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Leipziger Buchmesse | Die Absage ist ein Verrat am Leser


Link [2022-02-19 18:34:43]



Zum dritten Mal in Folge fällt die Messe aus. Sechs Stimmen aus der Literaturbranche erzählen, warum das ein großer Verlust ist Autoren sind Freiwild, man verwehrt ihnen das Gehege

Der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig als Gesellschafter der Leipziger Messe haben unmittelbar nach Absage der Buchmesse ein Bekenntnis zu eben dieser abgegeben. Sie soll 2023 stattfinden. Den wirtschaftlichen Schaden werden die beiden Gesellschafter also kompensieren. Soweit die gute Nachricht.

Der Kollateralschaden, den absagende Verlage billigend in Kauf nahmen, liegt bei den Autorinnen und Autoren, die zum wiederholten Male keinerlei Chance erhalten, lesend, diskutierend, in Symbiose mit ihren Verlagen für ihre Bücher zu werben. Verlage geben vor, durch Messeabwesenheit ihre Mitarbeiter schützen zu wollen und erklären dabei ihre Autoren zu Freiwild, weil man ihnen das Gehege verwehrt. Welches Paradox. Die, die gar nicht existieren würden, gäbe es die anderen nicht, verwehren jenen die Obhut. Einem Arzt würde man wohl in ähnlicher Situation die Approbation aberkennen.

Was ist passiert? Dass es beschwerlich ist, in Pandemiezeiten das Messegeschäft zu organisieren, Leseereignisse zu planen und so etwas wie Aufbruch und Freude am Tun zu leben, kann sicher jeder bestätigen. Aber den Regenbogen zu klauen nach zwei Jahren Regen ist unanständig, diskursschädlich und stößt die vielen Leser wie die zahlreichen Autorinnen und Autoren vor den Kopf. Wenn wir inzwischen in den Medien oft lesen, die Gesellschaft bricht auseinander, so können wir ab sofort auch sagen: Die Branche bricht auseinander. Das Hemd will mit der Hose nix mehr zu tun haben. Das ist bitter.

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Michael Faber führt zusammen mit seinem Vater den Leipziger Verlag Faber & Faber

Leipzig: Austausch zwischen West und Ost

Vor neun Jahren erschien mein Buch Eisenkinder. Die stille Wut der Nachwendegeneration im Luchterhand-Verlag, der zur Randomhouse-Gruppe gehört. Ich schrieb anhand meiner eigenen Biografie, wie schwierig das Aufwachsen nach 1990 war, als das Land zusammenbrach, Eltern und Verwandte arbeitslos wurden. Als Lehrer verschwanden und Brüder rechtsradikal wurden. Damals redete kaum noch jemand darüber. Es war mutig vom damaligen Verleger, das Buch einer unbekannten ostdeutschen Autorin herauszubringen. In der Vorschau wurde das Buch auf der letzten Seite angekündigt. Dann kam die Leipziger Buchmesse 2013. Freitagabend rief mich ein Vertreter des Verlags an: „Hier stehen Leute und weinen zum Teil, wenn sie von der Nachwendezeit erzählen“, sagte er, er klang verblüfft. Ich hatte auf der Messe viele Lesungen und Auftritte. Es kamen ältere Menschen zu mir, die mir sagten, wenn sie mein Buch läsen, verstünden sie endlich ihre Kinder, zu denen sie den Draht verloren hätten.

Wenn ich darüber nachdenke, dass Eisenkinder ein Bestseller wurde, dann habe ich das auch Leipzig und der Messe zu verdanken. Die Leipziger Buchmesse ist einer der wenigen prominenten Orte, an dem ein Austausch zwischen Ost und West stattfindet, an dem ostdeutsche Autor*innen eine größere Aufmerksamkeit erfahren, die sie in Frankfurt am Main nie bekommen würden. Deshalb ist die Absage der Messe Leipzig so ein Schlag ins Gesicht.

