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Linskpartei | An die Spitze: Heidi Reichinnek will Co-Vorsitzende der Linken werden


Link [2022-06-21 00:01:05]



Am 24. Juni wählt die Linke in Erfurt ihren neuen Vorstand. Heidi Reichinnek fordert Janine Wissler heraus. Ein Porträt

Wer hat dich jetzt noch mal zur Kandidatur gezwungen?“ – „Actually I did it myself.“ Das fünfsekündige Video auf Heidi Reichinneks Instagram-Seite veräppelt diejenigen, die sich nicht vorstellen können, dass die jüngste Bundestagsabgeordnete der Linken Chefin werden will, aus eigenen Stücken. Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag kündigt Ende Mai überraschend ihre Kandidatur als Co-Parteivorsitzende an und nennt diese „ein Angebot“. Zuvor hatten sich bereits die amtierende Parteivorsitzende Janine Wissler und zwei Männer, der Europa-Abgeordnete Martin Schirdewan und der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, auf das Amt beworben. Mitte Juni gibt dann noch die ehemalige sächsische Landtagsabgeordnete Julia Bonk bekannt, dass sie antritt. Drei Frauen, zwei Männer – bei der paritätisch besetzten Doppelspitze hat Reichinnek Chancen, Co-Chefin der Linken zu werden. Aber warum überhaupt macht sie dieses Angebot?

Heidi Reichinnek muss lachen, bevor sie antwortet. Zu oft schon hat die frisch in den Bundestag gewählte Politikerin diese Frage gehört, zu oft schon habe sie beteuern müssen, von niemandem dazu gedrängt worden zu sein. „Natürlich habe ich mir das gut überlegt, weil ich für diese Partei brenne!“

Anfang Juni in Reichinneks Bundestagsbüro – ihr Mitarbeiter gibt kurz Bescheid, dass das Mittagessen schon da ist, aber Heidi Reichinnek will nicht gleichzeitig essen und reden. Das größte ihrer Leib- und Magenthemen ist die Kinder- und Jugendpolitik, auch weil sie vor wenigen Monaten noch in der Jugendhilfe arbeitete und dort hautnah mitbekommen hat, was sie derzeit auf politischer Ebene behandelt: Kinder ohne Frühstück, fehlende strukturelle Förderung der Jugendhilfen, vor allen Dingen eine Kindergrundsicherung, die ihren „Namen auch verdient hat“, wie sie beteuert. Oft weist sie im Gespräch darauf hin, dass sie aus der Praxis kommt. Ihre Erfahrungen beschränken sich aber nicht nur auf ihre Zeit aus der Jugendhilfe.

Sie ist Ostlerin und Westlerin, war Wissenschaftlerin, die den Nahen Osten kennt, und Kommunal- und Jungpolitikerin im Ehrenamt. 1988 in Sachsen-Anhalt geboren und dort aufgewachsen, studiert sie bis 2011 Nahoststudien und Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Reichinnek hält sich während des Studiums in Ägypten auf und erlebt dort die Aufstände am Tahrirplatz in Kairo mit. Ihr erstes Tattoo unter vielen – unter anderem ihre Katze und Rosa Luxemburg – zeugt von dieser Zeit, den linken Oberarm ziert Nofretete mit der Gasmaske.

Heidi Reichinnek steht für linken Feminismus

Eine Hommage an die vielen Frauen, wie Reichinnek erzählt, die zu Beginn der Aufstände des sogenannten Arabischen Frühlings noch vielfach auf dem Tahrirplatz anzutreffen waren. Zurück aus Kairo macht sie ihren Master in Marburg und wird dort wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt zu Islamismus und Salafismus.

Nach der vielen Theorie wechselt Reichinnek in die soziale Arbeit. Eigentlich arbeitete sie bis 2021 in einem Projekt zur Radikalisierungsprävention. Sie ist freigestellt und könnte jeden Moment in ihren alten Job zurück. Könnte. Denn da ist noch die Kommunalpolitikerin Heidi Reichinnek.

2015 trat sie in die Partei ein und saß ein Jahr später als Mitglied der Linksfraktion im Rat der Stadt Osnabrück. Wieder ein Jahr später wurde sie Landessprecherin der Linksjugend in Niedersachsen. 2019 wurde sie zu einer der Vorsitzenden der Linken in Niedersachsen. Aus der Kommunalpolitik bringt sie sich das Thema Frauenpolitik mit, „da geht es mir vor allem um das Thema Arbeit und Soziales, also alles, was mit schlecht bezahlten, als Frauenberufe titulierten Jobs zu tun hat“. Die Bezahlung und Arbeitsbedingungen seien bekanntermaßen „bescheiden“, wie sie es formuliert, und eigentlich, so sagen es die aufblitzenden Augen, würde sie gerade viel lieber den Kraftausdruck verwenden. „Hier wäre die Rolle des linken Feminismus, zu sagen, dass solche Frauenberufe aufgewertet werden.“ Die Abschaffung des Paragrafen 218 sowie Gewaltschutz seien ebenfalls ihre Themen – „Feminismus für die 99 Prozent“, wie das Thesenpapier der Partei für diese Legislaturperiode heißt, an dem sie mitgeschrieben hat.

Die Themen der Linken stärken

Mit Blick auf ihre angekündigte Kandidatur würde Reichinnek all dies unter den Begriff „Soziale Teilhabe“ stellen. „Das ist doch das Thema, was mit uns als Linke verbunden wird“, sagt sie und listet auf, was alles teurer geworden ist. Und wie will sie damit gewinnen? „Indem ich mich hinstelle und sage, ey, ich will 100 Euro rückwirkend zum Januar. Alle Sachverständigen haben mir recht gegeben und trotzdem passiert nichts. Das macht mich sauer.“

Was ihr nun oft vorgeworfen werde, nach nur fünf Monaten Bundestagsmandat an die Parteispitze zu drängen („Das war kein Berufswunsch von mir als Kind, Parteivorsitzende“), begründet sie auch mit ihrem Bezug zur Kommunalpolitik: „Genau dieses Feuer, das haben meine Genoss*innen in der Fläche. Dieses Feuer muss man mal an die Spitze tragen und sagen, die Bundespartei ist für diese Leute in der Fläche verantwortlich. Und das passiert gerade nicht.“

Reichinnek sucht den Kontakt zu den Leuten. „Nicht übereinander, sondern miteinander reden“, sagt sie und meint damit nicht nur ihre 17.600 Follower*innen auf Tiktok, sondern auch die verschiedenen Lager in ihrer Partei; es klingt wenig „cheesy“. Interessant, dass das einige aus ihrer Partei auch so sehen. Mir ihr kann man arbeiten, heißt es, und dass sie einen super Job mache. Einzig eine Stimme aus ihrer Partei seufzt anerkennend: „Uff, das kommt zu früh für sie.“ Aber es hat sie ja niemand gezwungen.

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