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Glosse | Der deutsche PENN und die Trinkerklappe: Mein Leben als Generalsekretär


Link [2022-06-11 14:42:41]



2004 gründeten Peter Wawerzinek und ich die „Poets, Essayists, Narcotics und Nonsens“. Einer „Bratwurstbude“ kam das sehr nahe. Bald kam es zur „Aktion Findeltrinker“ – und zur Spaltung in PENN Ost und PENN West

Lange her: Im Jahr 2004 gründeten der Dichter Peter Wawerzinek und ich den deutschen PENN. Von der Akademie der Künste Berlin hatten wir das „Alfred-Döblin-Stipendium“ abgestaubt, das gut dotiert war, aber auch zum Aufenthalt in Wewelsfleth, Schleswig-Holstein, verpflichtete – im alten Haus von Günter Grass. Und weil es vor und hinter den Deichen von Elbe und Stör mitunter sehr langweilig werden kann (das Land ist so flach, heißt es, dass man schon am Freitag sieht, wer am Sonntag zum Tee kommt), deshalb und weil wir keine Ideen hatten zum Romanschreiben, aber dennoch gerne Interviews geben wollten, gründeten wir am alten Wohnsitz des späteren Literaturnobelpreisträgers den deutschen PENN.

In meiner Erinnerung war das kein bewegendes historisches Ereignis, sondern eher dem Konsum diverser Destillate und Spirituosen geschuldet. PENN stand für Poets, Essayists, Narcotics und Nonsens. Der Kollege Wawerzinek war Präsident und ich sein Generalsekretär. Beide waren wir von der Mitgliedervollversammlung einstimmig gewählt worden, mit zwei Stimmen. Später trat unserem Dichterbund noch der Döblin-Stipendiat und Wessi Norbert Kron bei, was völlig neue Optionen eröffnete: wegen musikalischer Differenzen sollte sich der Verband jetzt teilen – in den PENN Ost und PENN West.

Meist Steaks, eher selten Würste

Und ganz ehrlich: Vielleicht werde ich nie wieder in meinem Leben so glücklich sein wie in meiner Amtszeit als Generalsekretär. Den deutschen PENN mit einer „Bratwurstbude“ zu vergleichen, käme der Wirklichkeit nahe; im Garten hinter dem Haus von Günter Grass haben wir oft und viel gegrillt, nur waren es eben Steaks und eher selten Würste. Im Gehöft gegenüber residierte damals der „Eulenhof“ einer Nachsorgeeinrichtung für Alkoholkranke. Gerd Gedig, der Chef, kam nach Feierabend gern für ein Bierchen zu uns rüber. Denn im Ort selbst konnte er nicht in die Kneipe gehen, er wäre dort sofort angesprochen worden. Wenn der Direktor einer Trinkerheilanstalt dem Alkohol frönt, ist das so als ob ein Polizist stiehlt. Und das geht gar nicht! Bei einem unserer geselligen Grillabende in der „Bratwurstbude“ kam dann die Idee auf, dass sich der deutsche PENN doch politisch engagieren möge. Und zwar vor Ort. So wurde die Idee mit der Trinkerklappe geboren. Im Folgenden bitte ich um Entschuldigung, aber weil ich Zeilenlohn bekomme, sei hier unser Aufruf noch mal in voller Länge dokumentiert:

„Aktion Findeltrinker – Keine Fragen. Keine Zeugen. Keine Polizei. Weil sie von ihren Frauen dort ausgesetzt wurden, erfrieren jeden Winter unter Deutschlands Brücken, in den Straßen und Parks hunderte Trinker. Jene wenigen, die durch Zufall überleben, werden meist in einem Zustand aufgefunden, der einer dringenden pflegerischen Versorgung bedarf.

Eine offizielle Statistik über die Aussetzung hilfloser Trinker gibt es nicht. Experten gehen davon aus, dass hierzulande die meisten Kältetoten volltrunken waren. Die Dunkelziffer ist vermutlich ungleich höher. Der Umgang mit Alkohol und seinen Opfern ist immer auch ein deutlicher Indikator dafür, wie es um eine Gesellschaft bestellt ist. Obwohl wir nicht in Grönland leben, erfrieren Menschen. Die Halbwertzeit zwischenmenschlicher Beziehungen hat in den letzten Jahren dramatisch abgenommen. Vor allem alte und arbeitslose Männer werden rigoros entsorgt. Um der gängigen Praxis des Wegschauens und Liegenlassens entgegenzutreten, hat der deutsche PENN gemeinsam mit dem Eulenhof die Aktion „Findeltrinker“ ins Leben gerufen. Sie besteht im Wesentlichen aus drei Bausteinen:

– Ab sofort ist rund um die Uhr eine bundesweit erreichbare Notrufnummer geschaltet. Unter: 04829-9226 erhalten Frauen, die sich mit ihrem trinkenden Lebensabschnittsgefährten überworfen haben, Beratung. Neben der Inanspruchnahme weitreichender Hilfsangebote kann in extremer Notsituation die anonyme Übernahme des Trinkers vereinbart werden. – Am 1. November 2004 wird in Wewelsfleth die weltweit erste Trinkerklappe in Betrieb genommen. Säufer können von ihren Frauen/Töchtern/Müttern aber auch der Nachbarin anonym abgegeben werden. Im Eulenhof erhalten die aufgefundenen Trinker umgehend medizinische Hilfe und in den kritischen ersten acht Wochen liebevolle Pflege. In dieser Zeitspanne kann der Trinker noch von seinen nächsten Angehörigen zurückgeholt werden. – Nach der achten Entzugswoche beantragen der PENN-Klub und der Eulenhof die vormundschaftliche Betreuung beim Amtsgericht. Zeitgleich kümmert sich ein Betreuerstab um die Vermittlung an Pflegegattinnen.

Die Aktion „Findeltrinker“ rettet Leben. Neben finanzieller Hilfe brauchen wir dringend ehrenamtliche Mitarbeiter, ganz besonders aber liebevolle Pflegegattinnen für die uns anvertrauten Trinker. Wir rufen nicht nach einer vollständigen Finanzierung durch den Staat. Der Schutz von Frauen und ihren trinkenden Partnern in Notsituationen ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Unser Projekt ist auf private Spenden angewiesen.

Spendenkonto: Karsten Krampitz , Konto 14309564 bei der Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00, Verwendungszweck: privat.

Neben der finanziellen Unterstützung benötigen wir dringend Schubkarren und warme Decken.

Wir wissen, keine Frau macht sich die Entscheidung leicht, sich auf diese Weise von ihrem Mann zu trennen. Ohnehin kann man das Leben des Trinkers nicht gegen, sondern nur mit der Ehefrau schützen. Eine Frau, die mit einem Trinker zusammengelebt hat, verdient höchsten Respekt. Nicht jeder Säufer ist ein Wunschtrinker. Die Inanspruchnahme unserer Trinkerklappe darf nur der letzte Ausweg sein, der es der Ehefrau oder Lebensgefährtin ermöglicht, straffrei zu bleiben.“

Ich weiß nicht, ob der ehemalige PENN West noch Bilder davon hat; wir hatten damals weder Handy noch Smartphone. Norbert Kron hat fotografiert. Und soweit ich mich erinnere, hatte Gerd Gedig in seinem Büro etliche Fotos davon auf seinem Rechner. Die Trinkerklappe, die wir in einer Werkstatt des Eulenhofs hatten bauen lassen, entsprach so gar nicht unseren Vorstellungen. Die Klappe sollte sich zu ebener Erde befinden, so dass die Frau den Trinker zur Not hineinrollen konnte. Stattdessen angefertigt war eine Art Schneewittchen-Sarg. In Kniehöhe! Ein paar Wochen lang befand sich die Trinkerklappe gut erreichbar am Seiteneingang der Eulenhof-Geschäftsstelle. Die Abgabe sollte völlig anonym geschehen:

Die Frau öffnet die Klappe, das Helfersyndrom wird aktiviert, sie bettet ihren Mann, schließt die Klappe und entfernt sich. Hinter der sich schließenden Klappe befand sich ein Wärmebettchen, für das wir noch einen Sponsor suchten, aber nie fanden. Nach diesem Vorgang jedenfalls sollte der Wachdienst alarmiert sein. Über eine eingebaute Webcam wäre die Situation erfasst worden, um einen Missbrauch auszuschließen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Klappe zu, Säufer lebt

So war das. Klappe zu, Säufer lebt. Der CDU-Bürgermeister war zur feierlichen Eröffnung gekommen. Er sagte zu mir: „Hören Sie! Da wird doch niemand gerettet. Sie bringen die Ehefrauen doch erst auf die Idee, ihre Männer hier zu entsorgen.“ – Was für ein kluger Mann, dachte ich. Mit dem Argument hätte er mal bei der Hamburger Babyklappe Einspruch erheben sollen (der Kinderschutzbund und Terre des hommes haben das übrigens getan). Der deutsche PENN war seinerzeit seiner Zeit voraus. Ich bin mir sicher, dass in der Gegenwart viele Frauen unser Hilfsangebot annehmen würden.

Die Jahre vergingen, der PENN West wurde mit meiner Ex glücklich und unser Präsident schrieb Bücher zum Thema Kontrolliertes Trinken. Auf Facebook habe ich einmal gelesen, bei einem Titanic-Redakteur: „Wer von kontrolliertem Trinken spricht, hat das Prinzip Alkohol nicht verstanden.“ Da ist was dran. Irgendwann muss der Spaß aufgehört haben. Im Literaturbetrieb hat sich dann doch noch ein Plätzchen für uns gefunden. Wie ich jetzt las, gehört Peter Wawerzinek jetzt zu den Gründungsmitgliedern des PEN Berlin, während ich immer noch Mitglied beim PEN Darmstadt bin. Beide, glaube ich, waren wir schon mal weiter.

Karsten Krampitz ist Schriftsteller, Journalist und Kolumnist des Freitag.

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