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Sabine Rennefanz ist Schriftstellerin und Publizistin. Im März erscheint ihr neues Buch Frauen und Kinder zuletzt. Wie Krisen gesellschaftliche Gerechtigkeit herausfordern im Ch. Links Verlag

Ein herber Verlust für alle, die Bücher lieben

Ich habe die Buchmesse (Frankfurt) erstmals 1977 erlebt, damals war ich Buchhandels-„Lehrling“ in der Provinz. Jeden Morgen musste ich die Stapel Buchsendungen von Koch, Neff & Oetinger, kurz KNO, und die Libri-Auslieferungen auspacken und „auslegen“ (Buchhändlerdeutsch). Ich verbrachte viel Zeit in einem stickigen Kabuff. Die Messe war das Highlight des Jahres. Man schnupperte an der literarischen Promi-Welt, fühlte sich wichtig, wenn man am Stand „Reizpartien“, besonders lukrative Buchmengen, mitaushandelte. Ein Jahr später wurde ich Absolventin der von uns Auszubildenden politisch aufgemischten Buchhändlerschule in Frankfurt-Seckbach. Ich wurde Zeugin, wie ein Kleinstverlag aus dem Odenwald, Anrich, für den Jugendbuchpreis reüssierte. Autor:innen wie Preisträger Dietlof Reiche oder Ursula Wölfel haben neue Maßstäbe gesetzt für diese stets unterschätzte Gattung. An manche Buchmessebegegnung erinnere ich mich besonders gerne, an den Abend etwa mit der wunderbar plaudernden, mittlerweile verstorbenen Brigitte Kronauer. Die alte Buchmesse-Stadt gestaltete mit ihrem Lesefest „Leipzig liest“ das Event später noch barrierefreier. Als in der digitalen Öde der Coronazeit engagierte Buchmacherinnen wie Ingo Držečnik vom Elfenbein-Verlag oder Britta Jürgs von Aviva meine Seminare bereicherten, wurde mir wieder einmal klar, wie wichtig die Messen für diese unermüdlichen Buchapostel sind. Das Messe-Aus ist für alle, die Bücher schreiben, lesen und lieben, ein herber Verlust.

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Ulrike Baureithel ist Mitarbeiterin des Freitag. Sie lehrt Literaturkritik an der HU

Nur sentimentales Festhalten?

Es ist eine Kulturkatastrophe, dass Leipzig zum dritten Mal flachfällt. Anders als Frankfurt ist die Leipziger Buchmesse nicht Börse oder Marketingschau. Leipzig ist anders. Ein Blick auf Diskurse in Medien und Branche zeigt, dass da ein Kampf um Hegemonie läuft. Autor*innen, um ihr Leipzig geprellt, fordern Solidarität von den Großverlagen. Der Verlag Mikrotext merkt an, da eh öffentliche Gelder in den Messen steckten, wieso scheitert es an den Konzernen? Der Kiwi-Editor nennt das Absagemanöver einen Angriff der Betriebswirtschaftler auf den Kern verlegerischer Aufgaben.

Dabei ist das Kostenargument flau: Für Bestsellertaugliches leisten sich Konzernverlage Werbeplätze um das Zigfache ihrer Messekosten und Taskforce-Onlinemarketing, denn auch das Netz ist schon stark monopolisiert. Kapitalhörige aber tragen die Leipziger Buchmesse als „nicht zukunftstauglich“ zu Grabe, Profit soll oberstes Gebot bleiben. Oetinger-Chef Schmid schimpft die einzige echte Publikumsmesse „sentimentales Festhalten“ und verlangt „zeitgemäße digitale Begegnungsmöglichkeiten mit unseren Handelspartnern“. Das ist Neoliberalenjargon wie aus den Nullerjahren, und da verlegt man nun Kinderbücher und lobt Nachhaltigkeits-Awards aus. Nein, das ist nicht zeitgemäß, es ist reaktionär, vernagelt, blind für aktuelle Probleme und Krisen. Lebensraum und Weltwahrnehmung als Ware? Lernen wir als Gesellschaft endlich die Lektion: Man darf die Kultur so wenig wie die Klimakrise dem zynischen Kapitalinteresse überlassen.

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Else Laudan ist Chefin des 1988 gegründeten Ariadne-Argument-Verlags mit Sitz in Hamburg

Wenn das Publikum nur noch stört

Wie die geschätzte Kollegin Else Laudan hier betont, gibt es bei größeren Publikumsverlagen die Tendenz, die Controller über das Lektorat herrschen zu lassen, die Gewinnerwartung wird erhöht, für das Spezielle, das Nochnichtdurchgesetzte, das Eigenschöne bleibt da wenig Platz. Immerhin aber werden die Texte noch irgendwie lektoriert.

