Maler wuseln herum, die Hühner sind schon weg oder verstecken sich. Vorne flext jemand an einer zusätzlichen Tür in der weißen Einfriedung, Leitungen schauen aus dem Boden. Letzte Arbeiten, zwei stämmige Männer in Iron-Maiden-Hemden liefern auf Folien gedruckte Texte für die Galeriewände. Juerg Judin, Unternehmer, Galerist, Hühnerbesitzer winkt aus dem hellen Verkaufsraum der ehemaligen Tankstelle. Er hat hier bis vor Kurzem gewohnt und einen bezaubernden kleinen Garten anlegen lassen, Mitten in der Stadt, Bülowstraße / Ecke Frobenstraße, mit Beeten und Kiefern. Jetzt renoviert er etwas in Frankreich, zieht weg. Im Garten plätschert Wasser, überdeckt unvollständig Schöneberger Straßenlärm, Judin verschwindet, kommt zurück, zwei Bilder in der Hand, zu viel Grosz, Schulterzucken, für so wenig Platz. Für „Das kleine Grosz Museum“ nämlich, das kurz vor der Eröffnung steht, nach einem satten Jahr Umbau eröffnet eine Dauerausstellung im Erdgeschoss, darüber die erste der wechselnden Sonderschauen.
Schiebermütze, ernster BlickDas kleine Grosz Museum, Titel und Namensspiel klingt nach zwei Dingen: ein ganz wenig nach Friseurgewerbe, in dem lustige Wortspiele im Geschäftsnamen eine Weile oberste Pflicht schienen. Sehr viel mehr allerdings nach einer Leerstelle: Ein großes Grosz-Museum gibt es nämlich in Berlin nicht, auch überhaupt kein anderes. Dazu später mehr, erst aber Kaffee und Ralf Kemper, Rechtsanwalt mit Spezialisierung Baurecht und leicht manischem Hang zum Kunstsammeln, wie er sagt.
Kemper ist Mitglied des Vereins Georg Grosz in Berlin e. V., der Träger des Museumsprojektes im für fünf Jahre gemieteten Judin-Haus ist. Und er erzählt von Zweifeln. Die hatte er zur ersten Sonderausstellung, aber sie sind längst ins Gegenteil gekippt. Die Ausstellung trägt den Titel Schreiben Sie doch bitte Grosz statt Gross. Eine Zeile darunter erklärt das Ganze genauer: Wie aus Georg Ehrenfried Gross der politische Künstler George Grosz wurde. Wir können uns also auf eine Umschau im Frühwerk gefasst machen, Jugendarbeiten, Suchbewegungen, die mit biografischen Abschnitten zusammenhängen, bis alles schließlich in den Stil einbiegt, mit dem Grosz die Postweltkriegsverheerungen der Weimarer Republik protokollieren und Hitlers Aufstieg seismografieren wird.
Georg Grosz sei viele, sagt Kemper, und das können wir auch gleich in der ersten Etage des Ateliergebäudes erkennen. Zuvor noch ein Blick durch die Dauerausstellung darunter, gerade wird das vergrößerte Foto geliefert, das Grosz von sich um 1920 anfertigen ließ: Strickjacke, Schiebermütze, ernster Blick und Pfeife; den Rücken gerade, Bilder von Boxern an der Wand, drapierte Fitnessgeräte.
Das Erdgeschoss und die Auswahl sind übersichtlich: Das faltige American Couple von 1934 schaut mehr tot als lebendig, in Die Bedrohung aus demselben Jahr beugt sich ein Wasserfarben-Hitler über schon brennende Städte. Aus dem Zyklus zu Schillers Räubern hängt da das Blatt Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin von 1922: Ein triefäugiger Frackträger, Wurstfinger halten die Zigarre neben den Beulen im Schritt so, dass sie auf sein Gemächt anspielen. Eine charakteristische Tuschearbeit, angedeutete Arbeiter im Hintergrund, Fabrikschlote, zum politischen Kommentar verdichtete Gegenübersetzung, für die ihm sein Zeitgenosse und expressionistischer Mitstreiter Walter Mehring 1925 den Titel Spießerbiologe umhängte.
Man ist schnell beim Ende der Erdgeschoss-Runde und beim letzten gemalten Bild von Grosz, Painter of the Hole II von 1950, der Maler, Leere im Kopf, alt, fast kahl, irrer Blick: Die Motive des Malers fraß die Maus, seine Arbeit scheint ihm sinnlos, tiefe Enttäuschung. Die Ausstellung besteht aus wechselnden Leihgaben, die einen elliptischen Überblick über das Werk geben sollen.
Das Stockwerk darüber widmet sich genaueren Themen – die erste der zehn Sonderausstellungen beginnt mit allerlei frühen Übungen, ein Kohleporträt seines Vaters von 1907, die Zeichnung eines Wäschekorbes aus dem Jahr darauf: Schon darin kann man die Wendung zur neuen Sachlichkeit entdecken, die Hinwendung zu Alltagsgegenständen.
