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Interview | „Was uns betrifft“


Link [2022-01-22 19:40:11]



Johanna-Maria Fritz und Maurice Weiss trennen 30 Jahre. Für beide Fotograf:innen stellt sich die Frage: Was können und dürfen unsere Bilder erzählen?

Johanna-Maria Fritz erscheint auf dem Bildschirm. In Kathmandu ist es früher Abend, sie sitzt in einer Daunenjacke im Hotelzimmer, ihr ist kalt. Die Nacht zuvor hat sie im Dschungel verbracht. Ihr Tag, erzählt sie, begann damit, dass sie vor einem Elefanten wegrannte, der den Beinamen „Killer“ trägt. Nicht angenehm, „aber natürlich der perfekte Abschluss für die Geschichte“. Fritz wird am nächsten Tag zurück nach Berlin reisen, von dort zur Familie in Süddeutschland, dann einmal mehr nach Afghanistan, davor vielleicht noch in den Libanon, für einen Job. In ihrem Profil auf der Seite der Agentur Ostkreuz steht: „Johanna-Maria Fritz wohnt offiziell in Berlin.“ Von Maurice Weiss sehen Fritz und ich erst mal nichts, er sagt: „Ich suche noch einen Parkplatz, ohne Funkloch“, dann hören wir das Tacktack eines Blinkers. Weiss erscheint im Fahrersitz auf dem Bildschirm, auch er trägt eine Jacke, ab und zu wird er die Autotür öffnen, damit der Rauch einer Selbstgedrehten abziehen kann. Wo er jetzt steht? „Auf dem Parkplatz von einem McDonald’s an der holländischen Grenze.“ Weiss kommt aus Heiligenhaus bei Essen, zwei Stunden hatte er dort heute Morgen Zeit für ein Porträt. Die nächste Station ist Brüssel, er ist mit Frans Timmermans, den er 2019 im Europawahlkampf fotografiert hat, und dessen Team zum Abendessen verabredet.

Weiss und Fritz sind Fotograf:innen der Agentur Ostkreuz, jener selbstverwalteten Agentur, die 1990 sieben ostdeutsche Fotograf:innen, darunter Sibylle Bergemann, Ute und Werner Mahler und Harald Hauswald, gründeten, um ihr Geschick nach der Wende in die eigenen Hände zu nehmen. Weiss ist 57 Jahre alt, Fritz 27, sie gehören zur zweiten und dritten Ostkreuz-Generation. Wenn man wissen will, ob das einen Unterschied macht, kann man direkt in Nepal anfangen.

Maurice Weiss: Warst du im Kaiser-Café, Johanna?

Johanna-Maria Fritz: Das ist gerade zu.

Weiss: Schade, das ist ein verzauberter Ort, ein wunderschöner Park, man fühlt sich wie in einer Filmkulisse.

der Freitag: Wann waren Sie zuletzt in Nepal, Herr Weiss?

Weiss: Vor zwei Jahren.

Gibt es Generationen-Unterschiede, wenn man als Fotograf:in an den gleichen Ort reist?

Fritz: Maurice hat Verpflichtungen zu Hause, ich nicht.

Weiss: Genau, da fängt’s an.

Das heißt, Sie waren nicht, wie Frau Fritz, für einen Monat dort?

Weiss: Nein, aber ich habe die Hoffnung: Wenn die Kinder aus dem Haus sind, wird das wieder anders sein. Mein Sohn hat gerade Abitur gemacht. Ich fühle mich wieder freier, sonst wäre ich jetzt nicht hier: unter einem Funkmast vor einem McDonald’s auf dem Weg nach Brüssel.

Muss jede Generation für sich neu ausloten, was sie von der Fotografie will?

