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NFT | Wenn ein Affe Millionen wert ist


Link [2022-02-19 10:33:26]



Bitcoin-Reiche bringen ihre Währung durch digitalen Kunsthandel unter die Leute. Doch die Blase wird platzen

Es war im Sommer des Jahres 1720, die Stadt London erlebte gerade die erste Finanzblase der Geschichte, da schoss die Nachfrage nach sogenannten „Globe-Zertifikaten“ in die Höhe: Schnipsel von gewöhnlichen Spielkarten, die mit einem Wachssiegel des Pubs „The Globe Tavern“ bedruckt waren. Der Besitz eines solchen „Globe Permit“ erlaubte es Investoren, „irgendwann in der Zukunft Anteile an einer Segeltuchmanufaktur zu kaufen, geplant von jemandem, der für seine glückliche Hand bekannt ist“, kurz gesagt: Anteilseigner einer Fabrik zu werden, die nicht existierte. Die Zertifikate wurden erst zum Preis von 72 Pfund pro Stück gehandelt – heute entspräche das rund zwei Millionen Euro. Dann wurden sie als Betrug entlarvt und für wertlos erklärt.

In gewisser Weise waren diese Papierschnipsel die ersten Non-Fungible Tokens, kurz: NFTs. So nennen wir heute, 300 Jahre später, jene Zertifikate für digitale Kunstwerke, die aktuell über den digitalen Kunsthandelstisch gehen. Bezahlt werden sie mit den Kryptowährungen Bitcoin oder Ether, hergestellt durch die Blockchain-Technologie. Jüngst wurden NFT-Zertifikate für gelangweilte Comic-Affen zu exorbitanten Preisen versteigert, der Musiker Justin Bieber kaufte ein Zertifikat für 1,15 Millionen Euro. Jede Diskussion über den derzeitigen Hype um diese neuen digitalen Wertmarken muss mit dieser Frage beginnen: Wie unterscheiden sich NFTs davon, Papierschnipsel als Anspruch auf ein nicht existierendes Unternehmen zu kaufen? Ist die Kryptomanie unter Internetberühmtheiten nicht genau das Gleiche?

Ja, könnte die kurze Antwort lauten. Aber die technologischen und ideologischen Mechanismen rund um das Phänomen NFT lohnen eine genauere Betrachtung.

Eine Kryptowährung ist eine Geldform, die nur in einem digitalen Verzeichnis existiert. Da dieses über die Blockchain dezentralisiert ist, kann das Verzeichnis nicht gelöscht werden. Und da es im Gegensatz zu einer von einer Zentralbank ausgegebenen Währung nur eine beschränkte Anzahl von Einheiten gibt, setzen die Erfinder von Kryptowährungen darauf, dass diese im Verhältnis zu staatlichen Währungen wie Dollar oder Euro tendenziell an Wert zunehmen, weil die Nachfrage früher oder später das Angebot übersteigen wird.

Kleinanleger ziehen den Kürzeren

Leidenschaftslos betrachtet ist ein NFT ein Mittel dafür, die Nachfrage nach Kryptowährungen anzuheizen – eine Marke für den Wert eines einzigartigen digitalen Guts, etwa einer Fotodatei oder eines JPEG.

Gary Stevenson war früher Trader bei der Citibank in London. Heute versucht er, über die Gefahren des „spekulativen Kapitalismus“ aufzuklären. Er warnt davor, dass Kryptowährungen von ihren Gründern so aufgezogen sind, dass Kleinanleger am Ende den Kürzeren ziehen müssen: „Der Besitz von Kryptowährungen ist extrem konzentriert, das heißt: Eine Handvoll Leute – normalerweise jene, die die Währung gegründet haben und ‚Wale‘ genannt werden – hält einen großen Anteil daran. Was würde ich tun, wenn ich Bitcoin im Wert von 36 Milliarden US-Dollar hätte? Ich würde sie über die Zeit langsam verkaufen. Ich würde Geld dafür ausgeben, sie aggressiv zu bewerben, und ich würde meine Profite dafür nutzen, den Markt immer dann zu stützen, wenn er abstürzt. Für Leute, die viel Kryptowährung besitzen, muss die Priorität sein: Wie verkaufe ich, ohne dass der Markt zusammenbricht?“

