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Nachruf | Er war der Letzte seiner Art


Link [2022-01-22 19:40:11]



Bernhard Blaszkiewitz prägte Zoo und Tierpark in Berlin über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg. Unser Autor schrieb ihm als 16-Jähriger einen Brief – Blaszkiewitz' Antwort hat er bis heute aufbewahrt. Ein persönlicher Abschied

Eines seiner beeindruckendsten Talente war es, lautlos aufzutauchen. Dann stand er plötzlich vor einem, meist in Grau- und Sandtöne gehüllt, und lächelte, als habe er genau dies bezweckt. Dabei war er nicht gerade unauffällig mit seinen rund zwei Metern Körperlänge und ähnlich viel Umfang. Wie ein grauer Riese, der plötzlich aus dem Schatten hervortritt; und man selbst wundert sich, ihn nicht eher bemerkt zu haben.

Grauer Riese, das passte. Schließlich hatten es ihm gerade Nashörner und Elefanten, diese sogenannten Dickhäuter, angetan. Dabei ist der Name Dickhäuter irreführend. Ihre Haut mag dick erscheinen, abgestumpft oder gar gefühllos sind sie keineswegs. Das war auch er nicht.

Katholik und Naturwissenschaftler

Bernhard Blaszkiewitz hatte sich im Laufe der Zeit einen Panzer zugelegt. Denn er wurde angefeindet wie kein Berliner Zoodirektor zuvor. Vermutlich war er – einerseits erzkonservativer Katholik, andererseits nüchterner Naturwissenschaftler – der oft tierbesessenen und gefühlsduseligen Berliner Gesellschaft ein wenig suspekt. Sicher lag es aber auch daran, dass Blaszkiewitz austeilen konnte wie kein zweiter. Ohne Rücksicht auf Etikette und Verluste.In einer Personalliste versah er die Mitarbeiterinnen mit dem Kürzel „0,1“ – so wie es in Tierbestandslisten üblich ist, um die Anzahl von Männchen (vor dem Komma) und Weibchen (dahinter) zu kennzeichnen. Die Kritik daran nannte er lächerlich. Er trat nie ins Fettnäpfchen, er zerstampfte es.

Folglich bekam er die volle Breitseite zu spüren: 2008 musste er sich vor dem Berliner Abgeordnetenhaus verantworten, weil er 17 Jahre zuvor jungen verwilderten Hauskatzen das Genick gebrochen hatte. Nachdem ihm 2009 ein Schimpanse den rechten Zeigefinger abgebissen hatte, schlug ihm Häme entgegen. Und als der Zoo dank Eisbär Knut weltweite Aufmerksamkeit und Sympathien genoss, zog er den Volkszorn auf sich, da er den Personenkult ums Tier nicht mitmachen wollte.

Einer seiner Vertrauten, der frühere Tagesspiegel-Redakteur Werner Philipp, nannte ihn einmal ein „lebendes Fossil“. Er war ein Relikt aus jener Zeit, als Zoos noch Tiere sammelten wie andere heutzutage Follower. Als Zoodirektor noch eine Lebensaufgabe und kein bloßer Beruf war. Und als diejenigen, die dieses Amt innehatten, unantastbar zu sein schienen.Für ein lebendes Fossil ist Bernhard Blaszkiewitz nicht sehr alt geworden. Er verstarb Mitte Dezember überraschend mit gerade einmal 67 Jahren. Mit seinem Tod geht ein Stück Zoogeschichte zu Ende. Er war der Letzte seiner Art.

Ein Leben im Zoo

Geboren wurde er am 17. Februar 1954 in Berlin und wuchs mit drei Brüdern in einem streng katholischen Elternhaus in Rudow auf. Nach dem Abitur am Canisius-Kolleg studierte er ab 1974 Biologie an der Freien Universität und arbeitete nebenher als Tierpfleger im Westberliner Zoo. Dort herrschte damals Heinz Georg Klös, einer der mächtigsten Männer in der Mauerstadt, nach Gutsherrenart.