Weiss: Ich finde es spannend, dass die Gründergeneration, also Ute und Werner Mahler und Harald Hauswald, den jüngsten Mitgliedern der Agentur in vielen fotografischen Aspekten näher sind als der mittleren Generation. Die Jungen vertrauen dem Medium Fotografie wieder mehr, und sie sind experimentierfreudiger und sozial und politisch engagierter. Die machen Hoffnung und geben Impulse. Die machen einfach, legen los und sind erfolgreich. Die mittlere Generation erscheint mir manchmal zermürbt und desillusioniert nach den vielen Krisen im medialen Umfeld. Die Umstellung von analog zu digital – wer in den letzten 25 Jahren Fotograf war, hat viele harte Umbrüche in seinem Beruf erlebt.

Wie sehen Sie das, Frau Fritz? Sind Sie da freier?

Fritz: Ja, aber ich probiere auch einfach noch aus. Meine freien Arbeiten fotografiere ich analog im Quadrat, die Reportagen digital.

Weiss: Ihr seid themengetrieben, ihr erzählt immer von dem, was ihr macht. Das ist toll. Einige aus der mittleren Generation, vor allem die Männer, flüchten in Gespräche über Technik oder formale gestalterische Kriterien, nicht hilfreich und wenig spannend.

Fritz: Das ist für mich Foto-Community-Fachsimpelei. Das beschäftigt mich wirklich nada.

Wie ist das mit den Themen? Steht man als jüngere Fotografin vor dem Problem, dass vieles abgegrast ist?

Fritz: Wenn mich ein Thema interessiert, dann recherchiere ich, was dazu schon gemacht wurde. Und wenn es die eine Hammerarbeit dazu gibt, bin ich natürlich geknickt. Hexen in Rumänien zum Beispiel. Aber dann fotografiere ich das eben anders. Nicht bewusst, sondern einfach so, wie ich es mache. Ich glaube, dass alle Themen schon gemacht wurden, das stört mich nicht.

Hatten Sie Phasen, Herr Weiss, in denen Sie dachten, das war alles schon mal da?

Weiss: Während der Corona-Zeit hatte ich die Gelegenheit, für einige Projekte und Reportagen intensiv mit dem Auto durch Deutschland und Europa zu fahren, von Moskau bis zum Mittelmeer, abseits der großen Zentren. Was alles schon mal da war, weiß ich nicht, aber ich spüre in den Landschaften und im Umgang mit den Menschen Veränderungen. Ich kann es nicht näher beschreiben, aber als Beispiel: Unser Verhalten im Internet hinterlässt auch in der Landschaft seine Spuren. Logistikzentren, die in ganz Europa entlang der Magistralen in großer Geschwindigkeit wachsen, gleichzeitig nimmt die Zahl der sozialen Räume wie Cafés, Restaurants und so weiter gefühlt massiv ab. Das ist schwer abzubilden, wie sich generell viele gesellschaftliche Veränderungen heute nicht mehr im sichtbaren Bereich abspielen. Dafür eine Sprache zu finden, einen fotografischen Zugang zu entwickeln, das Unsichtbare sichtbar zu machen, das ist immer wieder neu und spannend.

Zur Person

Johanna-Maria Fritz, 1994 in Baden-Baden geboren, fotografiert vorwiegend im Nahen Osten. Seit 2014 arbeitet sie an einer Reihe zur Zirkuskultur mit Fokus auf islamische Länder. Sie hat an der Ostkreuzschule studiert und ist seit 2019 Mitglied der Agentur

Das war 1989/1990 einfacher.

Weiss: Sicher, östlich und westlich der Mauer gab es unterschiedliche Oberflächen, es war scheinbar leichter, die Unterschiede und den Wandel abzubilden, weil der Wandel im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar war. Aber es ist müßig, Epochen und Zeiten zu vergleichen. Jetzt gerade empfinde ich wieder einen Epochenwechsel. Es fällt zwar keine Mauer, aber meine Unbeschwertheit der nuller Jahre ist weg. Seit Beginn der Pandemie beschleunigen sich Veränderungen, in Politik, Wirtschaft etc. Ich würde mich gern, wie ein August Sander vor 100 Jahren, auf die Suche nach den Menschen des 21. Jahrhunderts machen.

Was treibt Sie an, Frau Fritz?

