Arts / Culture >> Der Freitag


Kino | Film über Bettina Wegner: Kleine Hände, große Stimme


Link [2022-05-21 23:13:39]



Lutz Pehnert schaut mit der Liedermacherin Bettina Wegner auf deren Ost und West verschränkendes Leben zurück

Dima ist sechs. Er hat Raketenangriffe auf Kiew erlebt. Nun steht er im Berliner Kinderatelier Farbklang und malt. Er malt viele große Feuer. Dann übermalt er sie wieder. Er gehört zur jüngsten Generation kriegstraumatisierter Kinder in dieser unserer Welt. „Sind so kleine Hände“, sang Bettina Wegner einmal für Kinder wie ihn. 1979 bekam sie dafür als ostdeutsche Sängerin eine Goldene Schallplatte von der westdeutschen Musikindustrie. Jahrelang wollte sie es nicht mehr singen. Es schien zu vielen Menschen zu gefallen, die auch von Schlagern wie Ein bischen Frieden ergriffen waren. Die Punkband Daily Terror machte daraus „Sind so kleine Biere ...“ und die Fascho-Kapelle Spreegeschwader dichtete den Refrain in „Das sind unsere Kinder, unser höchstes Gut, schützt unsere Kinder, schützt unser Blut“ um. Denen konnte sie es gerichtlich verbieten lassen, aber für die Punks und die Kinder von heute singt sie es wieder.

Schlicht Bettina heißt der neue Film von Lutz Pehnert über die 1947 geborene Sängerin. Früher einmal nannte man sie eine Liedermacherin. Und das ist sie im eigentlichen Sinn des Wortes. Sie macht Lieder und singt sie. Der Film ist eine Art Liederbuch mit Bildern. Oder ein Bilderbuch mit Liedern. Wir sehen Schwarzweiß-Fotos, Ausschnitte aus Sendungen des DDR-Fernsehens, von ARD und ZDF, und aktuelle Bilder von Orten, die für Wegners Leben wichtig sind. Wie etwa die Backsteingebäude der ehemaligen Relaisfabrik, in die Bettina zur Bewährung arbeiten gehen musste.

Das Bilderbuch folgt der Chronologie ihres Lebens. Die Kapitel sind mit Zeilen aus Wegners Lied Gebote überschrieben: „Lauter schreien, wenn andere schweigen“ zum Beispiel für die Zeit um 1968. Sie protestierte mit Flugblättern gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings und wurde verhaftet. Der Film wird immer wieder per O-Ton aus der Gerichtsverhandlung gegen die junge Sängerin unterbrochen. Staatsanwältin und Richter befragen und verurteilen eine 21-jährige Mutter, die ihnen schüchtern, aber in keinem Moment unterwürfig Rede und Antwort steht. Diese Dialoge geben einen prägnanten akustischen Ausdruck für das paternalistische und autoritäre Verhältnis des DDR-Staats zu seinen BürgerInnen in den 1960er-Jahren.

Hündin Laika als Metapher

Es macht sich gut, Bettinas Büchlein Gebote mit für den Film ausgesuchten Liedtexten und Gedichten dabei zu haben. Die Liedermacherin schreibt Zeilen, die einen singbaren Rhythmus haben, wo sich „Mäßigung“ auf „Katzensprung“ reimt oder „toter Regen, der fällt“ auf „von Raketen umstellt“. Wie das Kleine-Hände-Lied wurde auch das irgendwann nur noch belächelt. Und jetzt? Der Klimawandel ist der neue, der schlimmere „saure Regen“ und die Kernraketen stehen bedrohlicher denn je.

Bettina hatte seine Premiere zur Berlinale im Februar dieses Jahres. Wenige Tage später begann der Krieg in der Ukraine. Zum Kinostart im Mai nun kann man diesen Film nicht mehr nur als ein Beispiel für das Genre des biografischen DDR-Bewältigungsfilms nehmen, wie wir ihn in den vergangenen Jahren etwa mit Protagonist*innen aus der Familie Brasch und dem mit ihr verbundenen Personenkreis gesehen haben. Thomas Brasch selbst hat einen Auftritt in Pehnerts Film. Bettina und er proben mit anderen (man erkennt Peter Hacks) ein Programm gegen den damals gerade erst begonnenen Vietnamkrieg. Brasch schlägt einen Text vor, der die Kosmonautenhündin Laika als Metapher nimmt. „In einer Kugel aus Metall, dem besten, das wir besitzen, fliegt Tag für Tag ein toter Hund um unsere Erde. Als Warnung, dass so einmal kreisen könnte, Jahr für Jahr um die Sonne, beladen mit einer toten Menschheit, der Planet Erde, der beste, den wir besitzen.“ Die da sitzen sind zumeist kaum älter als zwanzig. Der vergangene Krieg steckte ihnen allen in den Knochen. Und heute ist der Krieg, der nie ganz weg war, wieder nahe und wird den Dimas und ihren Altersgenossen für immer in den Knochen stecken.

Noch etwas an dem Film weist hinaus über den engen Rahmen deutsch-deutscher Geschichte. Er ist das Porträt einer Frau, die in den Geschlechterverhältnissen ihrer Zeit befangen ist und gegen die sie opponiert. „Für den sich meine Haut verbrennt / der Hackfleisch aus mir macht / sterb ich genau in dem Moment / wo er darüber lacht“ (1976). Wegner drückt vor der Kamera zum Beispiel die Beziehungsanbahnung zwischen Thomas Brasch und ihr heute so aus: „... und hat ja ooch allet jeklappt, wie er wollte.“ Im Westberliner Bethanien performt Bettina 1983 ihr Lied Ach, wenn ich doch als Mann auf diese Welt gekommen wär. „Das, was ich denk und sage, würde ernst genommen / weil niemand dächte, dass ein Weib nicht denken kann.“ Seit sie fünfzig ist, so erzählt sie, lebe sie nun allein.

Vielsagend sind Filmsequenzen, die uns die inzwischen 73-jährige Künstlerin Bettina Wegner bei den Proben mit ihrer Band L’art de Passage auf der Bühne des Theaters am Rand im Oderbruch vorstellen. Bettina spricht hier nicht in die Kamera, sie zeigt sich als Frau und Künstlerin, die einfach arbeitet. Aber da scheint auch eine Überlebende all dieser großen politischen und „kleinen“ alltäglichen Bedrückungen des 20. Jahrhunderts zu agieren. Lebendig, aber „entwurzelt“, wie sie selbst sagt.

„Im Niemandsland hab ich ein Zimmer / Ich wohn darin, und nichts ist meins / Ganz sicher leben andre schlimmer / Nur ein Zuhause hab ich keins.“

Info

Bettina Lutz Pehnert Deutschland 2022, 107 Minuten

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



Most Read

2024-09-18 20:40:55