Die Antwort ist, dass ein möglichst großer Teil der Kryptowährung von – wie Stevenson es formuliert – „Friseuren und Taxifahrern“ gekauft werden muss. Geld sei eine komplizierte Sache, sagt er: „Für den Durchschnittsbürger sind Bilder von Affen leichter zu verstehen als Geld.“

Das erklärt, warum Leute derzeit wie im Fieber Wertmarken für den Besitz von pixeligen Zeichentrick-Affen handeln und tauschen. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels wird das NFT für ein solches digitales Bild mit dem Titel „Bored Ape #3839“ (Gelangweilter Affe) auf der Plattform Opensea für 131.436.597,39 US-Dollar angeboten. Bezahlt werden muss mit einer virtuellen Währung: 42.069 Ether.

Was ist ein NFT?

Post-it NFT ist die Abkürzung für „Non-Fungible Token“, eine Art Wertmarke für eine einzigartige digitale Datei – derzeit meist ein digitales Kunstwerk wie ein Bild, ein Comic oder auch nur Teile davon. Dabei wird das Kunstwerk mittels der Blockchain-Technologie untrennbar mit einem Zertifikat verbunden, und dieses Zertifikat wird verkauft. Die Käuferin erwirbt mit einem NFT ganz konkret meist einen Link zu einer Datei, zum Beispiel zu einem JPEG, so heißt eine häufige Dateiform der NFT-Bilder. Man erwirbt nicht unbedingt die Eigentums- oder Nutzungsrechte an dem Werk selbst, diese müssen noch einmal extra geregelt werden. Im Prinzip ist ein NFT ein digitales Post-it, auf dem steht, um welche Ressource oder Datei es sich handelt – und das man kaufen und wieder verkaufen kann. Ob das NFT nun durch ein Kunstwerk repräsentiert wird oder das Kunstwerk durch das NFT – um was es also genau geht –, darüber scheiden sich auf Twitter die Geister.

Darin enthalten sind erstens die Transaktionsgebühren für den Eigentümer der digitalen Währung in Höhe von etwa 0,3 Prozent. Zweitens ist eine Gebühr von 2,5 Prozent für die Plattform Opensea fällig. Drittens müssen Kaufende das Risiko auf sich nehmen, dass der Wert der digitalen Währung Ether – und damit des erworbenen Guts – extrem schwankt. Zuletzt müssen sie sich damit abfinden, dass kein Gericht in Europa garantieren kann, dass die Kaufenden im Fall eines Vertragsbruchs ihr Geld zurückbekommen.

Es geht nicht um Kunst

Wie unterscheidet sich das davon, im Jahr 1720 auf der Straße Teile von Spielkarten zu kaufen? Auf den ersten Blick gibt es drei Unterschiede: Erstens wird das Eigentumsrecht an einem NFT in einer Blockchain festgehalten – einer Art dezentralem Buchhaltungssystem, der Kerntechnologie von Kryptowährungen. Die Transaktion, die Parteien, der Wertgegenstand und die Details des Vertrages sind unauslöschlich in einem System von weltweit verteilten Internetservern festgeschrieben. Die Daten können nicht gelöscht werden, ohne jede vorhergehende Transaktion, alle Werte und die Währung selbst zu löschen.

Der zweite Unterschied ist: Während die meisten NFTs Eigentumszertifikate für trashige Dinge wie „Bored Ape #3839“ darstellen, tummeln sich mittlerweile auch viele echte Künstler:innen, Fotograf:innen und sogar historische Fotosammlungen auf dem NFT-Markt. Sie haben die einmalige Gelegenheit erkannt, digitale Inhalte zu Geld zu machen. Eine Rechtfertigung dafür haben sie auch parat: Anstatt ihr Geld durch hochriskantes Glücksspiel zu verschleudern, unterstützten NFT-Käufer Kreativität.