Fritz: Ich bin nicht auf der Suche nach etwas Speziellem. Ich gehe Sachen nach, die ich erzählenswert finde. Ich war kurz vor und nach dem Machtwechsel in Afghanistan, aber ich habe auch davor viel Zeit dort verbracht. Ich finde die IS-Themen in Kurdistan und Nordsyrien spannend. Die Leute wurden irgendwie vergessen. IS-Kämpfer hocken seit Jahren in den Camps, dort sind Kinder, die jahrelang nicht rauskönnen, das ist der beste Nährboden für Terrorismus. Es passiert nicht so viel, aber irgendwann flammt das wieder auf. Ich finde das auch wichtig, weil es uns betrifft.

Wir diskutieren viel darüber, ob sich Aktivismus und Journalismus zu sehr vermischen. Wird diese Debatte auch in der Fotografie geführt?

Fritz: Ja, aber wenn ich Menschen treffe, die Hilfe brauchen, versuche ich zu helfen und mache nicht nur ein bescheuertes Foto. Ich verknüpfe Leute mit Organisationen wie dem Roten Kreuz oder habe auch schon selbst Geld gesammelt und ihnen geschickt. Mit vielen von ihnen habe ich noch Kontakt, das ist mir wichtig.

Wie ist das bei Ihnen, Herr Weiss?

Weiss: Ich beobachte, dass ich und meine Kolleg:innen bei Corona- oder Pegida-Demonstrationen selbst zur Zielscheibe werden. Mit der Kamera ist man leicht als Vertreter:in der „Lügenpresse“ zu identifizieren. Bei meinen Reisen war ich in vielen unangenehmen, unberechenbaren Situationen, etwa auf dem Tahrir Square während des Arabischen Frühlings oder im Tschad. In einer Diktatur oder in Krisengebieten als „israelischer Spion“ angegangen zu werden, ist für einen Fotografen normal, darauf ist man vorbereitet. Von seinen Mitbürgern als „Lügner“ und „Systemhure“ beschimpft und angegriffen zu werden, ist für viele von uns neu. Plötzlich müssen wir uns und unser Selbstverständnis als Journalisten, Zeitzeugen, Fotografen verteidigen. Die bequeme Position, als neutraler Beobachter nicht involviert zu sein, ist nicht mehr zu halten. Man rutscht in die Rolle des Aktivisten. Ich habe bei der ersten großen Corona-Demo am 18. November 2020 Fotos gemacht, nicht am Brandenburger Tor, wo die rechten Schläger waren, sondern an der Marschallbrücke, wo sehr durchschnittlich wirkende Leute von der Polizei weggetragen wurden. Sie zeigen oberflächlich etwas, das wir seit den 1960ern kennen: David gegen Goliath, hier friedliebende Bürger, dort die brachiale Staatsmacht. Erlebt habe ich etwas anderes. Das Aggressionspotenzial der Demonstranten wird nicht sichtbar. Ich habe die Bilder daher nicht freigegeben. Irgendwann möchte ich bei Ostkreuz zur Diskussion stellen, was wir damit machen.

Zur Person

Maurice Weiss, geboren 1964 in Perpignan, ist einer der wichtigsten Chronisten des Mauerfalls und der Umbrüche, die folgten. Die Hauptstadtpolitik und ihre Protagonist:innen sind heute neben freien Arbeiten sein primäres Sujet. Er ist seit 1995 bei Ostkreuz

Muss man sich als Fotograf:in heute auch selbst anders hinterfragen?

Fritz: Als ich die Hexe in Rumänien fotografiert habe, eine Roma-Frau, kam mir von selbst der Gedanke: Warum mache ich das jetzt, wie kann ich mir anmaßen, dieses Thema zu fotografieren? Aber im nächsten Moment dachte ich: Warum nicht? Ich habe mich sehr stark mit ihr auseinandergesetzt, mich auch genau darüber mit ihr unterhalten und mich vor Ort mit Aktivistinnen getroffen. Den Text für das Buch hat die Künstlerin Delaine Le Bas geschrieben, eine Roma, die auf der Biennale in Venedig im ersten Roma-Pavillon eine lange Performance zum Thema Hexen gemacht hat. Ich habe versucht, zu zeigen: Das ist eine Frau, die aus einer patriarchal strukturierten Gesellschaft kommt, eine sehr starke Frau, das ist eine positive Geschichte. So geht es für mich.

