Politics >> Der Freitag


Gastbeitrag | Unter dem Ölteppich


Link [2022-02-09 20:59:11]



Ölkonzerne verschmutzen die Umwelt armer Regionen und feiern Rekordgewinne an den Börsen. Die Klimabewegung muss einen Weg finden, Widerstand zu leisten. Zwei Aktivist*innen erklären, wie das funktionieren kann

Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen der vergangenen Wochen könnte den Eindruck erwecken, das Jahr 2022 hätte für die Ölindustrie nicht besonders gut begonnen: In Perú verantwortete der spanische Konzern Repsol Mitte Januar eine schwere Ölkatastrophe, nachdem bei einem Tankerunfall tausende Barrel Öl ausgelaufen waren. Bilder der verseuchten Strände gingen um die Welt, das südamerikanische Land rief den Umweltnotstand aus. Nur wenige Tage später erlebte auch das benachbarten Ecuador eine schwere Krise. Mitten im Amazonasregenwald beschädigte ein Erdrutsch eine Pipeline. Mehr als eine Million Liter Öl sickerten zunächst ungehindert in die umliegenden Gebiete aus.

Nahezu zeitgleich häuften sich auch Meldungen aus dem Osten Thailands. Nach einem Leck in einer Unterwasserpipeline hatte sich ein rasant ausbreitender Ölteppich gebildet, die Regierung musste die bei Tourist*innen beliebten Traumstrände der Region Rayong schließen. In Argentinien gehen seit Wochen Tausende auf die Straße, um sich gegen Beschlüsse zur Wehr zu setzen, die kurz vor Jahreswechsel von der Regierung angenommen wurden. Diese würden dem argentinischen Konzern YPF, dem norwegischen Konzern Equinor sowie Shell erlauben, an der Küste mit seismischen Methoden nach fossilen Rohstoffen zu suchen. Diese Methode ist mit enormem Lärm unter Wasser verbunden und stellt eine konkrete Gefahr für die Orientierung von Meerestieren dar.

Am Kapitalmarkt feiern die Unternehmen Erfolge

Schaut man auf die Börse, sieht die Lage jedoch ganz anders aus: Die Öl- und Gasindustrie boomt. Feierstimmung etwa beim Ölkonzern Shell, der seine Profite im vergangenen Quartal vervierzehnfachen (!) konnte. Exxon Mobil verbucht die höchsten Gewinne seit sieben Jahren. Sogar der in mehrere Skandale involvierte spanische Konzern Repsol überstand den Monat wirtschaftlich weitestgehend unbescholten. Das zeigt, wie gut die fossilen Konzerne organisiert sind. Regierungen haben ihnen oft nur wenig entgegenzusetzen – vor allem in den Ländern, in denen die Rohstoffe gefördert werden. Da der Jahresumsatz mancher Konzerne die Wirtschaftsleistung ganzer Länder übersteigt, ist diese Machtlosigkeit nur wenig verwunderlich.

Was aber heißt das für die Klimabewegung, deren Widerstand sich bisher am Einfluss der mächtigen Öl- und Gasindustrie die Zähne auszubeißen scheint? In den Ländern, in denen vorwiegend die Ressourcen gefördert werden, erfahren Aktivist*innen enorme Repressionen. Regelmäßig werden Umweltschützer*innen bedroht oder sogar ermordet. Allerdings kümmert es in einer rassistischen Gesellschaft wenig, was in Ländern des Globalen Südens verbrochen wird. In den Ländern, in denen die Hauptsitze der transnationalen Konzerne angesiedelt sind, fehlt diese Thematik überwiegend in der Rhetorik der Protestbewegung. Die Regierungen beschwören die fossilen Industrien sogar noch als Partner im Kampf gegen die Klimakrise.

