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Interview | „Männlich, sehr weiß“


Link [2022-02-08 15:13:57]



Zwei Philosophinnen wollen die rassistischen Denkweisen ihrer Zunft kritisch aufarbeiten

Diskussionen über Rassismus waren in Deutschland lange von den Erfahrungen des Holocaust und der NS-Geschichte geprägt. Mit dem Blick auf den deutschen Kolonialismus und das Leben schwarzer Menschen hierzulande hat sich die Perspektive erweitert. In den USA forscht man zum Thema seit Langem. Kristina Lepold und Marina Martinez Mateo sind die Herausgeberinnen des Sammelbands Critical Philosophy of Race, der erstmals einschlägige Texte in deutscher Sprache zugänglich macht. Die Schreibweisen „weiß“ und „Schwarz“ waren von den Autorinnen so gewünscht und sie betonen, dass es ihnen nicht darum geht, ganze „Denktraditionen über Bord zu werfen“.

der Freitag: Was macht dieses Nachdenken über „race“ zu einem Thema der Philosophie?

Marina Martinez Mateo: Selbstverständlich denken auch andere Disziplinen über Rassismus und „race“ nach. Was die „Critical Philosophy of Race“ auszeichnet, ist eine Auseinandersetzung, die zwar von konkreten sozialen und politischen Verhältnissen ausgeht, die aber gleichzeitig systematisch vorzugehen versucht. Dazu gehört dann auch die Frage, wie die Philosophie der Etablierung von rassistischem Denken Vorschub geleistet hat, also eine kritische philosophiehistorische Analyse.

Ihr Sammelband trägt den Titel „Critical Philosophy of Race“. Sie haben sich gegen eine Übersetzung und damit den deutschen Begriff „Rasse“ entschieden. Warum?

Kristina Lepold: Wir haben uns für den englischen Ausdruck „race“entschieden, weil der deutsche Rasse-Begriff die Vorstellung von Gruppen aufruft, die durch eine Reihe von körperlichen, intellektuellen und kulturellen Eigenschaften charakterisiert sind und die sich so angeblich voneinander unterscheiden lassen. Solche Gruppen gibt es bekanntlich nicht. „Race“ ist ein offenerer Begriff. Er wird zum Beispiel auch im Rahmen sozialer Kämpfe verwendet und dient hier dazu, Prozesse der „Rassifizierung“ in der Wirklichkeit sichtbar zu machen.

Die versammelten Aufsätze benennen ein grundlegendes Dilemma: Einerseits sind Prozesse der Rassifizierung eine soziale Tatsache. Andererseits ist „race“ als (natur-)wissenschaftliche Kategorie nicht zu halten. Wie gehen die Philosoph:innen damit um?

Martinez Mateo: Genau, erst einmal ist es wichtig, das so festzuhalten: Wenn man über Rassismus spricht, dann arbeitet man mit Kategorien, deren Realität im gleichen Zug infrage gestellt werden soll. Das ist der Ausgangspunkt eines rassismuskritischen Denkens, mit dem Philosoph:innen unterschiedlich umgehen. Ein Denker wie Kwame Anthony Appiah löst das Paradoxon auf eine eliminative Weise auf: Wenn es „race“ oder Rasse nicht gibt, so Appiah, dann sollten wir den Begriff nicht mehr verwenden. Sally Haslanger hingegen findet wichtig, über die soziale Realität von „race“ zu sprechen. Entscheidend ist aber für all diese Bestimmungen, dass es ihnen nicht darum geht, neutrale Begriffe zu definieren, um dann damit zu arbeiten. Stattdessen ist schon die philosophische Bestimmung des „race“-Begriffs selbst Teil der Arbeit an einem kritischen Verständnis rassistischer Verhältnisse.

Dabei spielt das Moment der Sichtbarkeit oder der Unsichtbarkeit in vielen Aufsätzen eine wichtige Rolle ...

Martinez Mateo: Die spezifische Form der Sichtbarkeit, die mit dem weißen Blick auf den Schwarzen Körper zusammenhängt, liegt darin, dass sie „markiert“. Eine Art Brandmarkung also, die Wissenschaft nennt das „Markierung“. Ein Aufsatz im Band beschreibt, wie die Markierung als nicht weiß oder nicht weiß genug oder Schwarz durch eine Weise des Blicks zustande kommt, wie der Körper zum Objekt gemacht wird. Diese Form der Sichtbarkeit im rassifizierenden weißen Blick führt dazu, dass man als Person unsichtbar bleibt. Es ist Teil des philosophischen Projekts, genauer zu bestimmen, wie diese Markierung funktioniert.