Weiss: Ich war mit Alexander Smoltczyk vom Spiegel vergangenes Jahr in der Lausitz. Er kam mit einer etwas seltsamen These: Die von der Braunkohle, das sind Dinosaurier. Wir haben dann festgestellt, das sind keine Dinosaurier, das ist eine Gesellschaft im Umbruch, und zwar im dritten innerhalb einer Generation. Daraus wurde „Demokratie an der Abbruchkante“. Als ich die Bilder bei Ostkreuz gezeigt habe, wurde mir von einigen Kollegen vorgeworfen: So wäre der Osten nicht, wie ich mir anmaßen könne, den Osten so zu fotografieren. Da war ich perplex, das war unsere Perspektive nach einer langen Recherche. Unser Beitrag sollte ein Mosaikstein für eine Diskussion über den immer noch andauernden Umbruch in der Lausitz sein.

Spielte es in den 90ern keine Rolle, ob man Wessi oder Ossi war?

Weiss: Für die Auseinandersetzung rund um die Fotografie spielte das keine Rolle.

Hat sich die Frage „Wer bin ich?“ früher nicht gestellt?

Weiss: Die Frage stellt sich immer und mit jedem Lebensabschnitt neu. Die Frage „Wer bin ich?“ ist für den Umgang mit Themen und Menschen ein ganz entscheidender Aspekt. Als Fotograf:in muss ich wissen, was ich bei meinem Gegenüber mit meiner eigenen Präsenz auslöse. Ich nenne es die Psychologie des Raumes, als Fotograf:in trägt man eine Verantwortung den Protagonist:innen gegenüber.

Fritz: Mich stört es nicht sonderlich, wenn ich mich verteidigen muss. Weil ich denke, dass diejenigen, die diese Kritik üben, sich ihr ganzes Leben lang verteidigen müssen, dafür, wie sie aussehen, wie sie heißen. Ich finde es wichtig, dass es diesen Anstoß gibt.

Was ist mit Bildern, die den Ausnahmezustand, in dem wir alle uns seit Beginn der Corona-Pandemie befinden, auf den Punkt bringen – gibt es die schon?

Weiss: Um das beurteilen zu können, braucht man zeitlichen Abstand. Welche Bilder sich zum Schluss ins kollektive Gedächtnis einprägen, hängt von unendlich vielen Faktoren ab, auf die zumindest die Fotograf:innen den geringsten Einfluss haben. Ein Beispiel: In 30 Jahren sind mir vier oder fünf Bilder gelungen, von denen ich vermute, dass sie mich überleben werden. Die sind alle in den 1990ern entstanden. Was von meiner aktuellen Arbeit bleiben wird, werden meine Kinder in 30 Jahren beurteilen können. Während der ersten Corona-Welle ist mir vielleicht ein Bild gelungen. Ich war sechs Wochen lang auf einer sogenannten Corona-Todesstation und konnte sehr viel Zeit mit den verzweifelnden Ärzten und dem erschöpften Klinikpersonal verbringen. Mein Bild zeigt einen weißen Raum, im unteren Teil sieht man eine Bettdecke und zwei Nasenlöcher und eine Hand, die nach oben greift. Eigentlich ein einfaches Bild, aber es hat extreme Reaktionen ausgelöst, vielleicht gerade weil nicht so viel zu sehen ist und im Kopf des Betrachters eigene Bilder ausgelöst werden. Vielleicht hat Johanna jetzt in Afghanistan Bilder gemacht, von denen man in zehn Jahren sagen wird: Hier, in dieser Fotografie, verdichtet sich alles – der besiegte Westen, die Ohnmacht der Afghanen und so weiter. Das ist das, was ich am Medium Fotografie so schätze: Was bleiben wird, ist nicht berechenbar. Welche Bilder unserer Zeit in Zukunft relevant sein werden, darauf haben wir Fotograf*innen keinen Einfluss.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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