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Interview | PEN Berlin: „Bitte sei in unserer Mitte“


Link [2022-06-17 22:31:23]



Der PEN sei seiner Aufgabe, bedrohten und bedrängten Schriftsteller:innen zu helfen, nicht mehr nachgekommen, sagt Jan Fleischhauer. Mit der Autorin Simone Buchholz hat er daher einen neuen PEN mitgegründet, mit dem sich alles ändern soll

Vergangenen Freitag gründete sich im Literaturhaus Berlin offiziell der PEN Berlin und vollzog damit nach viel Tumult die Spaltung vom „alten PEN“. Der alternative Literaturverband, den der umstrittene ehemalige PEN-Präsident Deniz Yücel nun mitgegründet hat, will keine Konkurrenz sein, sich aber den gleichen Zielen widmen: der Unterstützung verfolgter Autor:innen und der Verteidigung der Meinungsfreiheit. Sieht man sich die politisch heterogene Liste der Gründungsmitglieder an, wird klar, es wird Debatten geben. Zwei von ihnen sind die „linke“ Krimiautorin Simone Buchholz und der „konservative“ Publizist Jan Fleischhauer.

der Freitag: Frau Buchholz, Herr Fleischhauer, „der PEN ist tot, es lebe der PEN“, das Ganze wirkt schon etwas destruktiv, oder?

Simone Buchholz: Die alte Struktur nur zu zerstören, wäre destruktiv gewesen. Aber eine neue Struktur aufzusetzen mit Ideen und Grundsätzen, die eine moderne Struktur braucht, ist doch sauber, nicht destruktiv.

Aber Sie, Herr Fleischhauer, Sie verteidigen doch sonst das Alte gegen das Neue. Sind Sie altersmilde geworden?

Jan Fleischhauer: Sie führen mich in Versuchung, sozusagen der bedrängten Minderheit zur Seite zu stehen. Die armen Säcke und Säckinnen in Darmstadt! Andererseits können die doch ihren PEN noch in hundert Jahren machen.

Sorgt die Spaltung nicht für noch mehr Provinzialität?

Buchholz: Ach, so ein PEN Gelsenkirchen wäre doch auch ganz schön, damit der Westen mehr vorkommt. Nein, im Ernst. Die Mitgliederliste mit so unterschiedlichen Personen wird uns noch ganz schön testen. Ich glaube nicht, dass wir uns gegenseitig verzwergen. Wenn wir das schaffen, um was es uns geht, nämlich verfolgten Kolleg:innen zu helfen, dann kann das die Marke PEN eigentlich nur stärken.

Mit einem Blick auf die Mitglieder und die Tatsache, dass Julian Assange gleich zum Ehrenmitglied ernannt wurde: Sind Sie schon wieder unter Linken gelandet, Herr Fleischhauer?

Fleischhauer: Wenn ich mir die Mitgliederliste ansehe, ist das wohl so. Das ist vermutlich mein Lebensschicksal. Ich finde es jedenfalls begrüßenswert, dass der neue PEN unter Diversität nicht nur die Sammlung möglichst vieler Namen versteht, die irgendwie „fremdländisch“ klingen, sondern auch Diversität der Meinungen und Anschauungen.

Muss man bei so viel politischer Heterogenität nicht befürchten, dass es beim neuen PEN mehr um Debatten gehen wird als um die schnöde Verbandsarbeit?

Fleischhauer: Das fände ich ja geradezu komisch, wenn aus dem PEN so eine Art Debattierclub würde. Nein, da unterstütze ich Frau Buchholz, es geht darum, denen zu helfen, die wirklich bedrängt und bedroht sind. Das war ja auch der Grund von Deniz Yücel und anderen, zu sagen, mit den Strukturen beim alten PEN konnte diese Arbeit nicht mehr richtig geleistet werden.

