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Kunst | „Wir waren die AYBs – die Angry Young Blacks“


Link [2022-01-31 15:13:55]



In den 80ern arbeitete eine Gruppe junger Schwarzer Künstler*innen gegen den Rassismus in Thatchers Großbritannien an – und stieß auf erbitterte Widerstände. Heute hängen viele ihrer Werke in der Tate Britain

Kurz nachdem Margaret Thatcher im Mai 1979 britische Premierministerin wurde, entstand Eddie Chambers’ Destruction of the National Front. Der 19-jährige Kunststudent aus Wolverhampton in den West Midlands gestaltete dafür die britische Flagge zu einem Hakenkreuz um und zerlegte es in einer Folge von vier Bildern, bis nur noch Schnipsel davon übrig blieben. Ein trotziger Protest gegen das Wiedererstarken der extremen Rechten.

Das Werk ist bezeichnend für die Blk Art Group, eine radikale Gruppe junger Schwarzer Künstler:innen, die Chambers 1979 gründete. Blk wurde „black“ gesprochen, ihr Ziel war es, Rassismus mit Kunst zu bekämpfen, ihre Arbeiten fokussierten darauf, was es bedeutete, in Thatchers Großbritannien Schwarz zu sein. Und sie warben für eine eigenständige politische Identität Schwarzer Brit:innen. Obwohl die Blk Art Group relativ kurz aktiv war – sie bestand nur fünf Jahre –, hatte sie großen Einfluss auf die britische Kunst.

Keith Piper, der in Malta geboren ist und in Birmingham aufwuchs, lernte Chambers 1979 im Kunststudium an der Lanchester Polytechnic in Coventry kennen. In ihrem Studiengang waren die beiden die einzigen Schwarzen. Chambers knüpfte Kontakte zu anderen Kunsthochschulen in den West Midlands, und bis 1982 traten Dominic Dawes, Claudette Johnson, Wenda Leslie, Ian Palmer, Donald Rodney und Marlene Smith der Gruppe bei.

Die Arbeit der Blk Art Group steht derzeit im Mittelpunkt der Ausstellung Life Between Islands in der Tate Britain, die Werke britischer Künstler:innen mit Wurzeln in der Karibik zeigt. Hier wird auch der Einfluss der Blk Art Group auf nachfolgende Generationen deutlich, nicht zuletzt auf Schwarze Künstler wie Chris Ofili und Steve McQueen, die den Young British Artists zugerechnet werden.

Diese Kunst polarisierte sofort

Chambers, der heute als Professor für Kunstgeschichte und Kunst der afrikanischen Diaspora an der Universität Texas in Austin lehrt, verkörperte den politischen Ansatz von Blk. How Much Longer You Bastards von 1983 kritisierte die Aktivitäten der Barclays Bank in Südafrika in einer Zeit, als Margaret Thatcher sich weigerte, Sanktionen gegen das Apartheid-Regime zu verhängen. Die Collage zeigt das Logo der Bank neben Seiten aus der Financial Times und dem oft publizierten Foto zweier Eltern, die nach dem Soweto-Aufstand von 1976 ihr totes Kind tragen. Piper wiederum arbeitete Text in Werke wie The Body Politic (1983) ein, um von Entmenschlichung und Folter zu erzählen. Die Arbeit zeigt zwei nackte und kopflose Körper – eine weiße Frau und einen schwarzen Mann –, daneben den jeweils identischen Text: „Für dich war ich immer (nur) ein Körper.“ Piper sagt dazu: „Ich wollte, dass die Betrachter den feindselig prüfenden Blick verstehen, dem Schwarze Körper seitens der weißen Mehrheit ausgesetzt sind.“

Die fieberhafte Atmosphäre der 1980er – die extreme Rechte im Aufwind, der Anti-Apartheid-Kampf, Anti-Atomwaffen-Proteste, Auseinandersetzungen mit der Polizei – schlug sich auch in der Rezeption der Gruppe nieder. Sie polarisierte sofort. Als 1983 die Ausstellung The Pan-Afrikan Connection im Herbert-Museum in Coventry gezeigt wurde, zwang die Beschwerde eines Aufsehers das Museum, ein Warnschild am Eingang aufzustellen: „Für unter 18-Jährige nicht geeignet“. Selbst von der Linken wurde die Gruppe zum großen Teil abgelehnt. Eine Notiz im Gästebuch des Museums beklagte: „Wütend. Zu wütend ... ein marxistischerer Ansatz wäre notwendig.“ Im Guardian stand: „Ihre Werke sind eigentlich nur eine politische Plakatsammlung.“

Die Künstlerin und Kuratorin Marlene Smith war 18, als sie sich der Gruppe anschloss. Sie sagt: „Wir wollten den Zusammenhang zwischen dem Kolonialismus des 19. Jahrhunderts und dem Kampf deutlich machen, den wir als Teenager führen mussten, um unseren Platz zu finden.“ Der Panafrikanismus – die Vorstellung, dass afrikanische Völker und die Diaspora eine gemeinsame Geschichte und Identität teilen – war ihre gemeinsame Vision. Er konnte ihr jedoch nicht dabei helfen, „die Rolle zu verstehen, die Gender für meine Identität spielte. Wir verschlangen viele Bücher, um das besser zu begreifen.“ Darunter waren Ain’t I a Woman: Black Women and Feminism von bell hooks und das Werk von Toni Morrison und Alice Walker.

