Kaum war das vom slowenischen Parlament beschlossene Fracking-Verbot Anfang Mai in Kraft getreten, traf der Brief einer Londoner Anwaltskanzlei bei der Regierung in Ljubljana ein. Darin stand: Sollte das Verbot beibehalten werden, müsse sich das Land bald vor einem internationalen Schiedsgericht erklären und mit hohen Entschädigungszahlungen rechnen. Versandt wurde das Schreiben im Namen der britischen Öl- und Gasfirma Ascent Resources, die in Slowenien Konzessionen für ein Gasfeld besitzt. Tatsächlich stehen die Chancen von Ascent nicht schlecht, das Verfahren zu gewinnen. Denn es findet nicht vor einem ordentlichen Gericht statt, sondern vor einem geheimen Schiedsgericht.
Dort können ausländische Investoren (und nur diese) hohe Entschädigungszahlungen fordern, wenn sie glauben, ein Staat habe sie ungerecht behandelt. Die Zahlungen sind nicht gedeckelt und schließen oft hypothetische zukünftige Gewinne ein. Berufungsmöglichkeiten gibt es kaum und die Urteile sind weltweit durchsetzbar. Geführt und entschieden werden die Verfahren von drei dafür berufenen Personen, oftmals private Wirtschaftsanwälte.
Die Klage von Ascent gegen Slowenien basiert auf dem Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, ECT), ein Handels- und Investitionsabkommen aus den 1990er-Jahren, dem über 50 Länder aus Europa und Asien angehören – darunter Deutschland. Auch die Bundesrepublik wurde bereits viermal unter dem Abkommen verklagt, dabei zweimal vom Energiekonzern Vattenfall: zunächst wegen Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg und kurz darauf wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach Fukushima. Beide Male standen Milliarden auf dem Spiel und beide Male verhandelten Vattenfall und die Bundesregierung einen Vergleich, bei dem Zugeständnisse gegenüber dem schwedischen Energieriesen gemacht wurden.
Undemokratische SchiedsgerichteDie Zivilgesellschaft kritisiert diese Schiedsgerichtsklagen seit vielen Jahren, weil sie die Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente umgehen und es Staaten erschweren, im öffentlichen Interesse zu agieren. Jetzt drohen sie die Bekämpfung der Klimakrise entscheidend zu behindern. Denn mit Klagen (oder nur ihrer Androhung) können sich fossile Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit bereichern oder den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen verzögern. So klagen beispielsweise die Energiekonzerne RWE und Uniper auf Basis des ECT gegen die Niederlande auf eine Milliardenentschädigung für den Kohleausstieg bis 2030. Die Bundesregierung hat nach Presseanfragen zugegeben, dass die ungewöhnlich hohen Entschädigungen für die deutschen Braunkohleunternehmen (4,35 Milliarden Euro!) auch mit deren Klagemöglichkeiten unter dem ECT zusammenhängen.
Während viele Investitionsschutzabkommen Konzernklagen gegen Staaten ermöglichen, sticht der ECT dadurch hervor, dass er bisher deutlich mehr Klagen hervorgebracht hat und wesentlich mehr fossile Reserven und Infrastruktur „schützt“ als jeder andere Vertrag. Allein in Europa deckt der Vertrag fossile Vermögenswerte von fast 350 Milliarden Euro! So warnte auch der jüngste Bericht des Weltklimarats vor den Auswirkungen des ECT auf die Klimapolitik. Über 300 Abgeordnete aus ganz Europa fordern in einem offenen Brief einen Austritt.
Im Juni findet eine Konferenz der ECT-Mitgliedsstaaten statt, auf der über die Ergebnisse eines seit zwei Jahren laufenden Reformvorhabens abgestimmt wird. Bundesregierung und Europäische Kommission hatten Anforderungen gestellt: Der Vertrag müsse pariskompatibel gemacht und die undemokratischen Schiedsgerichte ersetzt werden. Dies ist nicht gelungen: Es ist bereits abzusehen, dass fossile Brennstoffe über viele Jahre geschützt bleiben sollen. Über Entschädigungszahlungen an Investoren werden auch in Zukunft drei private Wirtschaftsanwälte entscheiden.
Somit bleibt Bundesregierung und EU nur eine Option, wenn sie das Pariser Klimaabkommen und den Europäischen Green Deal ernst nehmen: sofortiger Ausstieg aus dem fossilen Dinosaurier ECT! Sonst drohen die Temperaturen auf ein prähistorisches Niveau zu steigen.
Fabian Flues ist bei der NGO Powershift für Handels- und Investitionspolitik zuständig
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2024-11-10 08:45:05