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Krieg | Russland greift die Ukraine an


Link [2022-02-26 11:38:40]



Auf Befehl Wladimir Putins scheint Moskau bei ersten Attacken militärische Infrastrukturen ins Visier genommen zu haben. Es wurden Explosionen auf Flugplätzen und in militärischen Szützpunkten gemeldet. Wie die Welt reagiert

Russische Streitkräfte haben auf Befehl von Wladimir Putin einen Angriff auf die Ukraine gestartet. Führende Politiker aus aller Welt warnen, dass dies den größten Krieg in Europa seit 1945 auslösen könnte.

Nur wenige Minuten nach Putins kurzer Fernsehansprache im Morgengrauen um etwa 5 Uhr ukrainischer Zeit, in der er eine „spezielle Militäroperation“ ankündigte, waren in der Nähe ukrainischer Großstädte, darunter die Hauptstadt Kiew, Explosionen zu hören. Das Ausmaß des russischen Angriffs scheint gewaltig zu sein. Das ukrainische Innenministerium meldete, dass das Land von Marschflugkörpern und ballistischen Raketen angegriffen wurde. Dabei nahm Russland offenbar die Infrastruktur in der Nähe von Großstädten wie Kiew, Charkiw, Mariupol und Dnipro ins Visier.

Ein Video zeigt, wie Explosionen von Artillerieraketen den Nachthimmel erhellten, als der Beschuss in der Nähe von Mariupol begann. Ein hochrangiger Berater des ukrainischen Innenministeriums erklärte es habe den Anschein, dass russische Truppen bald auf das 30 Kilometer von der Grenze entfernte Charkiw vorrücken würden. Einwohner von Kiew suchten Schutz in den Luftschutzkellern, als außerhalb der Stadt Explosionen zu hören waren. Über der Hauptstadt ertönten Luftangriffssirenen, und die Einwohner von Charkiw suchten Schutz in der U-Bahn – Szenen, die es in diesen Städten seit 1941 nicht mehr gegeben hat.

„Dies ist ein Angriffskrieg“

„Putin hat soeben eine umfassende Invasion der Ukraine gestartet“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. „Friedliche ukrainische Städte stehen unter Beschuss. Dies ist ein Angriffskrieg. Die Ukraine wird sich verteidigen und wird gewinnen. Die Welt kann und muss Putin stoppen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.“

In einem Versuch, den Angriff zu rechtfertigen, behauptete Putin: „Auf historisch zu uns gehörenden Gebieten wird ein feindliches Anti-Russland geschaffen.“ – „Wir haben die Entscheidung getroffen, eine spezielle Militäroperation durchzuführen“, sagte er, was einer Kriegserklärung gleichkam. Er behauptete, sie diene der „Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine und griff damit ein Thema der Kreml-Propaganda auf, nämlich die falsche Behauptung, die Kiewer Regierung werde von der extremen Rechten kontrolliert. „Wir haben nicht die Absicht, die Ukraine zu besetzen“, sagte er, und er hatte eine abschreckende Warnung für andere Nationen. „An alle, die eine Einmischung von außen in Erwägung ziehen: Wenn ihr das tut, werdet ihr mit Konsequenzen konfrontiert, die größer sind als alle anderen in der Geschichte. Alle relevanten Entscheidungen sind getroffen worden. Ich hoffe, Sie hören mich“, sagte er.

Russische Medien berichteten, dass die Kriegserklärung möglicherweise im Voraus aufgezeichnet wurde. Der russische Präsident trug dieselbe Krawatte und saß an demselben Schreibtisch, als er am Montag seine Anerkennung der von Russland kontrollierten Gebiete verkündete.

Als Putins Worte ausgestrahlt und die ersten Detonationen gemeldet wurden, hielt der UN-Sicherheitsrat eine Dringlichkeitssitzung ab, die von Russland selbst geleitet wurde, das den rotierenden Vorsitz innehat. Eröffnet wurde die Sitzung vom UN-Generalsekretär António Guterres, der einen direkten Appell richtete: „Präsident Putin – stoppen Sie Ihre Truppen, die Ukraine anzugreifen. Geben Sie dem Frieden eine Chance. Zu viele Menschen sind bereits gestorben.“

Wie Joe Biden reagiert

Joe Biden gab eine schriftliche Erklärung ab: „Die Gebete der ganzen Welt sind heute Abend mit dem ukrainischen Volk, das unter einem unprovozierten und ungerechtfertigten Angriff der russischen Streitkräfte zu leiden hat. Präsident Putin hat sich für einen vorsätzlichen Krieg entschieden, der zu katastrophalen Verlusten an Menschenleben und menschlichem Leid führen wird“, so Biden. „Russland allein ist für den Tod und die Zerstörung verantwortlich, die dieser Angriff mit sich bringen wird, und die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten und Partner werden geschlossen und entschlossen darauf reagieren. Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen“.

Auch andere Staats- und Regierungschefs verurteilten die Invasion. „Ich bin entsetzt über die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine und habe mit Präsident Zelenskyy gesprochen, um die nächsten Schritte zu besprechen. Präsident Putin hat sich mit diesem unprovozierten Angriff auf die Ukraine für einen Weg des Blutvergießens und der Zerstörung entschieden. Das Vereinigte Königreich und unsere Verbündeten werden entschlossen darauf reagieren“, sagte Boris Johnson.

„Wir werden den Kreml zur Rechenschaft ziehen“, schrieb Ursula von der Leyen, die Chefin der EU-Kommission, die wenige Stunden vor dem Angriff neue Sanktionen gegen Moskau angekündigt hatte.

