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Medien | Kriegsberichterstattung: „Der Diskurs ist derzeit total verengt“


Link [2022-06-12 12:42:00]



Medienpädagogin Sabine Fischer ist erschüttert, wenn sich Journalistenverbände mit gelb-blauen Fahnen zeigen

Bei den verbreiteten Narrativen über die Kämpfe in der Ukraine kollidieren in Russland wie im Westen Parteilichkeit und Objektivität. Selten zuvor haben sich Medien derart instrumentalisieren lassen, dass differenzierte und verifizierte Informationen die absolute Ausnahme sind.

der Freitag: Frau Schiffer, Sie betreiben seit 2005 auch das Institut für Medienverantwortung (IMV) in Berlin. Weshalb braucht es eine solche Einrichtung?

Sabine Schiffer: Es gibt bis heute viele Mythen und Unterstellungen gegenüber den Medien, weil viele nicht wissen, wie sie eigentlich funktionieren. Die Idee war, eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu bilden, also Erkenntnisse aus Kommunikation, Journalismus oder Sozialforschung in die Medien einfließen zu lassen. Auf Produktions-, Inhalts- und Nutzerebene. Mit Medien, durch Medien und für Medien, haben wir damals gesagt.

Warum der Begriff Medienverantwortung?

Das war eigentlich ein Ausweichbegriff, weil der ursprüngliche Name – Institut für Medienpädagogik – für die Prüfstelle zu sehr nach universitärer Einrichtung klang. Im Nachhinein war es ein Glücksfall, weil darunter viel subsumiert ist, was Medienanalyse ausmacht: Von den Vereinheitlichungstendenzen durch die Agenturen über die subjektive Berichterstattung durch Spins, Wordings und Framings bis hin zum Nutzer, der aus kleinen Fetzen aufbereiteter Information Schlüsse zieht.

Was heißt das im Moment für den Umgang mit dem Ukraine-Krieg?

Da muss ich etwas ausholen und bis ins Jahr 2014 gehen, als wir beim Selbrund-Verlag das Buch Ukraine im Visier herausgebracht haben, eine Aufsatzsammlung von Journalisten, die kritisiert haben, dass über den Konflikt um die Krim von Anfang an nicht ausgewogen berichtet wurde. Man hat die russischen Interessen dargestellt, die des Westens aber vernachlässigt. Der ARD-Programmbeirat hat – später dann – in seinem Sitzungsprotokoll vom Juni 2014 die wichtigsten Punkte unserer Kritik widergespiegelt: Die Inhalte hätten teilweise den „Eindruck der Voreingenommenheit erweckt“ und seien „tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen“ gerichtet gewesen, hieß es. Zu den wesentlichen Aspekten, die damals aus Sicht des Programmbeirats vernachlässigt wurden, zählten „die politischen und strategischen Absichten der NATO“ bei der Osterweiterung, differenzierende Berichte über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, die Legitimation des sogenannten Maidanrats und die „Rolle der radikal nationalistischen Kräfte, besonders Swoboda“ sowie deren Aktivitäten beim Scheitern „der Vereinbarung zur Beilegung der Krise in der Ukraine vom 21. Februar“.

Aber wenn Sie jetzt das abscheuliche Blutvergießen in der Ukraine sehen, fragen Sie sich dann, ob Sie sich damals auf die falsche Seite geschlagen haben?

Ich habe mich nie auf eine Seite geschlagen. Die darf es im Journalismus nicht geben.

Passiert das nicht zwangsläufig? „Wenn Sie nicht für uns sind, sind Sie für die Terroristen“, hat George W. Bush einmal gesagt.

Das ist der Psycho-Trick schlechthin. In diesem Dualismus scheinen heute auch unsere Medien zu agieren. Ich bin erschüttert, wenn sich Journalistenverbände mit gelb-blauen Fahnen schmücken. Nicht, weil Solidarität mit denen, die in der Ukraine leiden, nicht angebracht ist – ich selbst habe gleich nach Kriegsbeginn angeboten, Menschen bei mir aufzunehmen. Aber Journalisten sind keine NGOs, sondern Leute, die alles ausleuchten müssen, ohne voreingenommen zu sein. Es gibt keine moralisch einwandfreie Armee, auch unsere ist das nicht. Denken Sie an die Afghanistan-Papers. Wir haben auch Frauen vergewaltigt, im Krieg muss man mit so etwas rechnen. Der Diskurs derzeit ist total verengt. Wenn es in der Politik so ist, kann ich das als Teil einer strategischen Kommunikation noch verstehen – auch wenn ich ungern angelogen werde –, aber unsere Medien dürfen da nicht mitmachen.