Denn während die versprochene Segeltuchmanufaktur von 1720 niemals existierte, gibt es die 4,8 Milliarden schwere Foto-Agentur Getty Images tatsächlich. Sie plant ihren Börsengang, auch indem sie durch die Nutzung von NFTs „die Monetarisierung von Kultur“ vollbringt, nach eigenen Worten. Der britische Dokumentarfotograf Marc Vallée, dessen Bilder international ausgestellt und gesammelt werden, lehnt NFTs als Modeerscheinung ab, weil sie, wie er sagt, die professionelle Fotografie spalten. „Das ist der Versuch, aus nichts als heißer Luft einen Markt zu erschaffen“, sagt er. „Die Kunstwelt ist darauf eingestiegen, weil das Ganze ein Problem löst: Wie können wir in einer Zeit, in der die Kunden keine Kunstmessen besuchen können, reiche Leute dazu bringen, unsere Arbeiten zu kaufen? Es geht nicht um Kunst – aber das ist beim Kunstmarkt genauso.“

Ein dritter Unterschied ist die Existenz großer globaler Marken. Im Jahr 1720 ging es dem Kapitalismus um Sklaven, Rohstoffe, Geld und Industrieprodukte. Der heutige Kapitalismus hat viel mit der Beziehung zwischen geistigem Eigentum und Produkten zu tun. Marken wie Nike, Coca-Cola oder Gucci werden gemeinsam mit ihren Verbrauchern geschaffen. In der realen Welt von Schuhen, Getränken und Handtaschen sind Leute bereit, einen enormen Aufpreis auf bestimmte Produkte zu zahlen, um sich in der Gesellschaft Achtung und Status zu erkaufen.

Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt, das im Metaverse zu wiederholen. Das Metaverse ist – laut Wikipedia – die Weiterentwicklung des Internets als „kollektiver virtueller Raum, der durch die Konvergenz von virtuell erweiterter physischer Realität und physisch persistentem virtuellen Raum entsteht“. Die Spieler in dem Online-3-D-Spiel Decentraland bezahlen schon jetzt mit Kryptowährung, um virtuelles „Land“ zu kaufen. Vergangenes Jahr brachte Coca-Cola sogar eine virtuelle Marken-Winterjacke für Decentraland-Spieler heraus, die sie „gewinnen“ konnten, wenn sie in Spielwährung boten. Auch wenn wir diese Rituale als traurige Symptome des Konformismus betrachten mögen – Tatsache ist, dass Nike, Coca-Cola und Gucci echte, gewinnbringende Unternehmen sind, in denen hochausgebildete Kreativarbeiter die wichtigsten Produzenten von Werten sind, die den Laden am Laufen halten.

Und was ist dieses Metaverse?

Digitale Gucci-Tasche Wie wichtig NFTs werden könnten, wird erst ersichtlich, wenn wir über das Metaverse nachdenken. Darunter stellt man sich ein Internet als virtuellen Raum vor, in dem wir uns alle wie in der analogen Welt bewegen und miteinander vernetzt sind – alle Menschen, alle Läden, Arbeitsplätze, alle digitalen Waren. In der analogen Welt „gilt“ eine Gucci-Tasche, die ich in einem Laden gekauft habe, überall: Man sieht sie in der Bar, auf der Straße, im Zug. Und überall ist sie viel wert, Geld und Prestige. Im Internet ist das bislang nicht so. Wenn mein Avatar in einem Videospiel eine Tasche oder eine Sonnenbrille kauft, funktioniert sie nur für ihn und seine Mitspieler in nur diesem Spiel. Die Vision des Metaverse ist, dass digitale Güter ohne Hürden überallhin transportiert werden können – Mode, Texte, geistiges Eigentum. Etwa so, wie ich diesen Text schon jetzt in meine E-Mail, auf Twitter und über mein Redaktionsprogramm auf diese Zeitungsseite hier kopieren kann.

Krypto-Kritiker Stevenson räumt ein, dass NFTs auf dieser Ebene schlicht als Status-Anzeiger fungieren, eine Art Clubmitgliedschaft, wie es auch eine teure analoge Tasche tun könnte: „Wenn andere die Handtasche sehen, die man trägt, wissen sie, dass man das 20-Fache der Produktionskosten bezahlt hat. Mit dem gleichen Ziel geben die ‚Bored Ape‘-Leute enorme Geldsummen aus und feiern riesige Partys in San Francisco. Man kann sie also eher als Luxusmarken verstehen.“

Ein vierter Unterschied zwischen den klassischen Kapitalismus-Blasen von einst und denen von heute ist der ökologische Fußabdruck. Nutzt man statt Kartenstücken die Blockchain, erzeugt das einen enormen CO₂-Ausstoß. Ethereum, die Blockchain hinter Ether, allein hat den CO₂-Fußabdruck von ganz Libyen.

