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Meinung | Gegen hohe Preise helfen nur höhere Löhne


Link [2022-05-21 22:33:12]



Die Preise für Lebensmittel und Energie steigen immer steiler an. Die Koalition handelt nur zaghaft. Dabei ist die Angst vor höheren Löhnen falsch

Stolz hält Arbeitsminister Hubertus Heil ein Schild in die Kamera: „12-Euro-Mindestlohn kommt!“ Wie die Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf versprochen hatten, so schreibt er unter dem Foto auf Instagram, soll der Mindestlohn ab dem 1. Oktober für über sechs Millionen Beschäftigte erhöht werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die SPD dieses Versprechen tatsächlich einhält.

Doch der Wahlkampf war vor dem Krieg und den massiv steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen. Die laut Heil „saftige“ Lohnerhöhung von bis zu 22 Prozent lag schon vor einer Inflationsrate von 7,4 Prozent (April) noch unter dem Niveau, das Beschäftigte wirklich vor Altersarmut schützt. Dafür müsste dieser laut Armutsforscher Christoph Butterwegge mindestens 12,68 Euro betragen. Mittlerweile kommen die gestiegenen Preise sogar noch hinzu, sodass die Lohnerhöhung ab Oktober schnell wieder an der Supermarktkasse oder von der nächsten Heizkostenabrechnung aufgefressen werden wird.

Dennoch gibt es heftige Kritik von Unternehmerseite an der geplanten Mindestlohnerhöhung. Den deutschen Arbeitgeberverbänden ist vor allem die Umgehung der Mindestlohnkommission ein Ärgernis. Man fürchtet durch das Gesetz jetzt einen „fundamentalen Eingriff in die Tarifautonomie“. Anfang der 2000er-Jahre, als durch die Agenda-Politik ein Angriff auf die Tarifbindung stattfand, hatten die Arbeitgeber dagegen nichts einzuwenden. Die Tarifautonomie wird offenbar immer dann gern ins Feld geführt, wenn es gerade opportun ist. Glaubwürdig ist das nicht.

Alte Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale

Die geplante Erhöhung des Mindestlohns, aber auch die Gehaltsforderungen in der Metallbranche sowie in den aktuellen Auseinandersetzungen bei den Kitas rufen außerdem die alte Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale auf den Plan. Demnach dürften Gewerkschaften die Inflation nicht dafür nutzen, jetzt auch noch höhere Löhne zu fordern, weil dadurch eine Stagflation drohe – also stagnierendes Wachstum bei hoher Inflation. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hält das für eine „reale Gefahr“ und stimmt in den Chor aus Arbeitgeberverbänden und konservativ-liberalen Medien mit ein, der die Gewerkschaften lautstark vor der Erfüllung ihres Kerngeschäfts warnt. Nach Jahren der schwachen Reallohnentwicklung ist es jedoch nicht nur möglich, sondern sogar unbedingt nötig, die Löhne zu erhöhen.

Nach einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat die Mindestlohnerhöhung kaum Auswirkung auf die Inflation. Und wie der Ökonom Marcel Fratzscher betont, ist eine drohende Stagflation aufgrund der Lohnerhöhungen ein Mythos. Bereits in den Siebzigerjahren habe der Ölpreisschock die Inflation zwar angetrieben, die steigenden Löhne hätten der wirtschaftlichen Lage aber nicht nachhaltig geschadet. Vielmehr hätten die Lohnerhöhungen die Wirtschaft durch die erhöhte Kaufkraft der Menschen sogar stabilisiert. Es ist also auch aus Unternehmersicht durchaus sinnvoll, sich nicht gegen Lohnerhöhungen zu stellen.

Auch andere Warnungen, nach denen der Mindestlohn zu steigender Arbeitslosigkeit führe, haben sich als nicht haltbar erwiesen. Es gibt also von einem gesamtwirtschaftlichen Standpunkt aus kein sinnvolles Argument gegen Lohnerhöhungen, eher für sie. Und wer politisch etwas gegen gestiegene Preise tun will, der sollte eher die Betroffenen stärker entlasten oder Energiepreise deckeln, anstatt die Menschen zu Konsum- oder Lohnverzicht aufzufordern.

Steuer auf Übergewinne

Es sind ja die Beschäftigten und armen Menschen, die unter der Coronakrise und jetzt unter den steigenden Preisen am meisten leiden. Gerecht und sinnvoll wäre eine Übergewinnsteuer, wie sie die Grünen und die Linksfraktion fordern und die bereits in anderen EU-Ländern wie Italien eingeführt wird. Danach sollen Krisengewinner, in diesem Fall Energiekonzerne, eine Steuer von zusätzlich 25 Prozent auf ihre Übergewinne zahlen. So eine Umverteilung wäre gerecht und so populär, dass sie auch lagerübergreifend politische Zustimmung erhalten sollte. Da wir allerdings mit einem FDP-Finanzminister gesegnet sind, werden Vorschläge wie dieser blockiert – und das, obwohl der Regierungschef Italiens, Mario Draghi, alles andere als ein Linker ist.

Es liegt nun also politisch viel an den Sozialdemokraten, die im Wahlkampf vollmundig von Respekt sprachen und nun der FDP jeden Euro im gerade vom Bundestag beschlossenen Entlastungspaket abringen mussten. Und auch die Grünen sind unter Zugzwang, da die von ihnen angestrebte Verkehrswende vom zuständigen FDP-Minister Volker Wissing wo es nur geht blockiert wird. Sobald das Entlastungspaket ausgeschöpft ist, die Preise aber weiter steigen, wird es längerfristige Lösungen zur Entlastung der großen Mehrheit brauchen.

Die anstehende Mindestlohnerhöhung ist vor diesem Hintergrund genau dies: das Mindeste. Sie reicht jedoch bei Weitem nicht aus, um die Lebensverhältnisse in diesem Land gerechter zu gestalten. Von einer Regierung, der die neoliberale Klientelpartei FDP angehört, ist da nicht viel zu erwarten. Höhere Löhne, das Thema müssen deshalb andere anpacken. Die Beschäftigten und die Gewerkschaften müssen das durchsetzen.

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