Tam Joseph/Wolverhampton Art Gallery, Wolverhampton

Smiths Installation Good Housekeeping von 1985 zeigt eine schwarze Frau und darüber die Worte: „Meine Mutter öffnet um sieben Uhr morgens die Tür, sie ist nicht kugelsicher.“ Die Arbeit bezieht sich unmittelbar auf den Fall von Cherry Groce, die durch den Schuss eines Polizisten dauerhaft gelähmt wurde. Er löste 1985 die zweiten großen Unruhen in Brixton aus.

Smith erinnert sich an das erste Treffen von Blk in Chambers’ Elternhaus: „Uns blieb die Luft weg, als Claudette Johnson ihre Arbeit in Relation zum Kanon stellte – Picasso, Rubens, Manets Werk Olympia. Sie zeigte uns, wie Schwarze Frauen in der Kunstgeschichte als dekorativ betrachtet wurden, entweder als Exotika oder als Beweis dafür, wie reich jemand war.“

In einem Statement für The Pan-Afrikan Connection schrieb Johnson: „Während die Schwarze Frau aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität und durch Rassismus unterdrückt wird, gibt es noch kein Wort, das diese spezifische und vorsätzliche Form von Unterdrückung beschreibt.“ Heute sagt sie: „Das Wort ‚Intersektionalität‘ existierte noch nicht. Die Leute fragten mich, für welchen Kampf ich meine Energie einsetzen wolle: Bist du Schwarz oder bist du Frau?“

Für Johnson versinnbildlicht ihr Werk Reclining Figure von 2017 „den subtilen und drastischen Unterschied, den es macht, wenn die Betrachtende selbst eine Schwarze Frau ist“. Das fast lebensgroße Bild zeigt eine erschöpfte Schwarze Frau. „Meine Mutter lag oft in dieser Haltung auf dem Sofa, wenn sie den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war. Ich hatte den rührenden Moment im Kopf, wenn sie endlich nichts mehr für andere tat.“ Über Blk sagt Johnson: „In den 1980ern sah man uns als Leute, die irgendwann wieder woanders hingehen – bei unserer Arbeit ging es darum, deutlich zu machen, dass wir hier sind, um zu bleiben.“

Die Mitglieder von Blk verband nicht nur ihre Jugend, sondern auch ihr Kunststudium. „Blk war keine Außenseiterkunst“, stellt Johnson klar. „Wir hatten die Hoffnung, dass unsere Kunst Schwarze mobilisieren und Weiße dazu anregen könnte, uns anders zu sehen.“

Auch über Blk hinaus war Großbritannien in den 1980er Jahren ein fruchtbarer Boden dafür. Tam Joseph war sowohl ein Vorläufer als auch Zeitgenosse von Blk. „Ich nehme Dinge gerne auf die Schippe“, sagt der heute 74-Jährige. Dabei zeigt er auf ein Gemälde von Jimi Hendrix in der Pose des Lachenden Kavaliers (1624) des holländischen Malers Frans Hals. „Hendrix entspricht dem Bild eines Kavaliers mehr als ein dicker weißer Mann.“ Sein 1982 entstandenes Gemälde Spirit of the Carnival sagt alles über Polizeigewalt gegenüber britisch-karibischen Communitys. Es zeigt einen Kostümierten im Karneval, allein von einem Heer von Polizisten umringt; inspiriert dazu hat Joseph, wie er 1976 den Notting Hill Carnival erlebte, der in gewalttätige Auseinandersetzungen mündete.

Auch die Debatten um Bildung und Wohnen waren zentrale Themen im Werk vieler Schwarzer Künstler:innen in den 1980ern. Josephs UK School Report von 1983 zeichnet den Weg eines Schwarzen Kindes im britischen Bildungssystem nach, festgehalten in drei Porträts mit den Untertiteln „Gut in Sport“, „Mag Musik“ und „Muss überwacht werden“.

Denzil Forrester wurde als Student wegen Beleidigung verurteilt, nachdem er vor einem Juweliergeschäft in London aufgegriffen worden war. „Sie dachten, ich hätte es auf den Laden abgesehen, aber ich zeichnete ihn nur. Sie kamen rüber, um zu sehen was ich da machte, und meine teure Hochschul-Kamera fiel ihnen ins Auge!“ Forrester malte in seinen Anfangsjahren in den Clubs, „die Polizei wurde für mich erst ein Thema, nachdem mein Freund Winston Rose 1981 getötet wurde“.

Kurz nach der zweiten National Black Art Convention 1984 löste sich die Blk Art Group auf. Die meisten verließen nach dem Abschluss die West Midlands in Richtung London, um in Galerien zu arbeiten oder weiter zu studieren.

„Die Young British Artists, die YBAs, übernahmen dann manche der Do-it-yourself-Strategien, die wir in alternativen Räumen angewandt hatten, und überführten sie in einige der größten Institutionen“, sagt Marlene Smith und scherzt: „Wir waren die AYBs – die Angry Young Blacks.“ Daran anknüpfend sagt Claudette Johnson: „Wir wollten politischer sein als frühere Generationen. Ich bin überrascht, dass unsere Werke den Leuten nach über 30 Jahren noch etwas zu sagen haben. Aber die Kämpfe, die wir ansprachen, fechten viele noch heute aus.“

Alex Mistlin ist freier Autor des Guardian, wo eine Langfassung dieses Artikels erschien

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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