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Missbrauch | Öffnet die Klöster!


Link [2022-03-06 08:57:11]



Der katholische Klerus versagt weiter beim Umgang mit den sexuellen Übergriffen in den eigenen Reihen. Was die Kirche für die Opfer ihrer Gewalttäter tun sollte

Es war ein ereignisreicher Jahresbeginn für die katholische Kirche und alle, die sie noch verfolgen.Die Gutachter*innen, die sexuellen Missbrauch im Bereich der Erzdiözese München und Freising untersucht haben, sagen: Ein Paradigmenwechsel des Erzbistums in Richtung der Geschädigtenperspektive hat „nicht stattgefunden“. Weder habe es aktives Zugehen auf die Betroffenen noch eine Öffnung von Räumen für die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen gegeben.

Die Lage ist, für die, denen es um die Macht der Institution geht, schlecht. Natürlich tut der Bericht in München weh, bedenkt man nur, dass die Erzdiözese München und Freising im Jahr 2017 ein Vermögen von 5,96 Milliarden Euro ihr Eigen nennen konnte und es jetzt womöglich Einbußen an Steuereinnahmen geben kann. Ärgerlich das alles mit der Sexualität.

Für die Opfer ist es bitter wie eh und je; durchsetzt mit Hoffnungsschimmern, denn es werden Gutachten zum Verhalten anderer Bistümer folgen, die die Überforderung des Klerus untermauern. Seit Ende 2019 bis zum September diesen Jahres läuft der Synodale Weg, der in Reaktion auf die Veröffentlichung der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ von der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee deutscher Katholiken getragen wird.

#OutInChurch

Bei den Synodalversammlungen nehmen Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, gewählte Mitglieder aus dem Zentralkomitee sowie Vertreter*innen weiterer kirchlicher Personen- und Berufsgruppen teil. Zum Beispiel Mara Klein für die Gruppe unter 30 Jähriger. Klein ist nicht-binär und queer – und zu bewundern, weil sie* sich diesem belastenden Umfeld wiederholt aussetzt, in dem die grundlegenden Rechte, die queere Menschen haben, gerade noch als Neuerung zur Verhandlung stehen. Und offen ist, ob ihr Beschluss nicht doch an der Weltkirche und der Zustimmung des Papstes scheitern.

Gleichzeitig fordert die Initiative #outinchurch, dass queere Mitarbeitende der Kirche sich „outen“ können, ohne Konsequenzen für ihren Job befürchten zu müssen. Sie wollen außerdem, dass auch Homosexuelle gesegnet werden dürfen. Ihre Idee einer „Kirche ohne Angst“ wird online von 110.000 Menschen unterstützt – Tendenz steigend.

Sexualität gehe nie vorüber, hat Kardinal Marx just gesagt. Nein, wirklich, sie ist nicht abzustreifen, diese Sexualität. Diese Körper, sie begehren so viel. Aber ich hier gilt keine Allaussage, denn es gibt asexuelle und greysexuelle Personen, die nicht oder kaum sexuell begehren. Ja, Sexualitäten sind ein kompliziertes und oft fließendes Spektrum – viel Wahres lässt sich trotzdem herausfinden, sogar wissenschaftlich.

Sie werden dann beängstigend und problematisch, wenn es keinen Umgang mit ihnen gibt. Sexuell orientierungslose, vereinsamte Personen werden auch anderweitig gewalttätig, wie das Incel-Phänomen illustriert. Sexualitäten wegzudrängen und im Zölibat oder keuscher heterosexueller Ehenorm zu instrumentalisieren, ist eine gefährliche Idee. Der Punkt sollte angekommen sein.

Zölibat ist ein Missverständnis

Der Zölibat ist ein Missverständnis und so alt wie die (wirtschaftliche Institution) Kirche selbst: Priester dürfen nicht heiraten, damit sie in Erbfolge keinen Anspruch auf die Werte der Kirche haben und damit ist nicht etwa Nächstenliebe gemeint, sondern Immobilien in besten Lagen und Anteile an einem der größten Wirtschaftsunternehmen in Deutschland.

Die katholische Kirche hat erfolglos versucht, die Sexualitäten ihres Klerus zu negieren und sanktionieren – zum unfassbaren und unerhörten Leid der von Missbrauch betroffenen Kinder und Erwachsenen, die damit nicht allein sind. Die sexuell unaufgeklärte Gesellschaft mag es auch nicht, die zu sehen, die sie als ihre Körpertherapeut*innen bezahlt oder ausbeutet: freiwillige Sexarbeiter*innen und unfreiwillige Prostituierte. Zu wenige und von rechts bekämpft sind die Lehrstühle der Sexualwissenschaft. Es macht nichts besser, aber: da hat nicht nur die Kirche eine riesige Wissens- und Schamlücke.

Unwissenheit gemischt mit Überheblichkeit ist an sich schon schlecht. Aber wenn Katholik*innen undifferenziert über Sexualitäten sprechen, ist es der siebte Höllenkreis: Da findet man krasse Unwissenheit über Transidentität und Nichtbinärität genauso wie Gleichsetzung von Pädosexualität und Homosexualität.

Besser spät als nie

Dass überhaupt noch queere Menschen etwas zu dieser Institution sagen wollen, dafür sollte sie so dankbar sein, wie für die unfassbare Arbeit, die die Missbrauchsbetroffenen leisten müssen, damit sich etwas tut. Es wäre mehr als angemessen, wenn einige schöne Klöster in pittoresken Landschaften zu Orten der Erholung für die Betroffenen würden, mit angemessener therapeutischer Begleitung und Bildungsangebot darüber, welche Strukturen dazu führen, dass ihnen angetan wurde, was ihnen angetan wurde. Stichwort wäre „transformative Gerechtigkeit.“ Geld und Räume dafür hat die Kirche zur Genüge.

Die nicht pädosexuellen und nicht übergriffigen, die einvernehmlichen und kommunikationsstarken Sexualitäten sind nicht wegzuwünschen, sondern wären anzuerkennen und zu bestärken, in der großartigen Weltlichkeit und Vielfalt, in der sie da sind, wenn sie nicht unterdrückt werden. Dann näherte sich letztlich auch die Kirche der spirituellen Erfahrung von Liebe, um die es den Religionen ja vermeintlich geht, dann ginge es auch dort endlich mal um liebevolle und gelingende Beziehungen – besser spät als nie.

Und, jetzt lehn ich mich ganz weit aus dem Fenster: Wenn die Kirche es schafft, sich so radikal zu verändern, wie es ihr Versagen unausweichlich macht, könnten das dann nicht auch andere männerbündischen Institutionen schaffen?

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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