Wolodymyr Zelenskij appelliert

Die Weichen für die Offensive wurden am Donnerstagabend gestellt, nachdem die Führer der beiden russisch kontrollierten Gebiete in der Ostukraine ein offizielles Ersuchen um militärische Hilfe an Moskau gerichtet hatten, um „die Aggression der ukrainischen Streitkräfte abzuwehren und zivile Opfer und eine humanitäre Katastrophe im Donbas zu vermeiden“.

Daraufhin appellierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij in einer Videoansprache an die russische Öffentlichkeit, ihm zu helfen, nachdem ein Versuch, mit Putin zu sprechen, gescheitert war. „Wollen die Russen Kriege? Ich würde diese Frage sehr gerne beantworten. Aber die Antwort liegt bei Ihnen“, sagte er. Er versprach auch, das Land zu verteidigen: „Wenn jemand versucht, uns unser Land, unsere Freiheit, unser Leben, das Leben unserer Kinder wegzunehmen, werden wir uns verteidigen. Wenn ihr angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unsere Rücken, sondern unsere Gesichter“.

Militäranalysten gehen davon aus, dass Putin seine Truppen entsenden wird, um die Hauptstadt Kiew einzunehmen oder zu umzingeln. Am Donnerstagabend berichteten russische Staatsmedien, dass Luftlandetruppen den Flughafen von Boryspil bei Kiew eingenommen hätten. Das russische Militär behauptete, alle ukrainischen Luftstützpunkte seien durch den Raketenbeschuss, mit dem die russische Invasion begann, ausgeschaltet worden. In der Nähe größerer Flugplätze außerhalb von Charkiw und anderen Städten im Osten der Ukraine wurde Rauch gesichtet. Russland scheint aber auch Flugplätze in Cherson und westlich von Iwano-Frankiwsk, das näher an der Grenze zu Polen liegt, getroffen zu haben.

Russland hat auch angedeutet, dass seine Streitkräfte in die Ukraine eingedrungen sind, und behauptet, die ukrainischen Grenztruppen leisteten „keinen Widerstand gegen russische Einheiten“. Einige der ersten Explosionen nach der Ankündigung der Operation durch Putin waren in der Nähe von Kramatorsk zu hören, dem Hauptquartier des Operationszentrums der ukrainischen Armee in der Nähe der von Russland kontrollierten Gebiete im Südosten der Ukraine. Russland schien bei seinen Angriffen am frühen Donnerstagmorgen militärische Infrastrukturen ins Visier zu nehmen. Es wurden auch Explosionen in militärischen Hauptquartieren und in Militärlagern gemeldet.

„Russlands Luftstreitkräfte versuchen, die Kontrolle über den Flughafen in #Kyiv zu übernehmen, um... Truppen einzufliegen und die Stadt zu besetzen“, schrieb US-Senator Marco Rubio, Mitglied des Geheimdienstausschusses des Senats. „Ein amphibischer Angriff auf die wichtige Hafenstadt #Mariupol ist jetzt im Gange Bodentruppen rücken jetzt aus Weißrussland, der Krim und aus #Russland ein.“

Hybride Kriegsführung

Die dramatische Eskalation ist das zweite Mal, dass Moskau einen bedeutenden militärischen Vorstoß in die Ukraine unternommen hat, seit das Land 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangte. Im Jahr 2014 befahl Putin verdeckten russischen Soldaten, die Halbinsel Krim zu besetzen, die Moskau dann annektierte. Dem Angriff vom Donnerstag ging ein massiver, kontinuierlicher Cyberangriff voraus, der sich gegen ukrainische Ministerien und Banken richtete – eine Form der hybriden Kriegsführung, um Verwirrung zu stiften. In den vergangenen Wochen hatte Putin schätzungsweise 190.000 Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenzen zusammengezogen, während die europäischen Staats- und Regierungschefs zwischen Kiew und Moskau hin und her pendelten, um eine diplomatische Lösung zu finden.

Das russische Militär behauptete, es ziele nicht auf Bevölkerungszentren. „Hochpräzisionswaffen schalten die militärische Infrastruktur, Luftverteidigungsanlagen, Militärflugplätze und die Luftfahrt der ukrainischen Armee aus“, erklärte das russische Verteidigungsministerium in einer von Ria Novosti übernommenen Erklärung. Militäranalysten bezweifelten jedoch, dass Russland dem Bombardement standhalten könne und hielten eine Bodeninvasion für wahrscheinlich.

„Russland verfügt über sehr wirksame Luft-, See- und Bodenfeuerungskapazitäten, hat aber keine großen Vorräte an präzisionsgelenkter Munition, weshalb eine Bodenoffensive schon bald nach den ersten Angriffen begonnen zu haben scheint. Russland hat jeden Anreiz, so schnell wie möglich zu handeln“, schrieb Rob Lee, Senior Fellow im Eurasia Program des Foreign Policy Research Institute.

Der russische Rubel fiel auf ein Rekordtief seit 2016, als Putin die Militäroperation ankündigte. Der Handel auf dem russischen Aktienmarkt wurde eingestellt.

Die USA werden wahrscheinlich am Montag neue Sanktionen gegen Russland ankündigen und dabei Instrumente zur Bestrafung russischer Banken und des gesamten Finanzsystems einsetzen, die Washington bisher zurückgehalten hatte. Biden sagte: „Ich werde mich am Morgen mit meinen G7-Kollegen treffen und dann zum amerikanischen Volk sprechen, um die weiteren Konsequenzen anzukündigen, die die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten und Partner gegen Russland für diesen unnötigen Akt der Aggression gegen die Ukraine und den globalen Frieden und die Sicherheit verhängen werden.“

Für den Guardian berichten Luke Harding und Emma Graham-Harrison aus Kiew, Andrew Roth und Pjotr Sauer aus Moskau und Julian Borger aus Washington.

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