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Gospel | Ist jetzt Zahltag für diese Band?


Link [2022-05-21 23:13:39]



Vor fast 50 Jahren nahmen sieben Teenager ein Album auf, das hieß „When Do We Get Paid“. Über die Wiederentdeckung der Staples Jr. Singers aus Aberdeen, Mississippi

Bei Gospel Music ging es nie bloß um die Verbreitung der frohen Botschaft des Evangeliums. Dennoch sprachen viele Texte in biblischen Bildern, Glück und Erlösung waren scheinbar nur im Jenseits zu haben. Bis sich in den frühen 1970ern eine neue Generation gegenüber den weltlichen Einflüssen von Soul, Funk und R&B öffnete. Jetzt ging es in den Songs eher um den eigenen, von Ungleichheit geprägten Alltag und weniger um die Frage, ob die Straßen im Himmel mit Gold gepflastert sind. Gospel klang plötzlich funky und smooth – und Zweifler wurden zu Gläubigen. Oh Happy Day!

Die Compilation The Time For Peace is Now – Gospel Music About Us, eine Sammlung von obskuren 7-Inch-Singles, ausgegraben aus feuchten Kellern und staubigen Dachböden in den Südstaaten, gab 2019 einen ersten guten Einblick in diese praktisch komplett vergessene Szene. Einer der besten Songs des Albums, We Got A Race To Run, stammt von den Staples Jr. Singers. Die Band aus Aberdeen, Mississippi, bestand aus sieben minderjährigen Kindern der Familie Brown, die sich nach ihren Vorbildern The Staple Singers benannt hatten. Jedes Wochenende stiegen sie in den Familien-Van und tourten mit ihrem Vater durch die Kirchengemeinden des Bible Belt. An guten Tagen spielten sie drei Shows hintereinander, überwiegend in Gemeindesälen, manchmal auch in den Vorgärten der Nachbarschaft.

Bei einem Studiobesitzer in Tupelo nahmen die Staples Jr. Singers 1975 ihr erstes und einziges Album auf. Das New Yorker Label Luaka Bop, dem wir bereits die oben erwähnte Compilation verdanken, hat When Do We Get Paid nun wiederveröffentlicht. Vor allem wegen der erdigen Kraft dieser himmlischen Musik, klar. Doch dazu kommt auch ein gehöriges Staunen über die Energie einer bisher weitgehend unbekannten Szene: „Gruppen, wie die Staple Jr. Singers, existierten außerhalb der normalen Musikindustrie. Es gab damals zwar Labels, aber das waren keine Labels, wie wir sie heute kennen“, sagt Yale Evelev von Luaka Bop. „Diese Bands mussten ihre eigenen Konzerte organisieren, sich selbst vermarkten und Radiosender finden, die ihre Musik spielten. Der Aufwand, den sie betrieben, kannte keine Grenzen.“

Kirchen und Gemeindesäle

Dazu waren es blutjunge Teenager, die die melodisch raffinierten, aber dennoch pur klingenden Songs von When Do We Get Paid geschrieben und eingespielt haben. Get On Board, zum Beispiel, wird getragen vom kraftvollen dreistimmigen Gesang der Geschwister Annie, Edward und A.R.C. Brown, den Köpfen und Songschreiber*innen der Staples Jr. Singers. Jeder Takt des sanft schaukelnden Stücks scheint sich im Rhythmus des Mississippi zu wiegen. Nichts ist so gedrechselt und poliert, wie man es vom zeitgenössischen Soul kennt. Im Gegenteil: Jedes Gitarrenriff klingt scharf und pointiert, macht Spannungen hörbar, doch die sanfte Melodie verbreitet die zuversichtliche Hoffnung, dass sich etwas ändert, irgendwann, wenn nur genug Leute mit an Bord kommen. „It’s been a long time, a long time coming, but I know, a change gonna come“, versprach Sam Cooke schon 1964 – in dieser Bürgerrechts-Tradition stehen auch die Staples Jr. Singers.

Bis zu 700 Euro zahlten Plattensammler zuletzt für eins der wenigen noch verfügbaren Exemplare. Die Künstler*innen selbst haben daran kaum etwas verdient. Auf einem aktuellen Foto hält der inzwischen 63-jährige Edward Brown ein arg zerfleddertes und abgegriffenes Exemplar von When Do We Get Paid in den Händen. Es ist die einzige Platte, die sich noch im Besitz der Familie befindet.

Ende der 70er trennten sich die Wege der Geschwister. Ein Teil machte als Brown Singers weiter, Schwester Annie gründete mit ihrem Ehemann und den Töchtern die Caldwell Singers. Bis heute spielen die Familien fast jedes Wochenende in Kirchen und Gemeindesälen – ein Tonstudio haben sie seit den 70ern nicht mehr betreten. Warum auch? Der Sinn dieser Musik ist nicht die permanente Verfügbarkeit auf Spotify, sondern das gemeinsame Singen und Spielen für die Community.

Trotzdem haben sich die Staples Jr. Singers jetzt noch einmal zusammengetan, um die Wiederveröffentlichung ihres Albums zu promoten. Ende April reisten sie deshalb zum ersten Mal nach New York, wo sie an einem einzigen Tag drei Konzerte spielten, zwei davon umsonst. Ein Youtube-Video zeigt, wie traumwandlerisch die Band immer noch zusammenspielt. Und es ist berührend zu sehen, wie die Geschwister Annie, Edward und A.R.C. dasitzen und singen, alle über 60, alle enorm in die Breite gegangen – 40 Jahre sind sie nicht mehr zusammen aufgetreten. Menschen, die vielleicht irgendwo Autos reparieren oder einen kleinen Laden betreiben, die aber ganz gewiss nicht auf Instagram unterwegs sind oder sonst etwas von dem tun, was Popmusiker so tun. Ob sich When Do We Get Paid für sie diesmal auszahlt? Man wünscht ihnen eine späte Karriere, wie sie die alten Kubaner des Buena Vista Social Club genießen durften. Am liebsten aber würde man ihnen bei einem lokalen Gospel-Brunch in Mississippi zuhören.

Info

When Do We Get Paid The Staples Jr. Singers Luaka Bop/ Indigo 2022

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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