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Meinung | Die geglätteten Grünen


Link [2022-06-17 23:10:23]



Im Bund kommen sie prima mit der SPD und FDP klar, in den Ländern setzt man aber lieber auf die CDU. Verliert die Partei ihren Kompass?

Wer glaubt, Robert Habeck sei der einzige Lyriker bei den Grünen, kennt Mona Neubaur nicht. Der Bundesminister für Wirtschaft und Klima sagt Sätze wie: „Die Wirtschaft, das ist im Kern das, was unser Land braucht, um unser Land zu sein.“ Das ist zwar so unbestreitbar wahr und zugleich banal, als hätte er gesagt: „Das Essen, das ist im Kern das, was ein Mensch braucht, um ein Mensch zu sein.“ Aber das Publikum, das solchen Aussagen meist andächtig lauscht, freut sich. Kein Wunder, Habeck trägt seine Sätze ja wirklich sympathisch vor, und noch dazu können alle hineininterpretieren, was sie wollen.

Die Süddeutsche Zeitung hat das Zitat mit der Wirtschaft und dem Land, das unser Land ist, zum Beleg für eine hübsche These ausgewählt: Robert Habeck sei „der deutsche Meister im Sowohl-als-auch“. Was sich noch überzeugender in einem weiteren Satz ausdrückt, den die Kollegen zitierten: „Politische Klugheit ist es, die Dinge in der Waage zu halten.“ Genau das könnte auch das Motto von Mona Neubaur sein.

Mona Neubaur hat bekanntlich bei der Nordrhein-Westfalen-Wahl im Mai als Spitzenkandidatin das fulminante Ergebnis der Grünen eingefahren: 18,2 Prozent der Stimmen. Derzeit handelt sie mit dem noch erfolgreicheren CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (35,7 Prozent) einen Koalitionsvertrag aus, und als die vorangegangenen Sondierungen abgeschlossen waren, sagte sie fast schon im Habeck-Stil: „Die sozial gerechte und klimaneutrale Transformation unserer Gesellschaft setzt voraus, dass wir alte Gräben und historisch gewachsene Lager überwinden.“

Es war dann zwar in etwas verunglückter Lyrik auch von einer Schwelle die Rede, vor der Schwarz-Grün stehe, die aber kein Hindernis darstelle, sondern ein Sprungbrett. Aber die Botschaft, die dahintersteckte, qualifizierte Neubaur zumindest zur Vizemeisterin im Sowohl-als-auch. In Klartext übersetzt: Wie wir uns auf die Ampel mit der knallhart neoliberalen FDP eingelassen haben, so machen wir das jetzt auch mit Schwarz-Grün im größten Bundesland. Was schert es uns, wer unter uns Regierungschef ist.

Die Grünen fühlen sich nicht ideal aufgehoben in Berlin

Es lässt sich nun wunderbar spekulieren, was das für die Ampelkoalition im Bund bedeutet, die ja von den Grünen vor einem halben Jahr genauso als Zukunftsprojekt verkauft wurde wie jetzt Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen. Soll das größte Bundesland zum Vorbild aufgebaut werden für ein relativ bequemes Zweierbündnis mit der mehr oder weniger modernisierten Union – vielleicht gar unter einem Kanzler Hendrik Wüst, der jetzt als Ministerpräsident in Düsseldorf schon mal übt? Oder unter Daniel Günther, der in Kiel ebenfalls auf Schwarz-Grün zuläuft?

Das kann schon sein, die Grünen fühlen sich sicher nicht ideal aufgehoben in Berlin. Auf der einen Seite eine SPD, die ihnen inhaltlich nähersteht, aber kulturell und vom Habitus her fremd geblieben ist. Auf der anderen Seite eine FDP mit ziemlich genau umgekehrten Vorzeichen – da fiele es vielen Grünbürgerlichen nicht schwer, zu den Schwarzbürgerlichen überzulaufen.

Aber aktuell noch wichtiger ist für die geglättete Ökopartei das Privileg, mit beiden Optionen hantieren zu können. Da lässt sich leicht vergessen, dass sie unter den Kompromissen sowohl mit der Union als auch mit der FDP eigentlich schwer leiden müsste, ginge es nach den vorher ausgegebenen politischen Zielen. Die Schmerzgrenze machtpolitisch motivierter Nachgiebigkeit hat sich offensichtlich so sehr verschoben, dass ein bisschen Habeck’sche Rhetorik genügt, um solche Bündnisse als Zukunftsprojekte mit grüner Färbung zu verkaufen.

Robert Habeck benutzt Kampfformeln der Neoliberalen

Nur ein aktuelles Beispiel: Anfang dieser Woche forderten die ostdeutschen Regierungschefinnen und -chefs mehr Geld, um durch Ukraine-Krieg und Energiekrise verursachte Risiken abzufedern. Da antwortete Robert Habeck, als habe er seine jüngste Lyrik-Lektion bei Christian Lindner absolviert: „Wir“ könnten es uns „nicht mehr leisten, mit der Gießkanne übers Land zu gehen und Unternehmen wie Verbraucher mit Wohltaten zu unterstützen“. Gießkanne, Wohltaten, nicht mehr leisten können: Das sind die Kampfformeln der Neoliberalen, die weder über mehr Schulden noch über höhere Steuern für Begüterte reden wollen. Den FDP-Chef hat es sicher gefreut.

Was sich jetzt in Nordrhein-Westfalen abzeichnet, dürfte nicht viel anders aussehen, nur eben mit einer CDU, die tatsächlich die meisten Stimmen hat und nicht nur so tut, wie die FDP. Das Sondierungspapier, das jetzt als Grundlage der Koalitionsverhandlungen dient, klinge nach „brav austarierten Restbausteinen jeweiliger Programme“, hat der Kommentator der Westdeutschen Zeitung festgestellt.

In der Tat wiederholt das Papier eine zentrale Aussage des CDU-Wahlkampfes zumindest sinngemäß: Was Wüst unentwegt als „Versöhnung von Klimaschutz und Industrie“ verkauft, womit er durchaus Bronze in der Sowohl-als-auch-Meisterschaft verdient hätte, nennt sich nun „klimaneutrales Industrieland“. Längst sind solche Parolen zur eingeübten Chiffre derjenigen geworden, die uns weismachen wollen, dass wirksamer Klimaschutz sich unter den Bedingungen des bestehenden Wirtschaftssystems bewerkstelligen ließe. Jetzt auch unterschrieben von den Grünen.

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