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Im Gespräch | „Wenn ältere Frauen begehren ...“


Link [2022-06-17 22:31:23]



Junger Mann, alte Frau: Nicolette Krebitz erzählt in ihren Filmen von Beziehungen, die auf harte Abwehr stoßen

Ein sonniger Vormittag, das Treffen findet am Holzmarkt nahe dem Berliner Ostbahnhof statt. Nicolette Krebitz sitzt im weißen T-Shirt auf einer Terrasse, unten fließt die Spree. Sie wirkt offen, zugewandt, ernst. „Stört es Sie, wenn ich rauche?“, fragt sie. Krebitz hat seit ihrer Kindheit in mehr als 60 Kino-und Fernsehfilmen mitgespielt, darunter Bandits und Unter dir die Stadt. Mit Jeans drehte sie 2002 ihren ersten eigenen Film, für Wild wurde sie 2017 auch international als Regisseurin gefeiert. Ihr neuer Film, der ab kommender Woche in den Kinos zu sehen ist, lief dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale.

der Freitag: Frau Krebitz, Ihr Film „AEIOU“ ist leicht, mit einem Hauch Südfrankreich. Als ich rauskam, war ich aber seltsam schwermütig. Weil man ahnt, diese Liebe zwischen einer älteren Frau und diesem sehr jungen Mann ist nur ein Traum. Ist es ein Märchen?

Nicolette Krebitz: Für mich ist es kein Märchen, eher eine Aufforderung an uns alle, uns ein bisschen zu bewegen. Diese Welt aus dem Film, die wir so schön finden, in der sind wir ja noch nicht! Es ist der Versuch einer Manifestation. Ich hab mich ja selbst erschrocken, als ich die ersten Bilder von Emmanuel Macron und seiner Frau gesehen habe. Und mich gefragt: Was ist denn mit mir los? Ich bin noch immer kurz irritiert, wenn ich in der Bunten das Bild eines prominenten Mannes sehe, der mit einer Gleichaltrigen zusammen ist. Wie ungewöhnlich!

Es gibt bei Männern weniger Vorbehalte, wenn sie mit einer Jüngeren zusammen sind.

Und umgekehrt habe ich beobachtet, dass fast aggressiv darauf reagiert wird, wenn Frauen sich das herausnehmen. Man kann das an den Reaktionen auf das berühmte Liebespaar Sam Tayler Wood und Aaron Johnson sehen ...

Die Regisseurin und der Schauspieler, die sich 2009 beim Film „Nowhere Boy“ kennengelernt haben, da war er 19 und sie 42.

Ja. Wer ein Youtube-Video von den beiden sieht, in dem sie über ihre Filme sprechen, der sieht auch die Kommentare darunter. Das ist direktes Mobbing. Da geht es richtig ab.

Es ist ein gesellschaftliches Tabu?

Anscheinend. Es gibt eine Art Abwehr Frauen gegenüber, die jenseits ihrer Fruchtbarkeit Begehren äußern – auch in der Art, wie sie in Filmen dargestellt werden. Diese Abwehr zeigt sich entweder als direkte Aggression oder als Vermeidung, Nichterzählen, Naserümpfen. Es wird nicht gern gesehen, dass ältere Frauen begehren, als sei es irgendetwas Schmutziges. Im Theater oder in der Werbung genauso, Frauen kommen als sexuelle Wesen jenseits der fünfzig gar nicht vor. Meine Mutter hat mal gesagt, ich möchte keine Rundfunkgebühren zahlen, weil ich mich von den Öffentlich-Rechtlichen nicht repräsentiert fühle. Das hat mir sehr zu denken gegeben.

Die beiden im Film trennt das Alter und die soziale Herkunft.

Ich habe bei meinen Recherchen herausgefunden, dass die „Etabliertheit“ des älteren und das „Noch-nicht-Angekommensein“ des jüngeren Partners in allen Beziehungen eine Rolle gespielt hat. Das wird häufig mit „Vater- oder Mutter-Komplex“ abgetan. Dabei geht es um einen Selbstwert, den der jüngere Partner für sich noch nicht gefunden hat und es in der spätkapitalistischen Welt, in der wir leben, auch schwer kann. Der Ältere sagt: Das, was ich geschaffen habe, das kannst du gern alles haben. Es ist eine Art Deal. Diese sozialen Unterschiede werden bei Paaren mit großem Altersunterschied klarer verhandelt.

Ein unterschiedlicher Status ist nicht verpönt?

Weniger häufig. Und Tauschgeschäfte dieser oder anderer Art gibt es auch in Beziehungen zwischen Gleichaltrigen. Hier werden sie allerdings meistens geleugnet.