Inwiefern sind Medien in eine strategische Kommunikation eingebunden?

Medien sind als vierte Gewalt der Aufklärung und Neutralität verpflichtet. Selbst, wenn sie diese Ideale niemals erreichen können, weil alles nur ein Ausschnitt der Realität ist. In meinem Fachbereich beschäftige ich mich aber auch mit der sogenannten fünften Gewalt, die diesem Neutralitätsanspruch zuwiderläuft. Und das ist die Einflussnahme von Interessensgruppen auf die Medien. Man spricht auch von „grauer PR“.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im Nachgang des Euromaidan haben wir vom IMV eine Recherche in Auftrag gegeben, die klären sollte, ob solche Interessensgruppen auch die Berichterstattung über den Ukrainekonflikt beeinflusst haben. Diese Recherche hat ergeben, dass es zumindest in der EU seit 2015 Strukturen gibt, die nach unserer Einschätzung wesentlich zur medialen Lage von heute beigetragen haben. Eine der wichtigsten ist die East StratCom Task Force des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Stratcom steht für strategische Kommunikation. Diese Taskforce macht etwa Briefings mit Journalisten und klärt diese über russische Desinformation auf. Und da ist ein Fakt, der aus dem Rahmen fällt oder nicht als solcher anerkannt wird, schnell mal eine Verschwörungstheorie. Die Frage ist natürlich, welche politischen Interessen eine solche Organisation vertritt.

Zur Person

Sabine Schiffer (55) ist seit 2018 Professorin an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt/M. Ihre Fachdisziplin ist die Medien- und Diskursanalyse. Sie beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Medien und Krieg wie medialen Darstellungen von Minderheiten.

Nämlich?

Erklärter Auftrag der East StratCom Task Force ist es, die politischen Ziele der EU in den östlichen Ländern voranzutreiben. Das Referat für Strategische Kommunikation des EAD arbeitet bei der Bekämpfung von Desinformation eng mit der Nato zusammen, so auch beim Propaganda-Überwachungsprojekt EUvsDisinfo. Das Stratcom-Referat ist zudem in die Arbeit des Strategic Communications Centre of Excellence der Nato eingebunden. Am Schluss brieft also ein Militärbündnis Journalisten über russische Desinformation – ohne Methoden für deren Analyse offenzulegen.

Trotzdem hat Russland einen Angriffskrieg begonnen. Ist eine Relativierung in dem Fall nicht eine Verharmlosung?

Thomas Fischer, Ex-Präsident des Bundesgerichtshofs, spricht ja in einer Spiegel-Kolumne von der Relativierung als Gedankenverbrechen. Ich muss nach dem ersten Schreck sagen, da bringt er es auf den Punkt: Es geht doch ums Einordnen, nicht um das Relativieren. Relativierung ist ein Kampfbegriff.

Was heißt für sie „einordnen“?

In meinem Artikel Blaupausen für die Ukraine auf Telepolis schreibe ich, dass Russlands „Friedensmission“ das westliche Copyright auf Angriffskriege verletzt hat. Ich fühle mich unwillkürlich an den Kosovo- und Irak-Krieg erinnert. Die Nato-Doktrin von 1999 hat drei Begründungen für Kriegseinsätze festgelegt, die bis dato noch keinen Krieg rechtfertigten. Die humanitäre Intervention, wie sie Putin jetzt vorgibt, die Ressourcensicherung und starke Migrationsbewegungen, Frontex ist ein Beispiel dafür. Trotzdem beginnt mein Artikel mit einer klaren Verurteilung des Völkerrechtsbruchs durch Russland. Der Maßstab bleibt das Recht, da gibt es nichts zu diskutieren, Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Und dass die Ukraine das Opfer ist, ist vollkommen klar. Deswegen kann ich aber nicht aufhören, Fragen zu stellen. Die wichtigste ist: Warum jetzt? Putin und Lawrow sind in all den Jahren verhältnismäßig souverän mit der angespannten Lage umgegangen, warum haben sie sich jetzt für die Eskalation entschieden?