Buchholz: Aber natürlich werden wir Debatten führen müssen. Wie das aussehen kann und wofür wir stehen, kann ich vielleicht ganz gut mit einer Geschichte illustrieren. Der Kollege Alexandru Bulucz und ich sprangen noch während der Gründungsversammlung auf und in ein Taxi zum Flughafen, um Dmitry Glukhosvky in Empfang zu nehmen, der seit ein paar Tagen auf der Kreml-Fahndungsliste steht. Da haben wir vom PEN Berlin gesagt, erste Amtshandlung, den holen wir ab. Und im Taxi redeten wir sofort über Literatur. Das war PEN Berlin „in a nutshell“.

Diese Abholung von Glukhovsky war ein guter PR-Coup. Glukhovsky lebt aber seit geraumer Zeit in Westeuropa. Ist es das, was vom PEN Berlin zu erwarten sein wird? Nette PR?

Buchholz: Das war ein gelungener PR-Coup, das stimmt, aber das war so überhaupt nicht gedacht. Er ist zwar ein Weltbürger, der braucht uns nicht, aber vielleicht brauchen wir ihn. Vielleicht möchten wir ihm signalisieren, bitte sei in unserer Mitte, sei unser Kollege.

Zu den Personen

Foto: Sven Simom/Imago Images

Jan Fleischhauer ist Publizist und Autor, als Kolumnist geliebt und gehasst. War von 1989 bis 2019 beim Spiegel, seit 2019 beim Focus. Er ist Gründungsmitglied des PEN Berlin und seit März Mitglied der Bürgerinitiative Wolodymyr Selenskyj Platz e. V.

Foto: Gerald von Foris/Suhrkamp Verlag

Simone Buchholz, abgebrochenes Germanistikstudium, Henri-Nannen-Schule, lebt mit Mann und Sohn im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Hier spielen auch ihre femi- nistischen Polit-Krimis. Im PEN Berlin wird sie dem elf- köpfigen „Board“ angehören

Einer der Anlässe, die zum Streit im alten PEN führten, war, dass Deniz Yücel sich für eine NATO-Flugverbotszone über der Ukraine ausgesprochen hatte. Wie frei wird die Debatte im neuen PEN sein?

Fleischhauer: Also ich fand den Vorwurf an Yücel gleich merkwürdig. Dass man sich einmischt und die Stimme erhebt, das finden doch sonst immer alle gut. Leute wie Böll oder Grass sind jede Woche mit einem Vorschlag um die Ecke gebogen, was die Politik jetzt unbedingt tun müsse. Und nun kommt einer mal mit einem anderen politischen Vorschlag, und alle stehen kopf.

Buchholz: Vielleicht konnte man sich in den 1990er Jahren zurücklehnen und sagen, wir müssen uns nicht einmischen. Ich kann mit politischer Zurückhaltung in der Kunst nichts anfangen. Und ich möchte, dass immer mehr sagen, ich habe ein Mikrofon, ich spreche da auch rein für all die, die nicht gehört werden.

Fleischhauer: Das ist doch auch ein Ergebnis dieses ganzen Kladderadatsches: Dass überhaupt über den PEN geredet und geschrieben wird – eine Organisation, von der man irgendwie wusste, dass sie da ist, aber oft nicht genau, was sie tat in den letzten 30 Jahren.

Wie läuft das mit der Finanzierung beim PEN Berlin? Wollen Sie die 600.000 Euro Förderung für das Writers-in-Exile-Programm dem alten PEN streitig machen?

Buchholz: Klares Nein. Wir bekommen jeden Tag unterschiedlichste Hilfsangebote. Hier steht ein Anwalt, da ein Coach, da eine Pressefrau. Das alles passiert gerade, deshalb werden wir auch die Finanzierung schaffen.

Frau Buchholz, als Mitglied des Boards haben Sie offenbar Ihre Rolle gefunden. Sie, Herr Fleischhauer, können wir uns nicht so recht bei der Vereinsmeierei vorstellen. Täuscht das?

Fleischhauer: Im Leben jedes Deutschen kommt der Punkt, wo er einem Verein beitritt. Ich war bislang einmal in meinem Leben Vereinsmitglied, das war bei der Atlantikbrücke. Da bin ich dann allerdings wegen Säumigkeit bei den Mitgliedsbeiträgen relativ schnell wieder rausgeflogen. Ich freue mich jetzt erst mal auf den großen Gründungskongress im November.