Die Nähe zwischen Ihren beiden Filmfiguren ist sehr körperlich, keine endlos geistreichen Dialoge à la „Harold and Maude“.

Sprache macht ja irre viel kaputt.

Sie erzählen in Ihren Filmen von „anderen Beziehungen“, die radikaler sind, als wir es sonst in Filmen und Serien sehen. In „Wild“ war es eine Frau, die mit einem Wolf zusammenlebt. Warum suchen Sie Grenzüberschreitungen?

Ich weiß aus meinem eigenen Leben, dass Unterschiede eine Liebe mehr befeuern als Gemeinsamkeiten. Würde ich eine Frau mit einem gleichaltrigen „ganz normalen“ Partner zeigen, würde sie sich mit den Konflikten auseinandersetzen müssen, die der momentane Konsens so vorgibt. In Beziehungen, in denen es noch keine Verabredungen und Vorbilder gibt, muss sie sich selber fragen, was will ich, wen und wohin will ich. Sie muss von sich selbst ausgehen und alles so gestalten, wie es ihr entspricht. Ich befreie sie so von einer Menge Ballast und auch Langeweile, denn mich interessiert erst mal ihr Wesen, und dazu gehören ihre Würde und ihr Mut, das Unerwartete und Unbekannte zu suchen, weil ich weiß, dass sie – ob stark oder schwach – interessant genug ist für das Kino.

Zur Person

Foto: Future Image/Imago Images

Nicolette Krebitz, geboren 1972 in Westberlin, absolvierte eine klassische und moderne Tanzausbildung, bevor sie auf die Schauspielschule „Der Kreis“ wechselte. Für ihre Arbeit als Schauspielerin und Regisseurin wurde sie mehrfach ausgezeichnet

Das wird ihr normalerweise nicht zugestanden?

Der Mann geht durch die klassischen drei Akte eines Films: mit einer Aufgabe, die ihm gestellt wird, seinem Sich-Widersetzen, dann der Erkenntnis, dass er es doch tun muss, und dem Showdown: Er schafft es. Die Frau ist begleitend, leidend oder unterstützend. Wenn sie selbst handlungstreibend ist, dann als Antagonistin. Das ist so fern von der Welt heute. Ich frage mich: Was sind Frauen heute, in welche Abenteuer stürzen sie sich? Wonach suchen sie? Das wird nicht abgebildet. Gleichzeitig sind wir die Hauptkonsumentinnen dieser Geschichten, wie Studien belegt haben. Sie werden uns Frauen aber aus der Hand gerissen. Mir geht es nicht um die Beschwerde, sondern um die Schönheit dieser Wege, das Unerwartete. Diese Gefühlswelten zeige ich eben in diesen „anderen“ Beziehungen, zum Wolf oder einem sehr jungen Mann.

Sie feiern im Film eine Bohème, das Zeitverschwenden, in den Tag leben. Ist das heute Luxus?

Ich habe mir erlaubt, eine Parallele zwischen Anna in AEIOU und den Frauen aus italienischen oder französischen Filmen der 60er-Jahre zu ziehen. Damals ging eine Zeit zu Ende, die Frauen verließen den Herd und die männlichen Filmemacher fantasierten darüber, was diese Frauen jetzt wohl alles anstellen würden. In Belle de Jour geht Catherine Deneuve heimlich ins Bordell, in Mademoiselle lässt sich Jeanne Moreau mit einem Waldarbeiter auf ein sexuelles Abenteuer ein. Der Fokus war auf das Verlangen dieser Frauen gerichtet. Der Blick blieb aber immer respektvoll und anbetungswürdig. Begehren wurde nicht negativ bewertet oder als etwas Schmutziges dargestellt. Das wurde später anders. In den 80ern, in denen allgemein ein Klima herrschte, in dem Zeit vor allem Geld bedeutet, wurde auch Sex im Kino härter und das Begehren hatte einen Preis.

Einmal sieht der junge Mann im Privatarchiv der Schauspielerin eine Talkshow aus den 70ern, in der sie damals zu Gast war. Da sitzen zwei Moderatoren, einer gespielt von Moritz Bleibtreu, und beurteilen lässig den Körper der Filmfigur.

Ja, und sie widersetzt sich, sie widerspricht ihm, was auch erklärt, wo sie heute mit ihrem Beruf steht. Sie muss Hörspiele machen, ist Sprachcoach. Weil das natürlich Konsequenzen hatte. Aber sie will nicht gefallen, sich dieser Außenwahrnehmung nicht unterwerfen. So ist auch Sophie Rois, die Anna spielt. Ich bewundere das.

