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Olympische Winterspiele | Schnee der Angst


Link [2022-02-06 14:13:24]



200 Millionen Liter Wasser werden für den Kunstschnee in Peking benötigt. Zeit, sich vom Wintersport zu verabschieden

Für die Olympischen Winterspiele wird es eng, schneetechnisch. Und zwar nicht nur dieses Jahr, sondern ganz generell. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Begriff „Schneesicherheit“ etwas sagt. Damit rühmen sich Wintersportorte, an denen man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass genügend Schnee da sein wird, um darauf Ski, Snowboard oder Schlitten fahren zu können. Tja, damit können sich in Zeiten des Klimawandels immer weniger Orte rühmen, selbst diejenigen nicht, an denen die prestigeträchtigsten Wintersportwettbewerbe der Welt ausgetragen werden.

Von den 21 Orten, die seit den ersten modernen Spielen 1924 im französischen Chamonix Schauplätze der Olympischen Winterspiele waren, werden sich bis 2050 nur noch zehn klimatisch dafür eignen. Das prognostizierten Forscher der britischen Loughborough-Universität in einer neuen Studie, die den schönen Namen „Slippery Slopes“ trägt: wörtlich „rutschige Hänge“, im übertragenen Sinne aber eher „dünnes Eis“ – was in diesem Zusammenhang nicht minder passend ist. Denn das Eis wird dünn für die Eiskunstläufer, Biathleten und Skilangläufer dieser Welt: Auch Chamonix – der Ort, an dem alles begann – gilt schneetechnisch bereits als „high risk“.

Was tut man, wenn man keinen Schnee hat? Man macht selber welchen! Zu bestaunen sein wird das von dieser Woche an in Peking: Die dortige Winterolympiade wird die erste sein, die zu hundert Prozent auf Kunstschnee ausgetragen wird. Das Olympische Komitee geht davon aus, für den künstlichen Schnee mehr als 200 Millionen Liter Wasser zu benötigen, acht Wasserkühltürme, rund 130 Schneeerzeuger, etwa 300 Schneekanonen, drei Pumpstationen und jede Menge Chemikalien, um die Schneeschmelze zu verlangsamen. Das Ganze ist durch und durch ökologischer Wahnsinn.

Aber auch für die Spiele selbst ist der Kunstschnee ein Problem: Die Forscher interviewten Winterathleten für ihre Studie, und die blicken den Wettkämpfen mit Angst entgegen. Denn zum einen sei die Oberfläche einer Kunstschneedecke schlechter einschätzbar als eine natürliche. Zum anderen verhärte sich der künstliche Schnee in Halfpipes leicht zu festem Eis, was bei einem Sturz lebensgefährlich sei.

Sehen wir der Realität ins Auge: Wir müssen uns von Skisprungschanze, Bobbahn und diesem elenden Zieleinfahrtsglockengeläut wohl besser verabschieden. Das bedeutet für die Athleten: Umschulung zu sommerlichen Sportarten, ich denke da an Wasserski, Sommerrodeln oder Sandboarding – an Austragungsorten dafür wird es gewiss nicht mangeln.

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