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Oper | Barrie Kosky nimmt Abschied von der Komischen Oper Berlin: „Hitler hat nicht gewonnen“


Link [2022-06-17 22:31:23]



Barrie Kosky verabschiedet sich als Intendant der Komischen Oper Berlin mit einer „All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“, die einmal mehr zeigt: Narren wie Kosky braucht die Welt

Barrie Kosky spottet über alles. Doch seine Komik verletzt nie, sie ist aber auch nie nur Klamauk. Wenn ein Haufen orthodoxer Juden mit Schläfenlocken und schwarzen Hüten über die Bühne wirbelt, ist das zum Brüllen komisch. Am Ende steht das in Berlin so heiß geliebte Theatertier Kosky selbst an der Rampe und triumphiert: „Hitler hat nicht gewonnen.“

Das sieht er als seinen Auftrag an. Der scheidende Intendant der Komischen Oper Berlin machte sich auch damit unsterblich, wie furios er Jazzoperetten aus den 1920er und 30er Jahren wiederbelebt: die Theaterkunst jüdischer Komponisten wie Paul Abraham (Ball im Savoy) oder Oscar Straus (Die Perlen der Cleopatra).

Es passt also, dass Kosky zum Abschied sich und sein Publikum mit einer weiteren Auferstehungsfeier beschenkt. Das Material der berauschenden Revue stammt aus den 1950er und 60er Jahren, als die Juden New Yorks ihre Sommerferien in den Catskill Mountains verbrachten, dem Epizentrum jüdischen Entertainments. Jazz, Klezmer, europäische Operette, lateinamerikanische Tänze, Comedy: das Gemisch einer optimistischen Zeit. Komiker wie Woody Allen, Mel Brooks und Jerry Lewis starteten damals ihre Karrieren.

Die Kunst muss jahrelang ausweichen

Noch einmal versammelt Kosky für seine All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue eine große Zahl der wichtigsten Künstler seiner zehnjährigen Amtszeit. Zum Beispiel die grandios komische Schauspielerin und als Sängerin spät entdeckte Dagmar Manzel. Am Pult stand der amerikanische Pianist Adam Benzwi, mit dem Kosky auch die neue Dreigroschenoper am Berliner Ensemble gestaltete, die vergangenes Jahr Premiere hatte. Koskys Mann für das Leichte stand vor einem Orchester, dessen Kernkompetenz zwar Mozart und Verdi sind, das aber auch als Big Band zu glänzen versteht. Das macht ihm kein anderes Opernorchester nach.

Barrie Kosky kennt keine Berührungsangst – auch nicht vor Albernheit

Foto: Jan Windszus Photography

Die Intendanz des Regieberserkers setzte Maßstäbe, polierte den Ruf des dritten Berliner Opernhauses international auf und füllte den Zuschauerraum. Dabei war durchaus nicht alles nur komisch an der Komischen Oper. Er inszenierte auch ganz schwere Brocken. Das Zwölftonopus Moses und Aaron von Arnold Schönberg etwa, auch dies ein jüdischer Stoff von einem jüdischen Komponisten. Kosky bestellte und produzierte neue Werke wie Moritz Eggerts M – eine Stadt sucht einen Mörder nach Fritz Langs Kinoklassiker. Er liebt aber auch die Anfänge der Oper. Gleich zu Beginn seiner Intendanz 2012 zeigte er alle drei erhaltenen Werke Claudio Monteverdis an einem einzigen Tag. Mit Mozarts Zauberflöte in einer Kombination aus Live-Musik und Filmanimation gastierte die Komische Oper Hunderte Male auf der ganzen Welt.

Der überall begehrte Regisseur will weiter an der Komischen Oper inszenieren. Dennoch bedeutet das Ende seiner Intendanz einen Einschnitt, schon weil das Haus demnächst umgebaut wird und die Kunst jahrelang ausweichen muss.

Eine Portion Schlüpfrigkeit fehlt nie

Koskys Stil ist leicht zu erkennen. Eine Portion Schlüpfrigkeit fehlt nie. Der sich selbst als schwules jüdisches Känguru ironisierende eingebürgerte Australier liebte und lebte queer schon, als das Wort noch nicht in aller Munde war. Faszinierend ist, wie virtuos er in allen Inszenierungen die Bühne vollpackt, Menschenmengen verdichtet und bewegt. Es wirkt stets so, als wollte der Menschenfreund die Menschheit als Ganzes umarmen.

Sein Vorbild ist der Österreicher Walter Felsenstein, der 1947 als erster Regisseur ein Opernhaus, eben die Komische Oper gründete, die Regie gleichberechtigt neben die Musik setzte und einen bis heute an Opernhäusern unüblichen Ensemblegeist schuf, der alle einschloss, auch die Bühnentechniker. Diese Prinzipien übernahm Kosky, installierte beispielsweise auch wieder die zuvor abgeschaffte Tanzgruppe: Zwölf broadwayreife Tänzerinnen und Tänzer aus zwölf Ländern, die mit ihrem Choreografen Otto Pichler einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Erfolg haben.

Als Kosky Intendant wurde, war er bereits ein international gefragter Opernregisseur. Er lässt zwar an der Komischen Oper keinen Wagner spielen, „weil das alle tun“, hat dennoch den chauvinistischen Schinken der Meistersinger in Bayreuth erhellend und tatsächlich auch heiter auf die Bretter gebracht.

Entertainment ist kein schmutziges Wort

Denn Kosky kennt keine Berührungsangst – auch nicht vor Albernheit. Der lausige Witze berlinernde Cowboy etwa fiel deutlich ab in der sonst intelligenten, durchgängig jiddisch gesungenen Revue. „Entertainment“ ist für den nicht hundertprozentig geschmackssicheren Kosky kein „schmutziges Wort“. Oper ist für ihn immer Unterhaltung. Denn Theater, meint Kosky, tauge nicht dazu, Realität abzubilden, es sei vielmehr „Traumfabrik“, das Live-Erlebnis ein „schamanistic Wunder“.

Verdis Falstaff, das der Bühnenmagier neulich schwindelerregend lustig inszeniert hat, schließt mit Worten, die sein Motto sein könnten. „Tutto nel mondo è burla, l’uom è nato burlone.“ Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren.

Narren wie Kosky braucht die Welt.

Info

Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue Regie: Barrie Kosky Musikalische Leitung: Adam Benzwi, Choreografie: Otto Pichler Komische Oper Berlin

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