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Literatur | Leonardo Paduras großer Exilroman: Kubas desillusionierte Generation


Link [2022-05-28 11:45:02]



Leonardo Padura gehört im deutschsprachigen Raum zu den wohl meistgelesenen kubanischen Schriftstellerin – sein großer Roman „Staub im Wind“ erzählt von Hoffnung und Enttäuschung, von Solidarität und Freundschaft

Irgendwann nannten sie sich „Der Clan“. Elisa, Clara, Darío und Horacio, später kommen noch weitere Freunde dazu. Die Freunde haben Ideale, wollen etwas erreichen. „Sie fügten sich ein ins Bild des ‚neuen Menschen‘, ließen keine der politischen Aktivitäten, freiwilligen Arbeitseinsätze und kämpferischen Aufmärsche aus, wollten das Studium erfolgreich abschließen und danach ihren Beruf ausüben. Bis es so weit war, vergnügten sie sich auf Festen, bei denen sie manchmal mit einer einzigen Flasche Rum oder geklautem Whisky auskommen mussten.“ Claras Elternhaus in Fontanar, außerhalb von Havanna gelegen, wird zum ständigen Treffpunkt für die Freunde. Ihre Eltern, einst angesehene Architekten, sind vor langer Zeit bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die Freunde können in dem hexagonal konstruierten Haus also tun und lassen, was sie wollen.

Verschworener Freundeskreis

Ende der 1980er fällt die Stimmung in dem extravaganten Haus in Fontanar. Die Sowjetunion zerbricht, und mit ihr die ideologische wie auch ökonomische Basis der kubanischen Revolution. Die Wirtschaft auf der Insel steht vor einem Kollaps. Zudem stürzt Walter, der allen suspekte Maler, in Havanna aus mysteriösen Gründen vom Dach eines Hochhauses, und Elisa verschwindet klammheimlich, niemand weiß, wohin sie gegangen ist. Argwohn beginnt das Miteinander der Freunde zu bestimmen. Hat jemand beim Sturz des Künstlers nachgeholfen? In welchem Zusammenhang steht das Verschwinden Elisas?

Daríoist mittlerweile Arzt, Clara Ingenieurin, Irving Buchlektor, Horacio Physiker, Liuba und Fabio sind Architekten … Doch das Gefühl der Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit wiegt immer schwerer. „Und warum bist du heute nicht in der Arbeit, Clarita? Wir sollen Treibstoff sparen. Die Werkstatt ist jetzt bloß von Montag bis Donnerstag geöffnet, (…) tja … So ein Scheiß. Bei uns im Verlag gibts kein Papier. Wir nehmen nicht mal mehr Manuskripte an.“ Darío könnte dank des Abkommens im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe nach Leipzig gehen. Bleibt als einziger Ausweg aus der prekären wirtschaftlichen Situation und der beruflichen Stagnation nur das Exil? Der Mehrheit gelingt es, nach und nach auszuwandern: in die USA, nach Argentinien oder Europa, verstreut in viele Richtungen. Jahrzehnte später werden die erwachsenen Kinder nachziehen. Nur Clara und Bernardo bleiben in Fontanar zurück.

Leonardo Padura, der im deutschsprachigen Raum wohl meistgelesene und in über 30 Sprachen übersetzte kubanische Schriftsteller, legt mit Wie Staub im Wind eine große Erzählung über die kubanische Diaspora vor. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk des 1955 in Havanna geborenen Schriftstellers, Essayisten und Drehbuchautors. In seinen Romanen, etwa Die Palme und der Stern (2002), Der Mann, der Hunde liebte (2009) oder Ketzer (2013), verbindet er Epochen, Kontinente und historische Ereignisse, um das Phänomen des Exils mit kubanischen Themen zu verquicken. Seine Beweggrund dafür, sich in diesem Roman komplett auf die kubanische Diaspora zu konzentrieren, sagte er kürzlich bei einem Lesetermin in Deutschland, sei das Schicksal seiner eigenen Generation gewesen. Schon die Ende der 1990er erschienenen Kriminalromane umMario Conde vermitteln eine Ahnung davon, was es bedeutet, wenn ein verschworener Freundeskreis auseinandergerissen wird.

So omnipräsent die oben beschriebene Zeit auch ist, die Handlung beginnt 2016 in Miami, mit der knapp 30-jährigen Adela, die in New York geboren und von ihrer kubanischen Mutter „wie eine Pflanze ohne Wurzeln großgezogen wurde“, und dem fast gleichaltrigen Marcos, gerade aus Kuba ausgewandert, der in Hialeah, einer „Oase inmitten des buntscheckigen kubanischen Gettos“, sein kubanisches Leben praktisch weiterführt. Tatsächlich sind sie es, die Kinder der „desillusionierten Generation“, die Fragen stellen und auch dort, in der vermeintlich besseren Welt, die Mauern zum Wackeln bringen. Hier gewinnt der Krimischriftsteller Padura die Oberhand, denn das Verschwinden von Elisa und der Grund für Walters tödlichen Sturz bestimmen bis zum Schluss die Dynamik des Plots.

Ein Hohelied der Solidarität

Derweil springt der Erzähler, ähnlich wie in seinen historisch geprägten Romanen, von einem Jahrzehnt in das andere, rückt mal die eine, dann wieder die andere Figur in den Mittelpunkt, wechselt leichtfüßig Zeit und Ort. Mosaiksteine entstehen, Kapitel für Kapitel ergibt sich ein Gesamtbild.

Leonardo Padura liefert mit Wie Staub im Wind einen umfassenden Roman über die kubanische Diaspora. Wie sieht die Suche nach Identität im Exil aus? Ist es möglich, mit der eigenen Herkunft radikal zu brechen, inklusive der eigenen Sprache, um ein neues, besseres Leben zu beginnen? So wie es etwa der inzwischen in Barcelona lebende Darío vorgibt, der „auf einmal mit einem katalanischen Akzent sprach, als wäre er in einem Dorf der Provinz Gerona zur Welt gekommen“. Gleichzeitig stellt der Roman aber auch ein Hohelied der Freundschaft und Solidarität dar, ein weiterer Aspekt, der sich seit den Mario-Conde-Krimis leitmotivartig durch Paduras literarisches Werk zieht.

Padura spart auch in diesem Roman keineswegs mit Kritik am wirtschaftlichen und politischen System des Landes. Viele wähnen den kritischen Chronisten seiner Zeit im Exil oder stellen ihn nicht selten als kubanischen Schriftsteller vor, der „noch“ in Kuba lebe. Doch nichts liegt ferner! „Ich habe ein sehr starkes Gefühl der Zugehörigkeit zu meinem Land, zu meiner Kultur, zu meiner Sprache und zu den Menschen, die dort leben. Das ist einer der Gründe, warum ich, obwohl ich vielleicht auswandern könnte, dies nie ernsthaft in Erwägung gezogen habe“, erzählt Padura – mit breitem Lächeln im Gesicht.

Info

Wie Staub im Wind Leonardo Padura Peter Kultzen (Übers.), Unionsverlag 2022, 528 S., 26 €

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