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Kino | Held dank Instagram


Link [2022-03-31 09:54:12]



Asghar Farhadis neuer Film „A Hero“ erzählt den schwierigen Fall eines Instagram-Helden im Iran

Eine Frau in Todesangst sitzt mit ihrem Kind vor einem Büro. Ihre Angst bezieht sich jedoch nicht auf das eigene Leben; ihr Mann wurde zum Tode verurteilt und soll wohl in Kürze hingerichtet werden. Das Büro, vor dem sie wartet, gehört keinem Anwalt, keinem Richter. Hier werden Spendengelder generiert und verwaltet. Es ist das Büro einer Wohltätigkeitsorganisation, deren Vorsitzende gerade darüber entscheiden muss, ob sie eine größere Spendensumme dazu einsetzt, das Leben des Inhaftierten zu retten oder die Schulden eines anderen Mannes zu begleichen, der aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Was wiegt schwerer – das Leben des einen, oder die Existenz des anderen Mannes?

In den Filmen von Asghar Farhadi geht es jedoch nie um eindeutige moralische Statements. Seine Welt besteht weniger aus gut und böse, richtig oder falsch, sondern aus komplexen Beziehungsgeflechten zwischen in der Regel wohlmeinenden, aber fehlbaren Bürgern. Man könnte auch sagen, Farhadi erzählt von ganz normalen Menschen und dem Missverhältnis zwischen deren eigenen Vorstellungen und den Wirklichkeiten der anderen. Die Geschichte mit dem zum Tode verurteilen Mann steht daher in seinem neuesten Film A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani auch gar nicht im offenkundigen Zentrum, aber dazu später.

Im Zentrum von A Hero steht Rahim Soltani (Amir Jadidi), ein freundlicher Mann Mitte 30, der auch viel Zeit vor Büros verbringt, in denen jemand über ihn entscheidet. Sein Lächeln ist sowohl gewinnend als auch melancholisch. Vielleicht setzt er es auch deshalb etwas zu oft auf, weil er glaubt, dass es die Menschen auf der anderen Seite der Schreibtische entwaffnet – und wenn nicht, lässt ihm dieses Lächeln angesichts einer nicht gewährten Haftentlassung, eines nicht gegebenen Kredits oder enttäuschten Vertrauens zumindest ein wenig Würde.

Für einen Sack voll Münzen

Rahim sitzt im Gefängnis, weil sich sein Geschäftspartner aus dem Staub gemacht hat, mit Geld, das er sich als geschiedener Vater eines zehnjährigen Jungen bei einem Verwandten seiner Ex-Frau geliehen hatte. Die fälligen Raten konnten nicht bezahlt werden, Rahims Gläubiger, der Kopierladenbesitzer Bahram, zeigte ihn an. Nun ist ein Wunder geschehen. Rahims Freundin Farkhondeh hat eine Handtasche mit Goldmünzen gefunden. Während eines zweitägigen Hafturlaubs sollen mit dem Gold die Schulden bezahlt werden, um die Haft zu verkürzen und damit die beiden endlich heiraten können. Doch nach der ersten Euphorie meldet sich Rahims Gewissen. Er macht die Besitzerin der Tasche ausfindig und gibt sie ihr zurück, mitsamt den Münzen. Als die Gefängnisleitung davon erfährt, geht sie an die Öffentlichkeit und präsentiert ihren Musterhäftling als moralisches Vorbild für die Gesellschaft. Ein Held ist geboren.

Entsprechend wurde der Original- und internationale Titel des Films gewählt: Ghahreman. A Hero, ein Held halt. So weit, so schlicht. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Vor der Kamera eines TV-Senders erzählt Rahim seine Geschichte, leicht bearbeitet. Weil sein Verhältnis mit Farkhondeh noch ein heimliches ist, gibt er an, er selbst habe die Tasche gefunden. Dass sich sein Gewissen erst so richtig gemeldet hat, nachdem ein Goldhändler für die Münzen wesentlich weniger bezahlen wollte als erhofft und sich Bahram weigerte, eine Teilzahlung seiner Außenstände zu akzeptieren, fällt unter den Tisch. Zu viel Details passen eben nicht in die Story des Tages, die auch über Instagram eifrig geteilt wird.

Plötzlich wird Rahim überall erkannt, in der Stadt beim Freigang, was ihm schmeichelt, aber auch im Gefängnis, wo ihm ein Mithäftling misstrauisch im Nacken sitzt. Rahims Geschichte ist längst nicht mehr seine eigene, sie ist als Heldengeschichte kollektiviert. Eine Wohltätigkeitsorganisation unter Vorsitz der resoluten Madame Radmehr organisiert sogar eine Spendengala, um für Rahims Schulden aufzukommen. Und so langsam wird aus Rahims gewinnendem Lächeln ein Gewinnerlächeln.