Bei den größeren wissenschaftlichen Verlagen ist es eher schlimmer.Wissenschaftler*innen sollen viel Geld, oft fünfstellige Summen auftreiben, das Satzbild sollen sie zudem erstellen oder zumindest vorformatieren. Das Korrektorat müssen sie oft ebenso leisten – und wir alle wissen, dass wir nach intensiver Beschäftigung mit dem Text nicht mal mehr die auffälligsten Fehler entdecken. Oft müssen die Wissenschaftler*innen zudem noch einen Teil ihrer Belegexemplare kaufen. Schließlich wissen die Lektorate, erzählen viele Wissenschaftler*innen, nicht einmal, was im Buch steht, die Peer Reviews sind dazu oft äußerst oberflächlich. Wofür also zahlt man? Bitte nicht lachen: für’s „Renommee“ dieser Häuser. Dass man es günstiger und erfolgreicher machen kann, kann ich beweisen.

Aber angesichts dessen muss man sehen, dass ein derartiges Desinteresse der Verlage am Buch keine Leser*innen anzieht, sondern das Vertrauen in Kunst und Wissen langfristig zerstört. Wenn man jetzt auch keine Messen mehr machen will, bei denen das Publikum einen nur stört, sollte man sich fragen, für wen man was produziert. Und warum sich wer das überhaupt kaufen wollen soll.

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Jörg Sundermeier ist Verleger des 1993 gegründeten Verbrecher-Verlags mit Sitz in Berlin

Das gemeinsame Durchwurschteln fehlt

Verlage in der Größe von Ventil existieren ja in einem Zustand des Durchwurschtelns, mal läuft es besser, mal schlechter, mal richtig schlecht, aber trotz allem bleibt es ein erfüllendes Unterfangen, weil am Ende Bücher entstehen, die man gerne lesen will und für die man sich viele Leser:innen wünscht. Dieses erfüllende Gefühl ist durch die Pandemie-Situation ja ohnehin schon arg strapaziert, weil sich ein Teil unseres Alltags um die Absagen von dann doch irgendwie erhofften Lesungen dreht und darum, frustrierten Autor:innen diesen Frust zu nehmen. Damit wir dabei selbst nicht dem Frust erliegen, sind Events wie die Leipziger Buchmesse enorm wichtig, wo wir all die anderen Verleger:innen treffen, die sich genauso durchwurschteln und mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.

Wie für viele andere kleinere Verlage spielt für uns die Leipziger Messe daher eine wichtigere Rolle als die Frankfurter Buchmesse – als Ort der Kommunikation mit Autor:innen, Kolleg:innen und natürlich auch Leser:innen. Eine Absage aufgrund von Corona wäre für uns nachvollziehbar gewesen, das sind wir ja gewohnt und wir hätten wie im vergangenen Jahr gehofft, dass es dann im kommenden Jahr wieder besser wird. Dass die Messe nun aber wegen der Absage einiger Großverlage nicht stattfinden kann, in deren Jahresplanung die Messe ohnehin nicht so eine große Rolle spielt, ist doppelt ärgerlich. Uns wird die Möglichkeit genommen, zumindest so weit dies möglich ist, mit all denen zusammenzukommen, wegen denen und für die wir jeden Tag ins Büro fahren und Bücher produzieren, und wir bleiben mit unserem Frust darüber alleine in eben diesen Büros sitzen, wo es doch so viel wichtiger wäre, sich gemeinsam und solidarisch mit anderen Verlagen über die aktuelle Situation auszutauschen, eingeklemmt zwischen der realen Problematik, unter Pandemiebedingungen Kultur zu produzieren, und der Querfront aus Impfgegnern, Nazis und anderen, die immer mehr politischen Raum besetzt. Jetzt wurschteln wir wieder alleine weiter und hoffen auf ein nächsten Jahr in Leipzig.

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Jonas Engelmann ist Autor, Journalist und einer der Verleger des 1999 in Mainz gegründeten Ventil Verlags

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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