Mit breitbeinigen Typen hat der Junge im Film nichts mehr am Hut. Inwiefern verkörpert er für Sie eine neue Männergeneration?

Er hat das Machohafte überwunden. Da denke ich zum Beispiel an meinen Sohn, der jetzt 18 ist. Ich wollte ihm mal eine Bühnenshow von Eddie Murphy zeigen, die ich in seinem Alter irre fand. Aber nach zwei Minuten sagte mein Sohn: „Mama, das ist ja ein Hassprediger, der ist homophob. Ein Frauenhasser. Das will ich nicht sehen.“ Und ich dachte, wow, diese Jungs sind schon ganz woanders. Auf die muss man achten und nicht immer an den Alten herumdoktern, die man sowieso nicht ändern kann.

Manche Männer könnten sich diskriminiert fühlen, „wir tun doch so viel, bringen uns ein“.

Es gibt natürlich Ausnahmen.

Wer sind Ihre Vorbilder?

Ich liebe die Filme von Valeska Grisebach zum Beispiel. Wie sie denkt und arbeitet, ist so bemerkenswert. Sie zeigt in ihren Filmen meistens gesellschaftspolitisch bedingte Risse in unserer Gesellschaft und Protagonisten, die tapfer und würdevoll versuchen, die dadurch bedingten Hindernisse zu überwinden. Sie verliert dabei nie diesen zärtlichen Blick, der Empathie verbreitet und Erkenntnis schafft. In älteren Filmen von Melville oder Antonioni kann ich auch immer wieder etwas Neues finden, das mich anspornt, formal noch genauer zu arbeiten. Wie Maria Schrader oder Jessica Hausner sich als Regisseurinnen international durchsetzen, macht mir Mut und gute Laune. Dann gibt es manchmal so Einzelfälle, wie den ersten Twilight-Film von Catherine Hardwick, wodurch ich bei der Schauspielerin Kristen Stewart hängen geblieben bin. Sie kommuniziert in ihren Rollen auf weitaus mehr Ebenen, als im Drehbuch zu finden sind. Mein Sohn hat mir mal das Drehbuch von Twilight geschenkt und ich könnte darüber ein ganzes Seminar halten.

Wie reagieren Kollegen auf Regisseurinnen wie Sie?

Ich muss daran denken, was mir Moritz Bleibtreu gesagt hat, den ich seit 30 Jahren kenne. Er sagte: „Ist schon irre, Coco, oder? Du musst hier am Set echt alles zwei- oder dreimal sagen, bevor das Team richtig reagiert. Das ist bei mir anders: Ich muss einmal etwas sagen und die Leute machen das.“ Er war sensibilisiert, vielleicht wegen der Talkshowszene, die wir da gedreht haben. Und ich dachte: Mir fällt das gar nicht mehr auf.

Welche Reaktionen gab es noch?

Ich werde als Schauspielerin von männlichen Regisseuren kaum noch besetzt – von Frauen schon. Das zeigt mir, dass mich diese Regisseure sehr wohl ernst nehmen, weil sie mich als Konkurrenz betrachten. Sie fühlen sich nicht mehr so frei, wenn ich am Set bin, das Geschehen beobachte. Vielleicht ist es eine Art Schulterklopfen, eine verquere Anerkennung.

Sie waren das ewige „Mädchen“, It-Girl, Stilikone von Berlin-Mitte.

Eine Projektionsfläche, eine Fantasie.

Wie schwer ist es, davon loszukommen?

Das macht das Alter von ganz allein (lacht). Ich habe mich damit nicht beschäftigt und mich nie so wahrgenommen. In meinem Kopf habe ich schon immer Regie geführt, auch wenn ich Rollen gespielt habe. Diese Idee, die ich seit meinem ersten Film Jeans verfolge, viel zu improvisieren, habe ich ein bisschen verlassen. Ich übertrage es jetzt auf mündige Schauspielerinnen. Nina Hoss, Lilith Stangenberg und Sophie Rois, das sind Kaliber. Die sind meinungsstark und kreativ. Klar brauche ich denen nicht erzählen, wie sie denken und spielen sollen.

Woher kommt Ihr Mut, sich das alles zuzutrauen?

Meine Mutter war alleinerziehend und berufstätig und ich sehr früh auf mich allein gestellt. Das hat mich einerseits selbstständig und mutig sein lassen, aber manchmal auch überfordert. Meine Taktik war dann, gedanklich auszusteigen und mir die Welt so zu bauen, wie ich sie gern hätte. Und daraus ist dann eigentlich mein Beruf geworden.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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