Junge Männer ohne Status

Schon deshalb will Vallée keine NFTs für seine Kunst verkaufen: „Der Planet erhitzt sich. Da ist es doch verrückt, so Geld zu machen, wenn man auch einen Print auf Recyclingpapier machen könnte, an dem man sich in seinem Zuhause erfreuen kann. Mache ich einen Fotoprint, ist das immerhin das Ende des CO₂-Abdrucks der Sache, egal wie der aussieht. Mit einem NFT generiert man Emissionen in alle Ewigkeit.“

Aber der wichtigste Unterschied zwischen der Krypto-Blase und früheren Blasen besteht darin, was sie uns über die Entwicklung des Kapitalismus verraten.

Zwischen 1718 und 1720 erkannte ein Großteil der englischen Mittelschicht gleichzeitig die Nützlichkeit der Unternehmensform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In Zukunft würde alles Kapital genau auf diese Weise beschafft werden. Wenn Anleger sich auf „ein Unternehmen von großem Wert, von dem aber noch niemand weiß, was es ist“ stürzten, handelten sie im Prinzip nicht unüberlegter, als wenn sie Anteile an einem Kohle-, Eisen- oder Holzunternehmen kauften, das noch nicht in Betrieb war.

Manche individuelle Entscheidung mag dumm gewesen sein. Aber insgesamt war es eine durchaus vernünftige Wette, Geld in den entstehenden Kapitalismus zu investieren, der auf Sklavenhaltung und Zerstörung von Wäldern gründete – insbesondere da die Monarchie und die Regierung selbst in die Blase investiert hatten.

CryptoPunks, unter den ersten NFTs, wurden 2017 von einem Computerprogramm zweier Informatiker generiert. Damals kostete der teuerste 50 Euro – heute etwa 10 Millionen Euro

Foto: Larva Labs

Heute dagegen ist die Wette auf eine generelle Aufwärtsbewegung des Kapitalismus nicht mehr vernünftig. Der Kapitalismus – zumindest im Westen – stagniert. Wachstum wird im Wesentlichen durch massive Kreditaufnahme und Geldvermehrung durch die Zentralbanken erzeugt. Sicherlich kann man noch immer viel Geld mit Renditen verdienen, indem man etwa den Werbemarkt monopolisiert oder die europäische Rüstungsindustrie als Kartell organisiert. Aber die Renditen müssen aus einer langsam wachsenden Wirtschaft mit niedrigen Gewinnen extrahiert werden.

Wie Kreditaufnahme und Geldausgabe durch die Zentralbanken, die die Wirtschaft antreiben, schaffen die heutigen spekulativen Investitionen Ansprüche auf ein zukünftiges Wachstum, das es nicht geben wird. Und dabei sind noch nicht einmal die massiven negativen Auswirkungen eingerechnet, die die Dekarbonisierung auf die Vermögenswerte einiger der größten Energiekonzerne der Welt haben wird.

Der tragischste Unterschied besteht jedoch auf der sozialen Ebene. Der NFT-Wahn wird nicht von einer geldgierigen Mittelschicht angetrieben, die bereits angehäuftes Kapital vermehren will, sondern von den am wenigsten wohlhabenden Menschen in der modernen Wirtschaft: jungen Männern ohne hohe Ausbildung, die laut Stevenson „derzeit fast den gesamten Markt für NFTs ausmachen“.

