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Kino | Opfer und Täter des ETA-Terrors: Heilung ohne Vergebung


Link [2022-05-26 08:56:24]



Icíar Bollaíns Film „Maixabel“ zeichnet den wahren Fall einer versuchten Aussöhnung zwischen Opfern und Tätern im spanischen Baskenland nach

Zunächst scheint es eine nicht beachtenswerte Störung zu sein, die da in den Alltag von Maixabel Lasa (Blanca Portillo) dringt: Das Telefon klingelt im Flur ihres Hauses, während sie sich im Bad die Haare föhnt, und sie hält es nicht für nötig, ranzugehen. Dann klingelt es erneut und unaufhörlich weiter, bis sich Maixabels gespiegeltem Gesichtsausdruck die Gewissheit entnehmen lässt, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Wiederholt versteht es das auf einem wahren Fall beruhende Drama Maixabel, die inneren Prozesse seiner Figuren wortlos und prägnant auf den Punkt zu bringen. Und von diesen inneren Prozessen gibt es im Verlauf dieses Films, der sich mit der persönlichen Aufarbeitung des ETA-Terrorismus im spanischen Baskenland auseinandersetzt, allerhand.

Der Wandel in Maixabels Gesichtsausdruck zu Beginn des Films ist auf einen Schicksalsschlag zurückzuführen, den sie seit Jahren befürchtet: An einem Julitag im Jahr 2000 wird ihr Ehemann Juan Marí Jáuregui, einst sozialistischer Zivilgouverneur in der baskischen Provinz Gipuzkoa, mit zwei Schüssen in den Hinterkopf hingerichtet, als er in einem Café in seiner Heimatstadt Tolosa mit einem Freund zusammensitzt.

Maixabel zeichnet dieses Attentat der ETA mit einer nüchternen, aber nie kühlen Präzision nach: Aus der Perspektive der drei Täter Ibon Etxezarreta (Luis Tosar), Luis Carrasco (Urko Olazabal) und Patxi Makazaga (Mikel Bustamante) erleben wir den schnellen Ablauf und die atemlose Flucht in einen Unterschlupf mit, bevor sich das Drama dem Schmerz der hinterbliebenen Maixabel und ihrer 18-jährigen Tochter María (María Cerezuela) widmet.

Regisseurin Icíar Bollaín (Und dann der Regen, Rosas Hochzeit), die das Drehbuch gemeinsam mit der Autorin Isa Campo verfasst hat, legt einen beeindruckenden ersten Akt hin, der mit einer Fokussierung auf den Täter Ibon endet: Signifikante, abrupte Übergänge führen von der Rückansicht Ibons im Unterschlupf zum Gerichtsprozess im Jahr 2004, in dem er gemeinsam mit seinen Mittätern lauthals gegen das „faschistische“ Spanien protestiert und verkündet, dieses Gericht nicht anzuerkennen. Von dieser tumultartigen Szene geht es in die Stille einer Justizvollzugsanstalt im Jahr 2010, in dem sich die Gegenwart des restlichen Films abspielt. Ibon wird mitgeteilt, dass sein Großvater, bei dem er aufgewachsen war, verstorben ist und er in eine andere Einrichtung verlegt wird. Unterdessen sucht die inzwischen ergraute Maixabel den erneut geschändeten Gedenkstein für ihren Ehemann auf.

Die Trauer der anderen

In diesen dicht aufeinanderfolgenden Szenen wirken Ibon und Maixabel wie Angehörige zweier konträrer Welten, die lediglich eine schreckliche Tat miteinander in Verbindung bringt. Maixabel erzählt im Folgenden davon, wie diese zwei Welten auf eine kaum für möglich gehaltene Begegnung zusteuern. Nach dem Tod seines Großvaters wird Ibon in eine Haftanstalt nahe seiner Heimatstadt verlegt. Die Haftbedingungen sind gelockert und erlauben ihm auch Freigänge zu seiner Mutter. In dieser Anstalt sind auch Ex-ETA-Mitglieder untergebracht, die sich öffentlich von der Organisation losgesagt haben. Ibon, der sich im Verlauf seiner Haft von der ETA und seinen Taten lediglich distanziert, aber nie gänzlich losgesagt hat, reagiert zunächst feindselig auf das Bemühen des Gefängnisdirektors, ihn dauerhaft in dieser Einrichtung unterzubringen. Trotz Reue für seine Tat will er weiterhin der ETA gegenüber loyal bleiben und besteht im Gespräch mit seinem einstigen Mittäter und nun Mithäftling Luis darauf, keinesfalls die Organisation schwächen zu wollen.

Schauspieler Luis Tosar verkörpert Ibon auf überragende Weise als einen Mann, der sich in der lange hinausgezögerten Auseinandersetzung mit seiner Tat allmählich öffnet. Dieser Darbietung steht die von Blanca Portillo als Maixabel in nichts nach, allerdings gerät das Drehbuch in der Porträtierung dieser beeindruckenden Frau mitunter an seine Grenzen und beschränkt sich dann auf rasch in Dialogsequenzen eingestreute Informationen zum erstaunlichen Engagement der realen Maixabel Lasa. Diese wurde nach dem Tod ihres Ehemannes zur Direktorin des „Amtes für die Betreuung der Opfer des Terrorismus“ und sorgte 2008 für Aufsehen, als sie diese Organisation für alle Opfer von Gewalt öffnete, was auch die Menschen mit einschloss, die Verluste durch die in den 1980ern operierende paramilitärische Antiterroreinheit GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación) betrauerten.

Maixabels Offenheit für die Auseinandersetzung mit den Folgen des Terrors und der gewaltsamen Einsätze gegen separatistische Bewegungen wird auf die Probe gestellt, als ein Opfer-Täter-Programm ihr die Möglichkeit zu Gesprächen mit den Mördern ihres Ehemannes bietet. In ihrer Umgebung wird bald die Frage verhandelt, ob solch ein Dialog überhaupt angebracht sein kann. „Du hilfst ihnen dabei, sich selbst zu verzeihen“, wirft etwa ein einstiger Parteifreund von Juan Marí Maixabel vor, die dennoch willens ist, Luis und Ibon zu treffen.

Diese Gespräche nehmen im Film schließlich eine zentrale Rolle als so schmerzhafte wie konstruktive Begegnung ein. Ohne Melodrama stellen sie dar, was zehn Jahre nach einer solchen Tat beiderseits bleibt: Die Gewissheit, dass diese das einstige Leben aller Beteiligten unwiederbringlich aus den Fugen gebracht hat und niemals vollends vergeben werden kann. Dass aber auch ohne Vergebung und Wiedergutmachung so etwas wie Heilung erfolgen kann. Das zeigt schließlich das eindrucksvolle Ende von Maixabel, das sich am Gedenkstein von Juan Marí Jáuregi abspielt – kurze Zeit nachdem die ETA 2011 die Einstellung ihrer bewaffneten Aktivitäten bekanntgegeben hat.

Info

Maixabel Icíar Bollaín Spanien 2021, 115 Minuten

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