Putin gibt ja vor, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen. Ziemlich plumpe Kriegspropaganda?

Absolut. Im Krieg muss man das so machen, damit Menschen bereit sind, andere Menschen zu töten. Die russische Bevölkerung dürfte für einen Angriff auf ihr sogenanntes Brudervolk schwer zu motivieren gewesen sein. Also packt man Nazi-Vergleiche aus. Das ist plumpe Propaganda – auch wenn es Nazi-Bataillone in der Ukraine gibt.

Woher nehmen Sie die Berechtigung, in Ihren Analysen kritischer zu sein als die Menschen vor Ort?

Weil wir aus Jugoslawien gelernt haben, dass auch die Berichterstattung vor Ort beeinflusst werden kann. Viele Journalisten waren „zu nah dran“, damals in Jugoslawien, um den Überblick zu behalten: Eine ausgewogene Berichterstattung ist nur im Zusammenspiel „mit denen von außen“ möglich, die das Geschehen in Kontext setzen und dabei helfen, sich einen Überblick über die Gesamtsituation zu verschaffen. Ansonsten drohen Journalisten zur Kriegspartei gemacht zu werden.

Andererseits gibt es Dokumente, die eine eindeutige Sprache sprechen wie die Bilder aus Butscha.

Natürlich, nur müssen Sie bei solchen Dokumenten sehr vorsichtig sein und ganz akribisch verifizieren. Die erste Frage ist: Sind diese Bilder echt? Beim sogenannten Massaker von Račak im Kosovo haben die Medien vorschnell Bilder verbreitet, deren Authentizität später bezweifelt wurde. Im Fall von Butscha können wir die Frage nach der Echtheit aber mit einem klaren Ja beantworten. Das sind echte Bilder, echte Tote. Man kann sogar den Tatzeitpunkt eingrenzen. Das ist aber nur die erste Ebene, die Oberfläche. Um mehr Informationen zu bekommen, müssten Pathologen Todesursache und -zeitpunkt feststellen und Kriminalisten mit den Leuten sprechen, die zum Vorfall befragt wurden. Woher kamen die? Wo müsste man nachfragen? Gibt es Hinweise auf Gruppen? Man muss die Informationen auf Konsistenz prüfen – und gegenprüfen – statt anekdotische Evidenzen zu sammeln.

Spricht nicht alles dafür, dass es die Russen waren?

Vieles spricht dafür. Aber wenn es so war, gibt es immer noch weitere Szenarien, die anfangs nicht ausgeschlossen werden können: Ist die Tötung auf Befehl geschehen oder aus Frust und Hass? Wie wurden die Menschen erschossen? Natürlich muss man auch die unbequeme Frage stellen, ob es andere Truppen waren, die diese Bilder inszenieren wollten, natürlich sind da viele Geheimdienste unterwegs. Dass die Ukraine in diesem Krieg das Opfer ist, ist vollkommen klar. Das sollte als Prämisse aber nicht über einer unabhängigen Untersuchung stehen. Und am Schluss läuft da natürlich auch eine PR-Maschine, in großem Stil.

Was heißt „im großen Stil“?

Am 14. März hat sich das ukrainische Außenministerium in das sogenannte FARA-Register eingetragen. FARA steht für Foreign Agents Registration Act. Wenn aus dem Ausland PR eingekauft wird oder in den USA PR betrieben wird, muss ich mich da eintragen. Und das ist jetzt ganz offiziell. Die Mittel, die für entsprechende Kampagnen zur Verfügung stehen, sind beträchtlich. Und die Kampagnen im Ergebnis viel professioneller als die Propaganda der Russen.

Wie prägt Kriegsberichterstattung das menschliche Miteinander jenseits der Front?

Wir sehen jetzt leider wieder, wie schnell es gehen kann, sich Feindbildern zu unterwerfen. Der ukrainische Botschafter wurde in der FAZ mit den Worten zitiert: „Alle Russen sind jetzt unsere Feinde“. Man mag ihn persönlich verstehen, aber diese Rhetorik ist klassische Feindbildpflege. Immerhin gibt es auch Russen, die Putins Angriffskrieg ablehnen oder so mutig sind, dagegen zu protestieren. Diese Homogenisierung ist so vor-aufklärerisch, so gar nicht europäisch – und immer falsch.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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