Nach dem Studium sowie Stationen in den Zoos von Frankfurt am Main und Gelsenkirchen kehrte er 1984 als Kurator nach Westberlin zurück. Die Sammelleidenschaft schlug sich bereits in seiner Doktorarbeit nieder: 1987 promovierte er an der Universität Kassel zur Entwicklung des Säugetierbestands im Berliner Zoo nach dem Zweiten Weltkrieg.

In der internen Hackordnung des Zoos stand Blaszkiewitz nicht sehr weit oben. Dennoch schlug ihn Klös 1991 als neuen Direktor des Tierparks vor. Klös hatte gerade erst den jahrzehntelangen Wettstreit mit seinem Ostberliner Gegenspieler Heinrich Dathe gewonnen und suchte einen willfährigen Statthalter im Osten. Von Blaszkiewitz erwartete er weder Widerworte noch Wundertaten. Doch es kam anders.

Kaum einer antwortete mir. Blaszkiewitz schon

Blaszkiewitz möbelte den maroden Tierpark auf. Unter seiner Leitung wurde das Areal von der Größe Helgolands zum ersten Mal komplett umzäunt. Doch trotz aller Renovierungen schien die Zeit dort noch immer stehen geblieben zu sein. Die Neubauten waren zweckmäßig, aber sie entsprachen weder dem Zeitgeist noch waren sie was fürs Auge: Grüne Gitter dominierten das Gelände. Die Stallungen der Huftiere versprühten den Charme von Holzhütten auf dem Weihnachtsmarkt. Bisweilen entstand der Eindruck, als entwickle sich der Tierpark ästhetisch zurück. Das Affenhaus aus dem Jahre 2000 mit seinen gefliesten Käfigreihen wirkte wie eine Reminiszenz an die sterilen Bauten der siebziger Jahre.

Ungefähr zu dieser Zeit entdeckte ich meine Leidenschaft für Zoos. In einer der damals noch raren TV-Dokus erfuhr ich vom Beruf des Zoo-Designers – und wollte von da an nur noch Tiergehege gestalten. Um die Jahrtausendwende, vor dem Internet, gab es jedoch kaum Infos zu diesem Beruf. Also schrieb ich gut ein Dutzend Briefe an die Direktoren der großen deutschen Zoos und fragte, was ich tun solle.

Kaum einer antwortete. Bernhard Blaszkiewitz schon. Nach zwei Tagen. Diesen Beruf gebe es in Deutschland nicht, schrieb er. Die Bezeichnung beziehe sich vermutlich auf „eine Berufsgruppe aus dem Architekturwesen“, die sich „vor allem in den Zoos der Vereinigten Staaten mit dem Bau von Kunstfels“ beschäftigten. Stattdessen empfahl er mir den Beruf des Kurators.

Damals ahnte ich noch nicht, dass Kunstfelsen und alles Effektheischende im Zoo für ihn einem Sakrileg gleichkam. Er selbst hat sich später einmal in einem Interview mit der taz als „Tiergärtner alter Schule“ bezeichnet. Halligalli habe im Zoo keinen Platz, sagte er, das Event sei das Tier. Um genau zu sein: Für ihn stand der das Tier betrachtende Mensch im Mittelpunkt. Tiere zu erleben sollte genügen. Da brauchte es keinen Freizeitpark ringsherum. Dass er mir ahnungslosem 16-Jährigen damals dennoch geantwortet hat, rechne ich ihm hoch an.