Dieses obere Geschoss ist der richtige Ort, um größere Teile des Lebensbogens von Grosz, 1893 als Gross geboren, zu überblicken. Das Frühwerk von Künstler*innen wird gerne auf lineare Entwicklungen abgeklopft, die spätere Grandiosität soll geahnt werden. Bei Georg Ehrenfried ist der Weg weniger klar, der Vater, Gastwirt, hatte ihn mit einfachen Zeichnungen beeindruckt, die Tätowierungen auf dem Arm eines Angestellten taten ihr Übriges. Jedenfalls wurde Gross in einfache Verhältnisse geboren, die Familie zog aus Berlin nach Stolp nahe Danzig, der Vater stirbt, als Georg sechs Jahre alt ist. In der kaiserlich-provinziellen Pädagogik läuft vieles auf den Rohrstock zu, über allem stand das Ziel, Soldat zu werden. Der Schüler Ehrenfried handelt sich Ärger ein, vermutlich erwidert er eine Lehrerohrfeige, fliegt. Schon da trägt er ein Skizzenbuch bei sich, notiert, sammelt Eindrücke, übt Rembrandts Signatur. Ein Zeichenlehrer fördert ihn. Und bereitet ihn – wohl gegen den Willen der Mutter – für die Aufnahme an der Königlich Sächsischen Kunstgewerbeschule in Dresden vor.
Mit SendungsbewusstseinDas ist ein konservatives Institut, Gross wechselt 1912 nach Berlin. Die ersten Eindrücke der Stadt weisen längst nicht auf Metropolis oder Spießergesichter, aus dem Jahr hängen hier drei Bleistiftzeichnungen, Tuschearbeiten, die Vorstadtsiedlungen zeigen: kümmerliche Unterkünfte, Gestalten gehen zur Arbeit. Durchaus ein Blick des Verismus. Aber die Gewalt der Stadt bricht herein, ein dicklicher Toter muss nach nächtlichem Überfall entsorgt werden, die zeichnerischen Gesten zeigen Hast. Ein erster Lustmord: der Tod im grünlichen Anzug, ein nackter, kräftig gebauter Frauenkörper. Im Jahr darauf prügeln sich welche in einer Federzeichnung.
Tatsächlich wollte Grosz lange Illustrator werden, träumte von Ruhm, Geld und Karriere als malender Kommentator, begann den Alltag ringsum zu karikieren und signierte schon ab 1906 manche Zeichnung mit geändertem Nachnamen. Ab 1912 tut er das regelmäßig – kann man erwähnen, weil es seine eigene Erzählung unterläuft, der Namenswechsel sollte seine Haltung gegen den Ersten Weltkrieg ausdrücken. Der sorgfältig recherchierte und angenehm lesbare Katalog verweist auf Grosz’ Freundschaften, die ihn für Dandyfiguren begeisterten. Das Spiel mit Namen und Identitäten kann hier gewachsen, die Verwandlung zu Grosz könne aber auch „eng mit der Entwicklung eines künstlerischen Selbst- und Sendungsbewusstseins verbunden“ sein.
Mit dem Umzug nach Berlin kommt Bewegung in die Zeichnungen: Grosz stellt weiter Panoramen her, die Literatur illustrieren wollen, immer häufiger allerdings bedeutet die Geschwindigkeit von Überfällen, des Drängens in der Stadt, dass Figuren angedeutet bleiben müssen. Stadtverkehr ist auch ein Thema, einerseits in Automobilen, andersherum schält sich ein Männerblick heraus: Beim Erwachsenen Grosz lässt sich kaum unterscheiden, ob er nun das Glotzen der Weimarer Republik auf Frauen thematisiert – oft mit halb durchsichtigen Kleidern angetane Wesen – oder wo die sexuellen Signale Projektion sind.
Wir müssen aber noch über das Scheitern sprechen. Nicht so sehr von Grosz, der sich für gescheitert hielt, aber des Museums. Ralf Kemper erzählt nämlich, dass das Idyll in Schöneberg durchaus scheitern könne. Er und der Trägerverein zielen darauf ab, dass das Museum einen festen Platz in der Stadt bekommen soll, auch dann, wenn der Mietvertrag in fünf Jahren ausläuft. Wenn das nicht gelänge, verstehen Sie mich nicht falsch, hätten sie zwar eine gute Zeit gehabt. Aber ihr Ziel nicht erreicht. Das nämlich, ein öffentliches Museum für die Arbeiten von George Grosz einzurichten. Sehr viel klarer wird Kemper jetzt gerade nicht, aber der Wink an die öffentliche Hand oder Menschen mit sehr viel Geld ist eindeutig. Darunter verbergen sich etliche Konsequenzen für den Stadthaushalt. Das Interesse von Sammlern und Familienstiftung dürfte dagegen eindeutig sein. An der Bülowstraße / Ecke Frobenstraße haben sie für einen mittleren sechsstelligen Betrag jedenfalls das famose kleine Gebäude schon mal hergerichtet.
InfoDas kleine Grosz Museum in Berlin-Schöneberg und die Ausstellung Schreiben Sie doch bitte Grosz statt Gross können ab 14. Mai nach Voranmeldung besucht werden
Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.
2024-11-10 09:12:54