Zu den Personen

Foto: Robin Hinsch

Marina Martinez Mateo ist in Barcelona geboren und studierte Politikwissenschaft und Philosophie. Seit Herbst 2021 lehrt sie als Juniorprofessorin für Medien- und Technikphilosophie an der Akademie der Bildenden Künste München

Foto: privat

Kristina Lepold ist Juniorprofessorin für Sozialphilosophie/Kritische Theorie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr mit Marina Martinez Mateo herausgegebener Sammelband Critical Philosophy of Race ist im Dezember bei Suhrkamp erschienen (332 S., 16 €)

Sichtbarkeit und Blick berühren ein weiteres Feld: Rassifizierung funktioniert vielfach über Bilder und spezifische Ikonografien. Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?

Martinez Mateo: In seiner Analyse von Lynch-Fotografien zeigt José Medina zum Beispiel, wie sich die weiße Mehrheitsgesellschaft bildlich inszeniert und sich als weiße abgrenzt, indem sie sich ikonografischer Motive der Jagd und des bürgerlichen Familienporträts bedient. Zugleich wurde Gewalt gegen Schwarze Menschen mithilfe solcher Fotografien normalisiert. Die Produktion von Rassismus beschränkt sich allerdings nicht auf die Ikonografie, sondern geht einher mit einer sprachlichen Einbettung. So analysiert Medina auch Fotografien von weißen und Schwarzen Menschen nach dem Hurrikan Katrina. Bei fast identischen Fotos wurden weiße Personen auf der Suche nach Essen neutral beschrieben, während Schwarzen Personen unterstellt wurde, Lebensmittel zu „rauben“.

Lassen Sie uns jetzt auf den deutschen Kontext schauen: Inwieweit setzt sich die deutsche Philosophie mit den Fragen von „race“ und Strategien der Rassifizierung auseinander?

Lepold: Es ist tatsächlich so, dass die philosophische Auseinandersetzung mit „race“in Deutschland noch am Anfang steht. Das hat meines Erachtens zwei Gründe. Einerseits ist die deutsche Philosophie wie die Philosophie generell nicht nur eine relativ männliche, sondern auch eine sehr, sehr weiße Disziplin. Da haben also durchaus lange Zeit entsprechende Perspektiven und Erfahrungswelten gefehlt. Zugleich scheint es schon noch oft die Haltung zu geben, dass die Philosophie sich eher mit dem Allgemeinen und nicht mit „bloß“ empirischen Fragen beschäftigt und dass Rassismus ein rein empirisches Phänomen ist. Natürlich muss man Rassismus mit empirischen Mitteln untersuchen, aber zugleich gibt es hier auch einige interessante und, wie ich finde, ziemlich wichtige Arbeit für Philosoph:innen zu tun.

Hat das auch damit zu tun, dass in Deutschland die Auseinandersetzung mit Rassismus lange eher auf den Antisemitismus fokussiert war?

Lepold: Die Gründe, warum man sich in der breiteren Öffentlichkeit bislang wenig mit Rassismus und Kolonialismus beschäftigt hat, sind vielfältig. Wenn man sich anschaut, wie etwa jahrzehntelang mit den berechtigten Forderungen der Herero und Nama umgegangen wurde, dann scheint das zum Beispiel wesentlich mehr mit politischem Unwillen zu tun zu haben.

Martinez Mateo: Wichtig ist auch, das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus genauer in den Blick zu nehmen. Beides sind Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Formen der Rechtfertigung von Diskriminierung und Gewalt. Nichtsdestotrotz ist deren Funktionsweise im Einzelnen unterschiedlich. Es geht darum, die Unterschiede und Zusammenhänge zu verstehen.

Philosophen wie Kant und Hegel werden derzeit wegen rassistischer Passagen in ihren Werken kritisiert. Wie lässt sich vermeiden, dass im Überschwang einer „race“-Philosophie gleichzeitig die ganze Denktradition des deutschen Idealismus über Bord gekippt wird?

Martinez Mateo: In der Tat ist die kritische Aufarbeitung von rassistischen Implikationen und Aussagen in Werken der Philosophiegeschichte ein wichtiges Anliegen in der „Critical Philosophy of Race“. Ich kenne aber niemanden, der oder die vorschlagen würde, ganze Denktraditionen oder Positionen über Bord zu werfen. Im Gegenteil: Die rassismuskritische Analyse trägt ja selbst auch zu einem besseren Verständnis dieser Werke und Theorien bei und erlaubt einen umfassenderen und differenzierteren Blick auf diese. Zugleich sind viele der kritisierten Autor:innen für die Erarbeitung rassismuskritischer Positionen wiederum auch enorm wichtig. Charles Mills etwa entwickelt einen „Black Radical Kantianism“ – und auch Hegel spielt für viele rassismuskritische Denker:innen eine wichtige Rolle. Es geht also vielmehr um einen kritischen, darin aber durchaus auch konstruktiven Umgang mit philosophiegeschichtlichen Ressourcen.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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