Stevenson, dessen Vater ein einfacher Postangestellter war, erklärt, was den Hype antreibt: „Wir haben eine Welt geschaffen, in der die Arbeit in einem gewöhnlichen Job den Weg in die Armut bedeutet. Die meisten Leute reagieren darauf nicht, indem sie sich politisieren. Ihre Reaktion ist: Wie zocke ich mich da raus? Heute ist es nicht mehr möglich, das zu erreichen, was mein Vater durch Arbeit erreicht hat: ein Haus, eine Frau, Kinder. Daher zielen NFTs und Kryptowährungen auf eine Generation junger, verzweifelter Männer. Und die ganze Ideologie wird durch Werbung angetrieben, hinter der Milliardäre stecken, denen das Zeug gehört.“

Paradoxerweise führt der Umstand, dass vor allem schlecht bezahlte Arbeiter da drinstecken, zusammen mit dem stagnierenden Kapitalismus seit der Finanzkrise von 2008 dazu, dass die Regierungen die Blase weiter wachsen lassen. Die britische Regierung des Jahres 1720 machte die zur Aufrechterhaltung der Blase gegründeten fiktiven Firmen dicht – aus Angst, dass massenhafte Insolvenzen die echte Wirtschaft zusammenbrechen lassen würden.

Der Klempner ist begeistert

Heute ist die Kultur von „extend and pretend“ zur ökonomischen Orthodoxie des Westens geworden: Die Reaktion auf jede Krise besteht darin, mehr Geld zu drucken und mehr Kredite in Umlauf zu bringen. Zwar haben verschiedene Zentralbanken wiederholt damit gedroht, Kryptowährungen zu verbieten oder staatliche digitale Währungen herauszugeben, um ihnen das Wasser abzugraben. Aber umgesetzt hat das bisher keine. Der Grund dafür ist: Während es Politiker:innen kaum Sorgen machen dürfte, ein paar anonyme geldwaschende Milliardäre in den Krypto-Bankrott zu treiben, ist es eine komplett andere Sache, wenn das Zehntausenden Wählern aus der Arbeiterschicht passieren sollte.

Als ich in einer Whatsapp-Gruppe von angesehenen britischen Wirtschaftswissenschaftlern nach Meinungen zu NFTs fragte, erzählten verblüffend viele die gleiche Anekdote: wie begeistert ihr Klempner oder Haushandwerker von Krypto als Tauschmittel und NFTs als Vermögenswert sei. Dahinter steckt teils auch eine politische Geste: eine verschwörungstheoretische Weltsicht, die davon ausgeht, dass die Zentralbanken die Währung völlig entwerten werden und dass eine Katastrophe aufziehen wird, in der nur Kryptowährungen ihren Wert behalten. Am Ende – nach katastrophalen grenzüberschreitenden Schuldenschnitten – werden nur sie überleben.

Letztlich ist Krypto eine Wette darauf, dass der Kapitalismus sich von der physischen Welt lösen kann, dass das Fiktive das Reale besiegen kann. Das ist die Illusion aller subjektiven Werttheorien, bis zurück zu Carl Menger. Demnach wird der Preis einer Sache nicht durch Arbeitsaufwand und eingesetzte Ressourcen bestimmt, sondern nur dadurch, wie nützlich sie dem Käufer im Augenblick des Kaufwunschs erscheinen mag.

Kapitalismus hat physische Grenzen

Schade für seine Anhänger, dass der Kapitalismus physische Grenzen hat. Jede Regierung in der Welt könnte anordnen, dass die Server abgeschaltet und die Verträge unwirksam werden – genau wie Großbritannien im 19. Jahrhundert die Schuldknechtschaft für illegal erklärte. Wenn Staaten ihr Monopol auf Geld erhalten wollen oder wenn sie entscheiden, die Klimazerstörung durch Bitcoin und Ethereum zu beenden – dann könnte dies das Aus für Kryptowährungen bedeuten.

Unser Kapitalismus stößt bereits jetzt an seine physischen Grenzen. Daher geht es auch in so vielen Fantasien – von Weltraumfahrten für Milliardäre bis zu wertlosen digitalen Eintagsfliegen – darum, diese Grenzen zu überwinden. Aber irgendwann wird der Kapitalismus anfangen, seinen Beschränkungen Rechnung zu tragen.

Wenn das passiert, wird sich jeder, der mehr als ein paar Cent für ein Bored-Ape-Bildchen ausgegeben hat, in den Hintern beißen.

Paul Mason schreibt als britischer Autor u.a. für den Freitag. Nach Postkapitalismus (2015) und Klare, lichte Zukunft (2019) erschien 2021 auf Englisch sein Buch How To Stop Fascism

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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