – ein eigenes Zahlungssystem eingeführt.

Elwira Nabiullina gilt als Anhängerin wirtschaftsliberaler Ansätze

Nabiullina ist Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russlands“ und hält den Zusammenbruch der Sowjetunion ebenso wie Putin für eine Tragödie. Freilich kann sie keinen Platz im Nationalen Sicherheitsrat beanspruchen, einer Art Politbüro 2.0 aus Militärs und Ministern, das Ende Februar Putins Kriegsentscheidung absegnete. Seit der Ära Jelzin gilt Nabiullina als Anhängerin wirtschaftsliberaler Ansätze, greift aber zu harten Devisenkontrollen, die den Rubel bisher auf künstliche Weise stärken konnten. Die damit überbewertete Währung ist jedoch nicht stabil. Ökonomen erwarten daher eine baldige Abwertung durch die Zentralbank, die das Ziel haben könnte, die Steuereinnahmen aus den Energieexporten zu erhöhen.

Westliche Kollegen schätzen Nabiullinas Kompetenz. Im Vorfeld des Krieges und als Reaktion auf die Sanktionen habe sie ihre Arbeit gut erledigt, zitiert die US-Publikation Politico einen europäischen Zentralbanker. Dass fast die Hälfte der russischen Gold- und Devisenreserven im Wert von 300 Milliarden Dollar im Ausland angelegt ist, wird weniger als Fehler denn als Zeichen dafür gesehen, dass die Notenbankgouverneurin offenbar nicht mit dem Einfrieren dieser Reserven als Teil der Strafmaßnahmen rechnete. Oder als ein Indiz dafür, dass sie Putins Kriegsbereitschaft falsch einschätzte.

Gegenwärtig vermeidet Nabiullina laute politische Äußerungen. Anfang März richtete sie die Bitte an alle Mitarbeiter der Zentralbank, sich nicht auf politische Kontroversen einzulassen. Dies werde nur Kräfte verbrennen, die gebraucht würden, um „unser Ding zu machen“, so Nabiullina. Die Belegschaft sollte sich stattdessen zusammenschließen, da viel von der Arbeit dieses Geldinstituts abhänge. So spiegelt ihre Haltung zum Krieg aktuelle Tendenzen in der Business-Elite, wie sie von der russischen Politologin Tatjana Stanowaja jüngst in einem Interview mit dem Freitag als „ideologische Entkopplung“ beschrieben wurden (Ausgabe 14/2022): Man lehne die Schlacht um die Ukraine angesichts katastrophaler Folgen zwar als Fehler ab, aber viele würden trotzdem schweigen und sich der neuen Realität anpassen, um zu überleben.

Nabiullina auf Sanktionsliste

Russische Oppositionelle im Exil zeigen sich enttäuscht von Nabiullinas „Weiter-so“-Entscheidung. Dmitri Gudkow, ehemaliger Duma-Abgeordneter der Partei „Gerechtes Russland“, der 2021 vor drohender Verhaftung ins Ausland geflohen ist und heute eine radikale Anti-Putin-Linie vertritt, wirft Nabiullina vor, mit ihrer Expertise und ihrem Professionalismus „den Kriegsverbrecher Putin“ zu bedienen und seine Kriegskasse aufzufüllen. Nabiullina treffe daher eine Mitschuld an den Regierungsverbrechen, sie müsse sich daher auf Konsequenzen einstellen, so Gudkow.

Man kann Nabiullinas persönlichen Auftrag auch anders sehen. Als Chefin einer Institution, die rechtlich von der Regierung unabhängig ist, hilft sie nicht nur Wladimir Putin, sondern auch der russischen Wirtschaft und den im Krieg teilweise realitätsfernen russischen Bürgern, sich über Wasser zu halten. Bis vor Kurzem war sie – anders als einige Mitglieder der Regierung und die meisten Oligarchen – von der EU nicht mit Sanktionen belegt worden. Dann aber setzte Australien als erstes Land Nabiullina am 7. April auf eine eigene Sanktionsliste.

Theoretisch läuft Nabiullinas zweite Amtszeit als Chefin der Zentralbank am 24. Juni 2022 aus. Präsident Putin will sie länger halten und schlug der Staatsduma am 18. März vor, ihre Befugnisse als Notenbankdirektorin um weitere fünf Jahre zu verlängern. Am 21. April wollte diese Kammer des russischen Parlaments darüber entscheiden. Ob Nabiullina das Angebot und dann die Wahl annimmt?

Liudmila Kotlyarova ist freie Autorin und Mitglied des Deutsch-Russischen Forums Präsident Putin hätte Nabiullinas Amtsverzicht mitten im Krieg wohl als Verrat betrachtet

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