Obwohl er der wohl umstrittenste Berliner Zoochef aller Zeiten war, hielt er sich erstaunlich lange. Mehr als zwei Jahrzehnte prägte er die Berliner Zoos. Er führte den Tierpark erfolgreich durch die Nachwendejahre und übernahm 2007 zudem die Leitung des Zoos. Von 2008 an wurden die Vorwürfe in Bezug auf seinen Führungsstil lauter. Den plötzlichen Tod des Eisbären Knut 2011 lasteten ihm einige Journalisten und Stammgäste persönlich an. Doch erst 2013, nach dem Rücktritt des kaufmännischen Zoo-Vorstands Gabriele Thöne, kippte die Stimmung. Der Aufsichtsrat, der ihn zuvor noch gestützt hatte, verlängerte seinen auslaufenden Vertrag nicht mehr. Blaszkiewitz musste gehen, für ihn kam der Erlebnisweltenbummler Andreas Knieriem. Das totale Gegenteil von ihm.

Mehrfach habe ich versucht, ein Interview mit Blaszkiewitz zu bekommen. Doch ich schrieb für eine Zeitung, die er mied. Die vielen Kämpfe hatten ihn misstrauisch gemacht. So trafen wir uns zum ersten Mal zu seinem Abschied im März 2014, als er im Tierpark die sanierten Tropenhalle des Alfred-Brehm-Hauses eröffnete. Bei der Gelegenheit zeigte ich ihm den Brief. Er las ihn, lächelte verhalten und gab ihn mir mit einer lässigen Handbewegung zurück. Als sei das nichts Besonderes.

Nach dem Abschied alterte Bernhard Blaszkiewitz schnell

Er gehe ohne Groll, aber nicht ohne Enttäuschung, sagte er damals. Aus seinem Bekanntenkreis erfuhr ich später, dass ihm das vorzeitige Ende seiner Laufbahn mit 60 Jahren mehr zugesetzt habe, als er nach außen hin zeigte.

Zwei Jahre nach seinem Abschied, im Frühjahr 2016, rief ich ihn an. Ich schrieb zu der Zeit an meinem Buch über die Geschichte der beiden Berliner Zoos im Kalten Krieg. Wieder bekam ich eine Absage. Er könne viel dazu sagen, habe sich aber entschieden, nicht mehr mit Journalisten zu reden. „Viel Glück. Machen sie es gut“, sagte er und legte auf.

Bis er mich anerkannte, dauerte es. Im Frühjahr 2019 hielt er einen Vortrag im Magdeburger Zoo; es ging um die Geschichte der Tiergärtnerei. Ein Pulk von alten Weggefährten war gekommen, ein greiser Bärenpfleger eigens aus Leipzig angereist. An diesem Abend war Bernhard Blaszkiewitz wieder in seinem Element. Er brauchte kein Mikrofon, um mit seiner Stimme den Saal zu füllen. Er begrüßte seine Bekannten einzeln und erwähnte, ganz nebenbei, auch „den anwesenden Autor des spannenden Buches ‚Der Zoo der Anderen‘“.

Danach wurde es still um ihn. Von einem, der ihn besser kannte, erfuhr ich, dass er stark abgebaut habe. In den Jahren nach seinem Abgang alterte er zusehends.

Zum letzten Mal traf ich ihn im August 2019. Der Berliner Zoo feierte an diesem Abend sein 175. Jubiläum. Auf den Stufen des Zoorestaurants stand er plötzlich in einer elefantenfarbenen Windjacke vor mir, lächelte und reichte mir die Hand. Wir unterhielten uns einen Moment, dann trennten sich unsere Wege. Als die Nacht hereinbrach und die Feier allmählich ausklang, machte sich der graue Riese alleine auf den Weg. Schweren Schrittes wankte er in Richtung Elefantentor und verschwand in der Dunkelheit.

Jan Mohnhaupt ist freier Journalist und Buchautor. Jahrelang berichtete er für den Tagesspiegel über den Berliner Zoo und den Tierpark. 2017 erschien sein Buch Der Zoo der Anderen: Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete, das bereits mehrfach übersetzt wurde. Den Brief, den Bernhard Blaszkiewitz ihm einst schrieb, hat er bis heute verwahrt.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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