Ein internationaler Aktionstag

Die Klimabewegung steht somit vor zwei Herausforderungen: Erstens müssen die ökozidalen Verbrechen fossiler Konzerne in Ländern des Globalen Südens und deren massiver Einfluss auf die Gesellschaften des Globalen Nordens in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Zweitens gehören die Anliegen der Menschen aus den am stärksten betroffenen Regionen in den Vordergrund. Denn sie sind es, die sich schon lange gegen die neokolonialen Machtstrukturen multinationaler Konzerne wehren.

Ein am vergangenen Freitag kurzfristig organisierter internationaler Aktionstag gegen den fossilen Kapitalismus hat gezeigt, wie das funktionieren kann. Ausgelöst durch die zahlreichen Ölkatastrophen der letzten Wochen, kamen über 50 Gruppen aus 19 Ländernunter dem Motto einer Global Coastline Rebellion zusammen. Getragen wurden die Proteste insbesondere von Gruppen aus den Ländern des Globalen Südens, etwa in Argentinien, Perú und Südafrika. Mit diversen Aktionen riefen sie zu einem weltweiten Aufstand der Küstengemeinschaften gegen diejenigen Konzerne auf, die ihre Lebensgrundlagen zerstören.

Eine Frage der Klimaschuld

Auch in Hamburg und Berlin wurde gegen die fossile Industrie, darunter auch die deutsche Firma Wintershall DEA, demonstriert. Dabei schloss sich die europäische Klimabewegung Gruppen aus Lateinamerika an. Im Vordergrund der Proteste standen unter anderem die Forderung nach Reparationen an die geschädigten Gemeinschaften und ein Schuldenerlass für die Länder des Globalen Südens. Im Gegenzug würden dafür die fossilen Rohstoffe im Boden gelassen werden – Klimaschuld gegen Geldschuld, oder „climate debt swap", wie es der argentinische Aktivist Esteban Servat nannte.

Die internationale Ausrichtung der Proteste, sowohl in ihren Forderungen als auch in ihrer Organisation, ist wichtig. Nur so kann die Widersprüchlichkeit der klimanationalistischen Standortpolitik der Bundesregierung entlarvt werden, die die Kosten für eine vermeintlich ökologische Transformation des Kapitalismus unbeständig auf die Länder des Globalen Südens auslagert. Doch ohne die Macht der im Globalen Norden ansässigen Öl- und Gaskonzerne drastisch zu beschneiden und die Energieproduktion demokratisch zu organisieren,werden die hiesigen Klimaziele nicht zu erreichen sein. Dafür benötigt es massiven Druck von unten.

Ein einzelner Aktionstag ist da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch der Umfang der spontanen Mobilisierung zeigt, wie groß das Potential für eine international orientierte Klimabewegung ist. Noch beachtenswerter als der Umfang der beteiligten Gruppen und Länder ist jedoch die gelungene Umkehr bisheriger Machtverhältnisse: Die Anliegen derjenigen, die von der Förderung fossiler Rohstoffe unmittelbar betroffen sind, wurden ins Zentrum der Proteste einer mehrheitlich weißen und eurozentrischen Klimagerechtigkeitsbewegung gestellt. Menschen kamen bewegungs- und länderübergreifend zusammen – in einer vom Globalen Süden angeleiteten Aktion gegen neokoloniale Institutionen wie dem IWF, der Weltbank und transnationaler Konzerne. Wie einer der Organisator*innen in Berlin appellierte: „Vielleicht kann dies der Anfang einer neuen Weise sein, Aktivismus zu betreiben; wo der Globale Norden mit dem Globalen Süden zusammenkommen kann, und den Kampf gegen die Konzerne anführt, die uns umbringen.“

Louise Wagner ist Soziologin und Teil verschiedener internationaler Bündnisse, die für Umwelt- und Klimagerechtigkeit kämpfen

Elias König ist Autor von Klimagerechtigkeit – warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen (Unrast-Verlag) und engagiert sich im Bündnis Shell Must Fall

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



Most Read

2024-09-20 14:46:17