Er findet Gefallen an seinem öffentlichen Bild und beginnt sich in ihm zu verlieren. Wenn da nur nicht dieser Journalist einer Tageszeitung wäre, der Beweise für die Heldengeschichte einfordert. Die Frau, die die verlorene Handtaschen mit den Goldmünzen wiederbekommen hat, soll als Zeugin auftreten, ist aber nicht mehr auffindbar. Als es zu einem handgreiflichen Streit im Kopierladen kommt, ist Bahrams Tochter zur Stelle, filmt Rahims wütenden Ausbruch und droht, das Video über Instagram zu teilen.

Kreative Lösungen und immer weniger Skrupel sind gefragt, damit nicht nur die Gefängnisleitung, sondern auch Madame Radmehr ihren Ruf wahren kann. An letzterem hängt eben auch die einzige Hoffnung jenes zum Tode Verurteilten, der offenbar unter Umständen freigekauft werden kann, wenn man nur die nötigen Mittel besitzt. Und wer kein Geld hat, dem bleibt als Einzelnem, so eine der bitteren Pointen dieser Geschichte, nur eine Zurichtung des eigenen Lebens auf den Geschmack der Massen, um am Leben zu bleiben.

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani nennt der deutsche Filmverleih Asghar Farhadis Film. Der Titel Ein Held wäre beim anvisierten Publikum möglicherweise auf Skepsis gestoßen, denn Heldengeschichten tatsächlich auch so zu benennen, überlässt man dann doch lieber den Multiplexkinos mit ihren Superhelden (und den dazugehörenden Marketingstrategen, die auch hierzulande immer selbstverständlicher die Grenzen zwischen Werbung und Nachrichten verwischen und in ihren „Storymaschinen“ willig News und Narrative durcheinanderwürfeln). Entsprechend betont die Pressemitteilung zum Film dann auch nicht, dass A Hero, ein typischer Farhadi-Film, einmal mehr als romantische Tragikomödie mit Elementen aus Sozialdrama, Satire und Thriller (auch) einfach sehr gut unterhält. Hier ist A Hero: „Humanistisches Kino, das gleichermaßen politisch ist – und sich nie dazu hinreißen lässt, Helden zu küren und Schurken zu verdammen“.

Falls das die Menschen nicht umgehend ins Kino locken sollte, wird zusätzlich mit einem Zusatztitel Interesse beim Bildungsbürgertum geweckt, der auf einen erfolgreichen Klassiker referiert. Und so provoziert der Verweis auf Heinrich Bölls erfolgreichsten Roman Die verlorene Ehre der Katharina Blum auch einen inhaltlichen Vergleich. Bei Böll, in der BRD Mitte der 1970er Jahre, war es der emotionalisierende, mit Zuspitzungen, Auslassungen und Mutmaßungen operierende Boulevardjournalismus, der Katharina Blum die Ehre kostete.

Bei Farhadi, im Iran der Gegenwart, greifen diese Methoden des professionellen Storytellings über in die Selbstdarstellungen von staatlichen Institutionen und Privatpersonen. Instagram wäre demzufolge eine Art Bild-Zeitung für die Westentasche, inklusive Vertrieb und Chefredaktion. So könnte man in der Tat eine Aussage von A Hero auf den Punkt bringen und gegebenenfalls auch aus den unterschiedlichen Konsequenzen, die Katharina Blum und Rahim Soltani aus dem Verlust der eigenen Ehre gezogen haben, Rückschlüsse auf ihre soziokulturelle Prägung ziehen.

Aber auch in der gegenwärtigen politischen Lage stellt A Hero zwingende Fragen zur Zeit. Zum einen hat im Iran Ende März ein seit Jahren angekündigtes „Schutzgesetz“ eine weitere parlamentarische Hürde genommen. Hier könnte nun bald auch das Umgehen der staatlichen Überwachung von Facebook, Whatsapp und Telegram durch die Nutzung von VPN-Apps unter Strafe gestellt werden. Vor allem aber droht das Verbot von Instagram, der extrem populären und auch für die Wirtschaft essentiell gewordenen Plattform. Welche Folgen hätte das für die iranische Gesellschaft?

Zum anderen erleben im Zuge des Krieges gegen die Ukraine Begriffe wie „Heldentum“ und „Patriotismus“ in Deutschland auch jenseits von Multiplex und Marketing eine Renaissance. Ausgerechnet die Bild-Zeitung startet einen eigenen Telegram-Kanal, um mehrsprachig gegen Fake News aus dem Pro-Putin-Lager vorzugehen, während, wie unlängst geschehen, ein einziges Handy einer russischsprechenden Frau aus Euskirchen reicht, um mit einem frei erfundenen, angeblich von ukrainischen Flüchtlingen verübten Mord, die Tiktok-Community in Wallung zu versetzen. Wie lassen sich unter diesen Umständen die Grenzen zwischen Nachrichten und Storys schärfer ziehen? Woher nehmen wir die Zeit, um auf Bilder, Videos, Schlagzeilen und Zeitungsartikel nicht gewohnheitsmäßig im Affekt zu reagieren?

Info

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani Asghar Farhadi Iran / Frankreich 2021, 127 Min.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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