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Meinung | Koalition setzt falsche Prioritäten bei Energiehilfen


Link [2022-03-26 13:56:20]



Die Ampel-Koalition will die stark steigenden Energiekosten mit staatlichen Hilfen abmildern. Kurzfristig mag das was bringen. Langfristig ist es der falsche Weg. Draufzahlen müssen vor allem die Armen

Arme Leute kaufen teuer. Wenn in einer Familie mit wenig Geld ein Kind neue Schuhe braucht, dann muss es das preiswertere Paar tun – auch wenn man wohl weiß, dass die billigen Treter schnell verschleißen und darum schon bald neue nötig werden. Auf Dauer belastet das den Haushalt mehr als der vergleichsweise selten erforderliche Kauf hochwertiger Schuhe. Allein, das verfügbare Einkommen erlaubt es Millionen von Menschen in diesem Land nicht, die mittelfristig bessere Variante zu wählen. Rationales Wirtschaften muss man sich leisten können.

Das gilt auch für die Energieversorgung. Rund 40 Prozent aller Deutschen haben keinerlei Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können, wenn sie ihr Auto, den Kühlschrank, ihre Waschmaschine oder den Wasserboiler gegen eine klima- und kosteneffiziente Alternative austauschen wollen. Geringverdiener leben häufiger als Bessergestellte in schlecht isolierten Wohnungen mit veralteten Heizsystemen. Darum ist es für untere Einkommensklassen sowie kleinere Gewerbetreibende existenziell, dass die Bundesregierung ihnen finanziell hilft – und zwar schnell. Denn mit dem Frühling kommt auch die Jahresabrechnung für Strom und Heizung.

Wie ist es nun zu bewerten, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) bei der Haushaltsdebatte versprach, die Koalition werde die Grundsicherungsempfänger ebenso wie die „breite Mitte der Bevölkerung“ als „staatliche Solidargemeinschaft nicht alleinlassen“? Zunächst sind solche Worte bemerkenswert für einen Politiker der FDP – jener Partei also, der noch vor kurzem ein Staatsetat mit höheren Sozialausgaben und Schulden als Vorhof zur Hölle des Kommunismus galt. Weil die Energiepreise bereits vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges gestiegen sind, waren ohnehin Entlastungen geplant, die aber unter den neuen Bedingungen nicht ausreichen.

Am Donnerstag hat die Ampelkoalition deshalb ein Maßnahmenpaket beschlossen: Alle einkommensteuerpflichtigen Beschäftigten sollen eine Energiepreispauschale von 300 Euro vor Steuern erhalten. Außerdem soll der Benzinpreis für drei Monate durch eine Absenkung der Steuern um 30 Cent pro Liter sinken. Ärmere Haushalte sollen darüber hinaus eine Einmalzahlung in Höhe von 100 Euro erhalten. Und für Familien ist ein Einmalbonus für jedes Kind ergänzend zum Kindergeld in Höhe von 100 Euro vorgesehen. Im Nahverkehr ist für drei Monate ein Monatsticket für neun Euro geplant.

Kurzfriste Hilfe sind nicht nachhaltig

Wenn diese kurzfristigen Hilfen wirken sollen, müssen sie rasch und reibungslos zur Anwendung kommen. Aber nachhaltig sind sie nicht. Genau das wäre aber nötig, weil die Energiepreise künftig nicht sinken werden. Die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) großspurig ausgerufene „Zeitenwende“ sieht nicht nur ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr vor, sondern auch die Reduzierung der Erdgaskäufe aus Russland um zwei Drittel binnen eines Jahres. Bis 2030, so das Ziel, soll Deutschland sogar unabhängig sein von russischem Gas. Auf das teurere und für das Klima schädlichere Flüssiggas zu setzen, ist eine Frage der Prioritäten und keine ethische Notwendigkeit. Der devote Auftritt des Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) in dem für die Achtung der Menschenrechte nicht gerade berühmten Emirat Katar ist dafür nur ein Beispiel. Wer die aufgrund solcher Entscheidungen steigenden Energiekosten auf die untere Mittel- und die Unterklasse abwälzt, enteignet die Bevölkerung zugunsten geostrategischer Interessen der westlichen Großmächte.

Man muss kein resignierter Nichtwähler sein, um zu erahnen, wie die Verteilung der Kosten am Ende ausfallen wird. Dafür genügt ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Während der Corona-Pandemie 2020 haben die Energieversorger 230.000 Verbrauchern den Strom und 24.000 das Gas abgestellt. Während Schulen, Geschäfte und Lokale dicht waren, saßen von Armut betroffene Menschen in dunklen und kalten Wohnungen. Wie kommt es wohl bei diesen Leuten an, wenn der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck Sätze sagt wie: „Wir können auch mal frieren für die Freiheit“, oder: „Eine generelle Delle in unserem Wohlstandsleben ist etwas, was Menschen ertragen können“? Dass Gauck mit „wir“ nicht seinesgleichen und mit „Delle im Wohlstandsleben“ keine Kürzung seines „Ehrensolds“ in Höhe von 214.000 Euro pro Jahr meint, dürfte klar sein.

Dabei kursieren viele Vorschläge dafür, wie sich die Bevölkerung bei den Energiekosten dauerhaft entlasten ließe. Eine staatlich finanzierte Energieberatung wäre ein erster Schritt. Dauerhaft niedrigere Preise beim Nah- und Fernverkehr wären außerdem wirkungsvoller als eine von der FDP verlangte Erhöhung der Pendlerpauschale, die vor allem vielfahrenden Gutverdienern zugutekäme. Auch Steuersenkungen, wie die CDU/CSU sie fordert, würden die Besserbetuchten stärker entlasten als die Armen.

Besser wäre es, den Mindestlohn sowie die Regelsätze bei Hartz IV stärker zu erhöhen als geplant, das Kindergeld einkommensabhängig statt bedingungslos auszuzahlen, die Abschaffung der EEG-Umlage weiter vorzuziehen und ein Moratorium bei Strom- und Gassperren durchzusetzen. Sinnvoll wären auch Energieschecks für Bedürftige. Sozialverbände fordern seit langer Zeit, die Energiearmut als eigenständige Form der Armut anzuerkennen, weil sie nicht nur Menschen im Transferleistungsbezug trifft, sondern auch die viel gepriesene „Mitte“. Für die „staatliche Solidargemeinschaft“ wäre die Garantie eines Grundrechts auf Energieversorgung nicht nur eine ethische Notwendigkeit, sondern vor allem eine Frage der Prioritäten.

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