Eine konkrete Position oder Funktion haben Sie noch nicht?

Fleischhauer: Nein. Aber wenn der PEN mich ruft, bin ich natürlich da. Vielleicht Schatzmeister? An mir soll’s nicht liegen.

Gibt es denn eine große Fluktuation zwischen dem alten und neuen PEN?

Buchholz: Ich habe keinen Überblick, wer jetzt beim alten aus- und bei uns eingetreten oder in beiden ist. Aber wir haben sehr viele Gründungsmitglieder, die vorher nicht im PEN Darmstadt waren, wir sind auch im Schnitt sehr viel jünger. Als ich vor zwei Jahren dem PEN Darmstadt beitrat, war ich als 48-jährige, weiße Heterofrau schon frischer Wind.

Fleischhauer: Ich wäre beinahe noch in den alten PEN eingetreten, auf Einladung von Yücel. Es ist der Wahnsinn, wie hoch die Aufnahmehürden sind. Man muss nicht nur einen Antrag stellen, über den die Mitgliederversammlung abstimmt, man braucht auch noch zwei Charakterzeugen, die für einen bürgen. Heribert Prantl hat für mich ein Bürgenschreiben aufgesetzt. Das war so nett, da sind mir die Tränen der Rührung die Wangen runtergelaufen beim Lesen. Aber es kam dann nicht mehr zum Antrag. Beim PEN Berlin war die Aufnahme einfacher.

Vielleicht zu einfach?

Fleischhauer: Da kann man drüber nachdenken. Aber so einfach ist es ja auch nicht.

Buchholz: Genau. Man muss sich auch bei uns bewerben oder man wird vorgeschlagen. Der Vorschlag geht ans Board, das wird in der Regel eine Empfehlung an die Mitgliederschaft abgeben. Wer mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt, ist drin. Also das ist ein eher demokratisches Verfahren.

Politische Fragen könnten auch bei der Unterstützung verfolgter Schriftsteller eine Rolle spielen. Sieht man sich die Diskussionen über Antisemitismus zum Beispiel an, dürfte es schwer werden, immer einen Vorzeige-Exilanten zu finden, der mit allem, was in Deutschland als Konsens gilt, d’accord geht. Das wird eine Herausforderung, oder?

Buchholz: Ganz sicher! Aber da kann ich für mich sagen, für die Meinungsfreiheit lohnt es sich zu kämpfen, solange sie auf gutem Boden steht. Und dieser Boden ist – ich weiß, Konservative hassen den Trick – Empathie und Respekt für alle Pflanzen, die da wachsen, auch die etwas zarten.

Fleischhauer: Aber liebe Frau Buchholz, wenn wir den Empathietest einführen wollen für Schriftsteller, für die wir uns einsetzen, fällt mir sogar der ein oder andere Nobelpreisträger ein, der dann Schwierigkeiten gehabt hätte mit dem PEN Berlin. Thomas Mann zum Beispiel, ein besonders empathischer Mensch war der nicht.

Buchholz: Nennen Sie mich gegenwartsbesessen, aber Thomas Mann hat in einer anderen Zeit gelebt. Empathie ist für mich eine Grundvoraussetzung, um Literatur zu produzieren.

Fleischhauer: Aber das ist ja etwas anderes. Aber Empathie als Voraussetzung dafür, dass Schriftsteller das Recht auf Meinungsfreiheit wahrnehmen? Wenn ich so meine literarischen Vorbilder durchgehe, Leute, an denen ich mich als Kolumnist festhalte, wenn mir kein guter Satz einfällt, dann sind das Karl Kraus, Anton Kuh, Alfred Polgar, Alfred Kerr. Kerr war zwischenzeitlich der verhassteste Mensch in Berlin. Keiner von denen stand mit beiden Beinen auf der Empathie.

Buchholz: Wo sind denn da die Frauen bei Ihren Vorbildern?

Es war eine andere Zeit?

Fleischhauer: Es war immer eine andere Zeit. Und Frau Buchholz führt jetzt den Empathiemeter ein.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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