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Porträt | Ein Kenner, kein Visionär


Link [2022-01-29 11:36:25]



Omid Nouripour soll in einer Doppelspitze die Grünen führen – ganz ohne Reibungen wird das nicht gehen. Ist das ein Problem?

Omid Nouripour ist 46 Jahre alt und möchte noch einmal ganz groß Karriere machen. Seine „persönliche K-Frage“, hat er kürzlich der taz, gesagt, laute folgendermaßen: „Wie werde ich Kapitän bei der Eintracht, ohne die Leistung der Mannschaft zu ruinieren?“ Das wird nicht leicht: Eintracht Frankfurt ist zwar nicht gerade eine notorische Spitzenmannschaft; aber dass ein ausgewachsener Mann mittleren Alters sie zu einer entscheidenden Leistungssteigerung führt, ist so wahrscheinlich nun auch wieder nicht.

Ohnehin ist es so, dass Nouripour in nächster Zukunft wenig Zeit zum Trainieren haben wird. Eigentlich bereits in hoher Verantwortung als Vorsitzender des Eintracht-Fanclubs im Bundestag, wird er am Wochenende nebenbei den Vorsitz der Grünen übernehmen, gemeinsam mit der jungen Schwäbin Ricarda Lang vom eher linken Flügel.

Dass Nouripour in Interviews seine Fußballer-Fantasien ausbreitet, ist keine Überraschung. Bis an die Grenze der Penetranz den Eintracht-Fan herauszukehren, gehört sozusagen zum Markenkern des direkt gewählten Bundestagsabgeordneten aus Frankfurt am Main. Er tut das besonders gern dann, wenn er auf Fragen nicht wirklich antworten will. In diesem Fall ging es um eine mögliche Kanzlerkandidatur im Jahre 2025, und das war ja tatsächlich etwas zu weit nach vorne spekuliert. Nun also der Parteivorsitz. Worauf können sich die Grünen gefasst machen?

Mit 13 Jahren floh Nouripour aus dem Iran

Omid Nouripour ist ein ausgewiesener, kundiger und gut vernetzter Außenpolitiker. Und auf keinen Fall kann es der politischen Landschaft schaden, wenn so einer an der Spitze einer wichtigen Partei steht. Der globale Blick, über den Nouripour zweifellos verfügt, ist sicher schon in der eigenen Biografie angelegt: Im Jahr 1988 floh der 13-jährige Omid, 1975 in Teheran geboren, mit seinen Eltern aus dem Iran nach Frankfurt. Und wer weiß, ob nicht gerade der Verlust des Geburtslandes die enge Bindung an die zweite Heimatstadt erklärt.

Allerdings: So erfrischend es ist, wenn ein Kosmopolit mit Migrationsgeschichte eine so wichtige Position einnimmt, so wenig sagt das über die Qualität seiner konkreten politischen Positionen aus. Nouripour ist durch und durch ein Gewächs des hessischen Hyperrealo-Flügels, ein „konservativer Grüner“, sagen Leute, die mit ihm gearbeitet haben.

Schon 1996, im Jahr seines Abiturs, wurde Nouripour Mitglied des von Realo-Guru Joschka Fischer dominierten hessischen Landesverbandes. An der Uni in Mainz studierte er unter anderem Germanistik, Politik und Jura, aber schon 2002, mit 27 Jahren, brach er das Studium ab („Ich habe erfolglos Literaturwissenschaft studiert“), um Berufspolitiker zu werden. Schon vorher Vorsitzender der Grünen Jugend in Hessen, saß er nun im Bundesvorstand der Partei, von 2006 an als Nachfolger Fischers auch im Bundestag.

Nach 15 Jahren in der parlamentarischen Außenpolitik präsentiert sich der künftige Parteivorsitzende als Kenner, aber nicht gerade als progressiver Visionär. Das zeigt sich in diesen Tagen am eskalierenden Konflikt zwischen der NATO und Russland: Anders als zum Beispiel Agnieszka Brugger, Vize-Fraktionsvorsitzende und Verteidigungspolitikerin, spricht sich Nouripour nicht allgemein gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus, sondern denkt laut über eine Unterstützung Kiews mit „nicht letalen“, also nicht tödlichen Waffensystemen nach, etwa mit Minenräumbooten.

Im Mainstream unterwegs

Auch bei anderen Themen, wie etwa Afghanistan, ist Nouripour „im Mainstream unterwegs“, wie es ein langjähriger Beobachter des Einsatzes am Hindukusch nennt. Bis zum Schluss hat der Grüne die Militärmission im Grundsatz verteidigt. Allerdings dürften seine Kontakte im akuten Notfall, wie zuletzt bei der Evakuierung von Ortskräften, eine durchaus hilfreiche Rolle gespielt haben.

Insgesamt schreiben selbst Kritiker dem künftigen Grünen-Chef Eigenschaften wie Ernsthaftigkeit, Verlässlichkeit und Hilfsbereitschaft zu. „Im Rahmen seines Denkgebäudes“ handele er lieber entschlossen, als eigene Eitelkeiten zu pflegen, heißt es. Wie das bei anderen als seinen internationalen Herzensthemen funktioniert, wird Omid Nouripour allerdings noch zeigen müssen. Ganz ohne Reibungen wird es wohl nicht gehen, wenn nach dem Reala-Realo-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck wieder eine nach Flügeln quotierte Doppelspitze amtiert. Im Doppelinterview von Nouripour und Ricarda Lang mit der taz deutete sich das unübersehbar an.

Da antwortete Nouripour auf die Frage, was aus der Forderung der Grünen nach einem vollständigen Ausgleich für steigende CO2-Abgaben geworden sei, im typisch ausweichenden Regierungsstil: „Die Leute, bei denen das Geld knapp ist, schauen schon sehr genau auf ihre Rechnungen. Und die Senkung der EEG-Umlage lässt sich sehr kurzfristig umsetzen.“ Darauf sofort die künftige Co-Vorsitzende Lang: „Es ist ja nicht so, dass wir von einem Rückerstattungsmechanismus Abstand genommen haben.“

Sind die Differnezen ein Problem?

Ganz ähnlich bei Hartz IV. Er habe damals zugestimmt, sagt Nouripour, „weil die Absicht an sich nicht falsch war. (…) Es ist die Umsetzung, die über die Jahre viele Probleme verschärft hat.“ Antwort von Ricarda Lang: Sie sei 2012 in die Partei eingetreten, „als ich 18 war und meine Mutter ihren Job im Frauenhaus verloren hat. (…) Für mich ist darum klar, dass die Hartz-IV-Reformen eine große Hypothek für unsere Partei sind.“

Sind diese Differenzen ein Problem? Nein, sie machen zumindest ein wenig Hoffnung, dass die Grünen nicht bis zur Unkenntlichkeit in der Regierung verschwinden. Es kann nicht schaden, wenn sich wenigstens diesseits der Koalitionsräson ein „konservativer Grüner“ mit den progressiven Strömungen in der Partei auseinandersetzen muss.

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